Der Duft von Zimt
51
Josephine stemmte die Hände in die Hüften. „Gott bewahre! Ich denke nicht, dass ausgerechnet der Himmel der richtige Ort für Sie ist.“
Pépin klappte der Mund auf vor Überraschung. Kurz war auch Josephine über ihre Worte erschrocken. Nach Gaspards Warnung war es mehr als leichtsinnig, einen Soldaten zu reizen. Vor allem, wenn man den Keller tatsächlich voller Schmuggelware hatte. Doch da breitete sich schon ein anerkennendes Grinsen auf Pépins Gesicht aus.
„Touché, Mademoiselle Thielemann. Das kriegen Sie zurück!“Er sprang auf die Straße und lief mit knirschenden Stiefeln davon.
Die kommenden Wochen waren die aufregendsten, die Josephine je erlebt hatte. Sobald das Klopfen des Nachtwächters sie weckte, sprang sie aus dem Bett und fühlte sich so energiegeladen und erwachsen wie nie zuvor. Sie lief ins Backhus hinunter und backte Teilchen und Brote. Und sobald sie die Fenster der Bäckerei öffnete, um die warmen Düfte hinausströmen zu lassen, kamen schon die ersten Kunden zu ihr herein. Seitdem Gaspard sie gewarnt hatte, achtete sie darauf, täglich nur eine weitere Leckerei neben ihren Rundstücken, Broten und Geduldzetteln anzubieten. Christian, der wohl von ihren Erfolgen angestachelt war, brachte ihr, sooft er konnte, Waren aus Versteigerungen mit und glaubte weiterhin, er und Fiete allein ermöglichten Josephine ihr gutes Auskommen. Mit stolzen Augen sah er sie an, und seine Hände schienen vor Bewunderung zu glühen, wenn er ihr seine getrockneten Strohblumen, Lavendelsträußchen oder Zittergräser überreichte. Immer häufiger sprach er auch von der geplanten Hochzeitsfeier, die Mitte März stattfinden sollte. Er hatte bereits den Pfarrer informiert und die ersten Einladungen ausgesprochen. Josephine bekam bei dieser Vorstellung feuchte Hände. Sie war froh, dass sie noch ein paar Wochen Zeit hatte. Schließlich ahnte sie, dass sie nie wieder so frei sein würde wie in diesen Tagen. Und obwohl Fritz weit weg war, fühlte sie sich nun nicht länger einsam. Sie scherzte gern mit dem lauten Fiete, mit dem neuen Schuster, und sogar mit den Franzosen, die nun täglich vorbeikamen, und vor allem genoss sie die Gespräche mit ihrer Nachbarin, die immer vertrauter wurden. Seitdem Louise Josephine am Jungfernstieg abgefangen und kurz darauf ihr Komplizenschaft vorgeschlagen hatte, waren die beiden Frauen Freundinnen geworden. Josephine ahnte zwar, dass ihr Onkel ihre Entscheidung nicht gutheißen würde. Doch was auch immer zwischen Onkel Fritz und Louise vorgefallen war, mit Josephine hatte das nichts zu tun, entschied sie. Ihr tat die Gesellschaft der Nachbarin ausgesprochen gut. Wenn Louise mit ihren bunten Hüten und dem breiten Lächeln zur Tür hereinkam und mit raschelnden Röcken durch die kleine Bäckerei rauschte, schien der Morgen auf einen Schlag heller und wärmer zu werden, und Josephine spürte ein fröhliches Lachen im Hals aufsteigen.
„Louise! Wie schön!“, rief sie dann. „Bonjour, wie geht es dir?“
Louise drückte Josephine überschwänglich beide Hände.
„Gut siehst du aus, meine Liebe“, antwortete sie stets, oder „Wie herrlich es heute Morgen bei dir schon wieder duftet!“.
Eine von beiden hatte meist sofort etwas zu erzählen oder zu fragen. Sie sprachen über Josephines neue Rezepte, Louises Ideen für ausgefallene Hüte, über Zutaten, Stoffe, ihre Kundinnen, Josephines Verlobten, die geplante Hochzeit und die Stimmung in der Stadt, die allmählich etwas hoffnungsvoller zu werden schien. Hinter vorgehaltener Hand erzählte Louise ihr, dass immer weniger Franzosen in der Stadt weilten. Einerseits war das natürlich ein Grund zur Freude, andererseits machten sie sich auch ein wenig Sorgen, da die Preise für ihre Schmuggelwaren, wie Karl bereits angekündigt hatte, langsam, aber stetig sanken. Von Fiete hatte Josephine erfahren, dass man munkelte, die Franzosen würden die Stadt bald aufgeben. All der Zimt, der Zucker und die Zitronen im Keller würden dann legal werden. Einerseits beruhigte dieser Gedanke Josephine. Ihr drohte in diesem Fall schon bald keine Gefahr mehr durch Entdeckung. Andererseits würde das paradoxerweise bedeuten, dass sie in Zukunft weniger Zutaten zur Hand hätte, schließlich könnten sie nicht mehr so viel Geld mit ihrem illegalen Lager verdienen. Auch Karl und Louise müssten sich dann eine neue Verdienstmöglichkeit suchen. Sie bemühten sich, in den vielleicht letzten Wochen der Belagerung noch so viel Geld wie möglich zu machen.
Wenn die beiden Frauen allein im Geschäft waren, erzählte Louise Josephine mit gedämpfter Stimme von ihren Abenteuern am Millerntor, von den Schmugglern, die dort noch immer erwischt wurden, und von ihren eigenen Tricks, aufgrund derer die Zollbeamten sie mittlerweile ohne mit der Wimper zu zucken hindurch winkten.
„Und das haben wir nur dir und deiner guten Idee zu verdanken“, sagte Louise und drückte Josephine liebevoll die Schulter.
„Obwohl ich dich, ehrlich gesagt, auch hin und wieder verfluchen möchte. Der Geruch geht mir manchmal stundenlang nicht mehr aus der Nase. Und ich glaube, meine Kundinnen riechen es auch schon, wenn ich ihnen meine Hutschachteln vorbeibringe.“
Sie verzog das Gesicht, und Josephine sah sie zerknirscht an. Da lachte Louise. „Entschuldige dich ja nicht! Die Idee ist brillant!“
„Das freut mich sehr. Aber es liegt ja nicht nur an mir. Ihr bekommt doch auch noch Hilfe von Anna und Marie-A… ich meine … Carla“, sagte Josephine und biss sich auf die Zunge.
„Allerdings. Die Douaniers haben vor dem Mädchen-HundeGespann einen Heidenrespekt, das sag ich dir. Seitdem sie nicht mehr nur Haut und Knochen sind, sogar noch etwas mehr.“
„Das heißt, meine Rundstücke und Teilchen schmecken ihnen?“
Louise lachte lauf. „Schmecken ist gar kein Ausdruck!“