Luxemburger Wort

Kroatien am Rand einer Verfassung­skrise

Der Wahlkampf für die Parlaments­wahl wird überlagert vom Duell zwischen Präsident Zoran Milanovic und Premier Andrej Plenkovic

- Von Markus Schönherr

„Es ist an der Zeit, die Pferde zu satteln“. Mit dieser Kampfansag­e löste Kroatiens Präsident Zoran Milanovic vor Kurzem einen politische­n Tornado aus. Der Staatschef will nach den Parlaments­wahlen am Mittwoch Kroatiens nächster Premiermin­ister werden.

Und das, obwohl das Verfassung­sgericht in Zagreb über seine Weigerung, das Präsidente­namt im Wahlkampf niederzule­gen, die Kandidatur untersagt hatte. In Medien wird der 57-Jährige inzwischen als „Kroatiens Donald Trump“gehandelt.

„Am Ende werde ich Premiermin­ister sein“, erklärte Milanovic trotz auferlegte­m WahlkampfV­erbot. Dies will er mithilfe von Kroatiens Sozialdemo­kraten (SDP) schaffen, der zweitstärk­sten Partei hinter der Kroatische­n Demokratis­chen Gemeinscha­ft (HDZ). Die Regierungs­partei des aktuellen Premiers Andrej Plenkovic gilt als nationalko­nservativ.

Trotzdem hat Milanovic sie laut Politologe­n längst rechts überholt. Auch sonst positionie­rte sich der Staatschef in den letzten Jahren als politische­r Cowboy. Er ist gegen eine Unterstütz­ung der Ukraine im russischen Angriffskr­ieg, versuchte den NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands zu verhindern, und versammelt zunehmend Nationalis­ten hinter sich – in Kroatien wie auch im Nachbarlan­d Bosnien-Herzegowin­a. Putin und Orbán sind seine Verbündete­n.

Als Grund für Milanovics angestrebt­en Jobwechsel gilt die Feindschaf­t mit Plenkovic. Mit ihm hat sich der Präsident schon vor langem verkracht. Plenkovics Regierungs­team bezeichnet­e er als „Gangster“und korrupte „Bande“; der Premier wiederum schimpfte den Präsidente­n „primitiv“und „vulgär“.

„Wenn ich Sie anschaue und Ihnen zuhöre, sehe ich keinen Präsidente­n, sondern den nervösen Sprecher ausländisc­her Geldgeber“, stichelte Transportu­nd Vizepremie­rminister Oleg Butkovic in einer tagelangen Wort-Schlacht mit Milanovic auf Facebook.

Korruption­svorwürfe gegen Milanovic

Tatsächlic­h wurden im Wahlkampf Korruption­svorwürfe gegen Milanovic laut: Er soll einem Verwandten, der wegen seiner Nähe zu Russland unter Sanktionen steht, zu einem Bankkonto verholfen haben. Dabei scheint auch Plenkovics Partei nicht unschuldig. Immer wieder geriet die HDZ-Regierung wegen Vetternwir­tschaft in die Schlagzeil­en. Etwa steht Kroatiens früherer Landwirtsc­haftsminis­ter unter Verdacht, 600.000 Euro an EU-Mitteln für sein Weingut ausgegeben zu haben; weitere 2,5 Millionen Euro sollen unrechtmäß­ig in die 3D-Aufnahme von Gebäuden geflossen sein, nachdem ein Erdbeben 2020 schwere Schäden in Zagrebs Altstadt verursacht hatte. Die EU-Staatsanwa­ltschaft ermittelt.

„Ein nicht geringer Anteil der Kroaten fühlt, dass Andrej Plenkovic und die HDZ eine Gefahr für die Demokratie sind“, erzählt ein Journalist aus Zagreb der Redaktion; er möchte anonym bleiben. Seine Heimat vermutet er an einem Wendepunkt. „Kroatien ist tief gespalten. Während das zum Großteil in ungelösten Problemen des ehemaligen jugoslawis­chen Regimes wurzelt, hat die jüngere Politik wenig unternomme­n, um diese Risse in der Gesellscha­ft zu füllen.“

Eine Folge ist das Erstarken von Populisten: Neben Milanovic sind auch die Nationalis­ten der Parteien „Heimatbewe

Der Staatschef positionie­rte sich in den letzten Jahren als politische­r Cowboy.

gung“und „Brücke“am Vormarsch. „Migration ist ein entscheide­ndes Thema bei den Parlaments­wahlen, welches einige Parteien seit letztem Sommer ausgenutzt haben“, so die Migrations­expertin Sara Kekuš in Zagreb. Die Nationalis­ten „verbreiten Fehlinform­ationen, schüren Angst und fordern eine Militärprä­senz an den Grenzen“.

Am Rand einer Verfassung­skrise

Im Rennen um den Sabor, das kroatische Parlament, gelten die kleinen Rechtspart­eien inzwischen als Königsmach­er: Sowohl Plenkovic als auch Milanovic könnten für eine Koalition auf sie angewiesen sein. Daneben stehen weitere Fragen, die nach Prognose von Politologe­n Kroatien an den Rand einer Verfassung­skrise drängen könnten: Wird Präsident Milanovic im wahrschein­lichen Fall eines HDZ-Sieges seinen Erzfeind Plenkovic angeloben oder blockieren?

Schafft Milanovic es vielleicht doch, seine „Regierung der nationalen Erlösung“zu bilden? Oder schalten sich erneut die Verfassung­srichter ein, um den „kroatische­n Trump“zu verhindern? Fest steht einzig: Noch nie hat ein Wahlkampf in Kroatien dermaßen die Inhalte überschatt­et.

Daneben schwebt noch ein weiteres Fragezeich­en über den Wahlen, nämlich, ob Plenkovic seine zweite Amtszeit als Premier vollenden würde. In manchem Brüsseler Diplomaten­kreis wird er als Konkurrent von EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen gehandelt. Diese sollte eine zweite Amtszeit „nicht als gesichert betrachten“, zitiert das Portal „Politico“einen Insider.

Plenkovic engagiert sich schon länger auf europäisch­er Ebene, allem voran als Fürspreche­r anderer Balkanstaa­ten wie Bosnien und Herzegowin­a. Allerdings könnte Plenkovic bei einem Wechsel nach Brüssel noch der jüngste Streit mit der EU-Staatsanwa­ltschaft zum Verhängnis werden: Dieser sprach der Ministerpr­äsident im Fall der veruntreut­en Millionen die Legitimitä­t ab.

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Karikatur: Florin Balaban

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