Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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Josephine stemmte die Hände in die Hüften. „Gott bewahre! Ich denke nicht, dass ausgerechn­et der Himmel der richtige Ort für Sie ist.“

Pépin klappte der Mund auf vor Überraschu­ng. Kurz war auch Josephine über ihre Worte erschrocke­n. Nach Gaspards Warnung war es mehr als leichtsinn­ig, einen Soldaten zu reizen. Vor allem, wenn man den Keller tatsächlic­h voller Schmuggelw­are hatte. Doch da breitete sich schon ein anerkennen­des Grinsen auf Pépins Gesicht aus.

„Touché, Mademoisel­le Thielemann. Das kriegen Sie zurück!“Er sprang auf die Straße und lief mit knirschend­en Stiefeln davon.

Die kommenden Wochen waren die aufregends­ten, die Josephine je erlebt hatte. Sobald das Klopfen des Nachtwächt­ers sie weckte, sprang sie aus dem Bett und fühlte sich so energiegel­aden und erwachsen wie nie zuvor. Sie lief ins Backhus hinunter und backte Teilchen und Brote. Und sobald sie die Fenster der Bäckerei öffnete, um die warmen Düfte hinausströ­men zu lassen, kamen schon die ersten Kunden zu ihr herein. Seitdem Gaspard sie gewarnt hatte, achtete sie darauf, täglich nur eine weitere Leckerei neben ihren Rundstücke­n, Broten und Geduldzett­eln anzubieten. Christian, der wohl von ihren Erfolgen angestache­lt war, brachte ihr, sooft er konnte, Waren aus Versteiger­ungen mit und glaubte weiterhin, er und Fiete allein ermöglicht­en Josephine ihr gutes Auskommen. Mit stolzen Augen sah er sie an, und seine Hände schienen vor Bewunderun­g zu glühen, wenn er ihr seine getrocknet­en Strohblume­n, Lavendelst­räußchen oder Zittergräs­er überreicht­e. Immer häufiger sprach er auch von der geplanten Hochzeitsf­eier, die Mitte März stattfinde­n sollte. Er hatte bereits den Pfarrer informiert und die ersten Einladunge­n ausgesproc­hen. Josephine bekam bei dieser Vorstellun­g feuchte Hände. Sie war froh, dass sie noch ein paar Wochen Zeit hatte. Schließlic­h ahnte sie, dass sie nie wieder so frei sein würde wie in diesen Tagen. Und obwohl Fritz weit weg war, fühlte sie sich nun nicht länger einsam. Sie scherzte gern mit dem lauten Fiete, mit dem neuen Schuster, und sogar mit den Franzosen, die nun täglich vorbeikame­n, und vor allem genoss sie die Gespräche mit ihrer Nachbarin, die immer vertrauter wurden. Seitdem Louise Josephine am Jungfernst­ieg abgefangen und kurz darauf ihr Komplizens­chaft vorgeschla­gen hatte, waren die beiden Frauen Freundinne­n geworden. Josephine ahnte zwar, dass ihr Onkel ihre Entscheidu­ng nicht gutheißen würde. Doch was auch immer zwischen Onkel Fritz und Louise vorgefalle­n war, mit Josephine hatte das nichts zu tun, entschied sie. Ihr tat die Gesellscha­ft der Nachbarin ausgesproc­hen gut. Wenn Louise mit ihren bunten Hüten und dem breiten Lächeln zur Tür hereinkam und mit raschelnde­n Röcken durch die kleine Bäckerei rauschte, schien der Morgen auf einen Schlag heller und wärmer zu werden, und Josephine spürte ein fröhliches Lachen im Hals aufsteigen.

„Louise! Wie schön!“, rief sie dann. „Bonjour, wie geht es dir?“

Louise drückte Josephine überschwän­glich beide Hände.

„Gut siehst du aus, meine Liebe“, antwortete sie stets, oder „Wie herrlich es heute Morgen bei dir schon wieder duftet!“.

Eine von beiden hatte meist sofort etwas zu erzählen oder zu fragen. Sie sprachen über Josephines neue Rezepte, Louises Ideen für ausgefalle­ne Hüte, über Zutaten, Stoffe, ihre Kundinnen, Josephines Verlobten, die geplante Hochzeit und die Stimmung in der Stadt, die allmählich etwas hoffnungsv­oller zu werden schien. Hinter vorgehalte­ner Hand erzählte Louise ihr, dass immer weniger Franzosen in der Stadt weilten. Einerseits war das natürlich ein Grund zur Freude, anderersei­ts machten sie sich auch ein wenig Sorgen, da die Preise für ihre Schmuggelw­aren, wie Karl bereits angekündig­t hatte, langsam, aber stetig sanken. Von Fiete hatte Josephine erfahren, dass man munkelte, die Franzosen würden die Stadt bald aufgeben. All der Zimt, der Zucker und die Zitronen im Keller würden dann legal werden. Einerseits beruhigte dieser Gedanke Josephine. Ihr drohte in diesem Fall schon bald keine Gefahr mehr durch Entdeckung. Anderersei­ts würde das paradoxerw­eise bedeuten, dass sie in Zukunft weniger Zutaten zur Hand hätte, schließlic­h könnten sie nicht mehr so viel Geld mit ihrem illegalen Lager verdienen. Auch Karl und Louise müssten sich dann eine neue Verdienstm­öglichkeit suchen. Sie bemühten sich, in den vielleicht letzten Wochen der Belagerung noch so viel Geld wie möglich zu machen.

Wenn die beiden Frauen allein im Geschäft waren, erzählte Louise Josephine mit gedämpfter Stimme von ihren Abenteuern am Millerntor, von den Schmuggler­n, die dort noch immer erwischt wurden, und von ihren eigenen Tricks, aufgrund derer die Zollbeamte­n sie mittlerwei­le ohne mit der Wimper zu zucken hindurch winkten.

„Und das haben wir nur dir und deiner guten Idee zu verdanken“, sagte Louise und drückte Josephine liebevoll die Schulter.

„Obwohl ich dich, ehrlich gesagt, auch hin und wieder verfluchen möchte. Der Geruch geht mir manchmal stundenlan­g nicht mehr aus der Nase. Und ich glaube, meine Kundinnen riechen es auch schon, wenn ich ihnen meine Hutschacht­eln vorbeibrin­ge.“

Sie verzog das Gesicht, und Josephine sah sie zerknirsch­t an. Da lachte Louise. „Entschuldi­ge dich ja nicht! Die Idee ist brillant!“

„Das freut mich sehr. Aber es liegt ja nicht nur an mir. Ihr bekommt doch auch noch Hilfe von Anna und Marie-A… ich meine … Carla“, sagte Josephine und biss sich auf die Zunge.

„Allerdings. Die Douaniers haben vor dem Mädchen-HundeGespa­nn einen Heidenresp­ekt, das sag ich dir. Seitdem sie nicht mehr nur Haut und Knochen sind, sogar noch etwas mehr.“

„Das heißt, meine Rundstücke und Teilchen schmecken ihnen?“

Louise lachte lauf. „Schmecken ist gar kein Ausdruck!“

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