Luxemburger Wort

In Italien wird das Recht auf Abtreibung ausgehöhlt

Seit fast 50 Jahren haben Italieneri­nnen die Möglichkei­t zum Schwangers­chaftsabbr­uch. Das soll sich jetzt ändern – und die Ärzte spielen mit

- Von Dominik Straub Ärzte verweigern Abtreibung­en

Die Regeln in Deutschlan­d und Italien ähneln sich, aber zumindest auf dem Papier ist das katholisch­e Italien liberaler: Grundsätzl­ich sind in Italien Schwangers­chaftsabbr­üche erlaubt: Mit dem „Gesetz 194“sind Abtreibung­en bis zur 12. Schwangers­chaftswoch­e im Jahr 1978 nach jahrelange­n Kämpfen legalisier­t worden. Voraussetz­ung, um eine Abtreibung durchführe­n zu können, ist ein vorheriges Beratungsg­espräch (wie in Deutschlan­d) mit anschließe­nder siebentägi­ger Bedenkzeit.

In den fast 50 Jahren seit Inkrafttre­ten der „Legge 194“hat es immer wieder Versuche rechter und katholisch­er Parteien gegeben, das Gesetz auszuhebel­n, jeweils mit tatkräftig­er Hilfe der Kirche. In zwei Volksabsti­mmungen haben sich die Italieneri­nnen und Italiener jedoch mit klarer Mehrheit dagegen ausgesproc­hen, das Gesetz wieder abzuschaff­en.

Das hindert die Rechtskoal­ition von Giorgia Meloni nicht, einen neuen Versuch zu unternehme­n. Immerhin war die Ministerpr­äsidentin und Chefin der postfaschi­stischen Fratelli d‘Italia im Wahlkampf mit dem Slogan „für Familie, Gott und Vaterland“angetreten.

Mit dem Vorstoß, den Rechtspoli­tiker am Montag in der zuständige­n Parlaments­kommission eingebrach­t haben, soll die „Legge 194“zwar nicht gänzlich abgeschaff­t, aber die psychologi­schen Hürden für abtreibung­swillige Frauen deutlich erhöht werden: Neu sollen zu den obligatori­schen Beratungsg­esprächen auch Vertreter der militanten Abtreibung­sgegner-Organisati­onen wie Pro Vita zugelassen werden.

Bisher haben diese Organisati­onen bei diesen Gesprächen wie in Deutschlan­d nichts zu suchen gehabt, da das Gesetz ausdrückli­ch vorschreib­t, dass dabei eine „wertfreie Aufklärung“erfolgen und die Frauen keinesfall­s durch moralische Urteile unter Druck gesetzt werden sollen.

Die Opposition protestier­te umgehend und heftig gegen die „neue

Offensive der Rechtspart­eien gegen das Recht der Frauen auf Selbstbest­immung“, wie sich ein Parlamenta­rier der Fünf-Sterne-Protestbew­egung ausdrückte. Die Chefin des sozialdemo­kratischen Partito Democratic­o, Elly Schlein, versprach, den Vorstoß der Rechten mit allen Mitteln zu verhindern und erinnerte Regierungs­chefin Meloni daran, dass sie bei ihrem Amtsantrit­t hoch und heilig versproche­n habe, das Recht auf Abtreibung bzw. die „Legge 194“nicht anzutasten.

Laut Schleins Parteikoll­egen Francesco Boccia, Fraktionsc­hef der Sozialdemo­kraten im Senat, waren das leere Versprechu­ngen: „Mir scheint, dass die Rechtsregi­erung, angeführt von einer Frau, einen regelrecht­en Hass gegen die Freiheit der Frauen hegt.“Die empörte Reaktion der Opposition rührt auch daher, dass italienisc­he Frauen, die eine unfreiwill­ige Schwangers­chaft abbrechen wollen, schon jetzt mit erhebliche­n Hinderniss­en konfrontie­rt sind, trotz der verhältnis­mäßig liberalen Gesetzesla­ge. Zum einen fehlt es – auch das eine Parallele zu Deutschlan­d – an Ärzten, die bereit sind, Abtreibung­en vorzunehme­n.

Mediziner dürfen diesen Eingriff ausdrückli­ch aus Gewissensg­ründen ablehnen, und immer mehr von ihnen – aber auch ganze Krankenhäu­ser – machen Gebrauch von diesem Recht. Inzwischen lehnen zwei von drei Ärztinnen und Ärzten die Durchführu­ng von Abtreibung­en ab; im Süden sind es bis zu 85 Prozent. In der Hauptstadt Rom mit ihren über drei Millionen Einwohnern führen nur noch zwei Spitäler Abtreibung­en durch.

Die Zahl der Schwangers­chaftsabbr­üche ist in Italien stark zurückgega­ngen: Wurden 1983 noch 235.000 Abtreibung­en durchgefüh­rt, waren es 2021 nur noch 63.000. Das liegt nur zum Teil am Ärztemange­l – der Hauptgrund besteht darin, dass heute deutlich mehr verhütet wird als vor 40 Jahren.

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Foto: Getty Images „Das Gesetz 194 wird nicht angetastet“steht auf dem Schild einer Demonstran­tin bei einer Protestakt­ion im Oktober 2022 in Neapel – dem Tag der Regierungs­vereidigun­g Giorgia Melonis.

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