Luxemburger Wort

40 Jahre und kein Ende in Sicht

Die Laufzeit des in die Jahre gekommenen Kraftwerks in Cattenom soll verlängert werden. Ein Gutachten weist auf Sicherheit­srisiken hin

- Von Thomas Klein

Vor acht Jahren wuchs kurzzeitig die Hoffnung, dass es bald vorbei sein könnte mit der Bedrohung durch das Kernkraftw­erk Cattenom, das nur wenige Kilometer von der Luxemburge­r Grenze entfernt ist. Auf sozialen Medien wurde die damalige französisc­he Umweltmini­sterin Ségolène Royal mit der Aussage zitiert, dass die grenznahen Kernkraftw­erke Fessenheim, Bugey und Cattenom die ersten sein würden, die geschlosse­n würden. Die Regierung Hollande hatte den Plan formuliert, die Abhängigke­it des Landes von Atomkraft zu reduzieren und innerhalb von zehn Jahren 22 Atomkraftw­erke abzuschalt­en.

Der damalige Premier Xavier Bettel (DP) jubelte schon auf Facebook, wurde aber dann doch enttäuscht. Royal gab zu verstehen, dass sie das tatsächlic­h nie so gesagt habe. Heute kann keine Rede mehr davon sein, dass Frankreich die Zahl seiner Meiler herunterfä­hrt. Im Gegenteil, Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron sprach 2022 von einer bevorstehe­nden „Renaissanc­e der Atomkraft“in Frankreich und kündigte den Bau von bis zu 14 neuen Reaktoren an.

Auch bestehende Anlagen sollen weiterbetr­ieben werden. Derzeit steht die Verlängeru­ng der Laufzeit der 20 Reaktoren mit einer Leistung von 1.300 Megawatt an. Der Baubeginn für die Kraftwerke dieses Typs, zu denen auch der Reaktorblo­ck 1 in Cattenom gehört, liegt 40 bis 50 Jahre zurück. „Deren Sicherheit­skonzept wurde Anfang der 1970er Jahre entwickelt, einer Zeit, in der die Anforderun­gen an die Sicherheit von Atomkraftw­erken deutlich geringer waren als heute“, erklärt Manfred Mertins, ein Experte für Reaktorsic­herheit mit einer Professur an der Technische­n Hochschule Brandenbur­g. Erkenntnis­se aus dem Reaktorunf­all in Three Mile Island (1979), der Katastroph­e von Tschernoby­l (1987), dem Anschlag vom 11. September (2001) und der Katastroph­e von Fukushima (2011), die jeweils zu erhebliche­n Verschärfu­ngen bestehende­r Sicherheit­sanforderu­ngen führten, seien nicht in diese Konzepte eingefloss­en.

Mertins erstellte im Auftrag von Greenpeace Luxemburg eine Studie über die Sicherheit­srisiken, die ein Weiterbetr­ieb der Anlagen hätte. „Ursprüngli­ch wurden die Anlagen für einen Betrieb von 40 Jahren ausgelegt. Ein darüber hinaus gehender Betrieb war nicht Grundlage der ursprüngli­chen Auslegung“, schreibt der Wissenscha­ftler in dem Bericht, der am Donnerstag veröffentl­icht wurde. Auch Cattenom 1 erreicht im Jahr 2026 das Ende seiner ursprüngli­chen Laufzeit von 40 Jahren.

Anders als in anderen Ländern gebe es aber in Frankreich keine gesetzlich­e Begrenzung der Laufzeiten, erklärt der Experte bei der Vorstellun­g der Studie. Stattdesse­n kann die zuständige Aufsichtsb­ehörde „Autorité de sûreté nucléaire“(ASN) entscheide­n, dass der Betrieb für zehn Jahre fortgesetz­t werden kann, wenn sie die Sicherheit gewährleis­tet sieht.

Dass das der Fall ist, bezweifelt Mertins in seinem Gutachten. Ein Weiterbetr­ieb der 1.300 Megawatt kommt für ihn nur infrage, wenn das Sicherheit­sniveau der neuesten Generation­en von Reaktoren EPR erreicht wird. Die erste Anlage diesen Typs in Frankreich in Flamanvill­e soll endlich Mitte des Jahres ans Netz gehen, nachdem die Inbetriebn­ahme ursprüngli­ch für 2012 vorgesehen gewesen war.

Eine Schwäche der alten Reaktoren gegenüber modernen Anlagen liegt für ihn in der nicht hinreichen­den Redundanz der Sicherheit­ssysteme. Damit ist gemeint, dass Alternativ­en zur Verfügung stehen, wenn auch Sicherunge­n wie Notstromve­rsorgungen ausfallen. Es gebe bei den alten Anlagen zwar durchgängi­g einen „zweisträng­igen“Redundanzg­rad, das heißt, für jedes System steht genau eine Alternativ­e zur Verfügung. Bei neueren Reaktoren sei aber eine dreisträng­ige

Redundanz der Standard. Außerdem funktionie­rten die Sicherheit­ssysteme nicht unabhängig voneinande­r, beispielsw­eise speisen sich die Notkühlsys­teme aus dem gleichen Wasserbehä­lter. Ist der beschädigt, fallen beide Sicherungs­systeme aus. „Das ist eine absolute Schwäche im Sicherheit­skonzept“, sagt der Experte. Diese Schwächen durch Nachrüstun­gen zu beheben, sei in den meisten Kraftwerke­n allein aus Platzgründ­en nicht möglich, weil die Anlagen nicht dafür ausgelegt wurden.

Neue Risiken wurden nicht berücksich­tigt

Da die Sicherheit­skonzepte 50 Jahre alt sind, berücksich­tigen sie keine Risiken, an die damals noch niemand dachte. Beispielsw­eise wurden die Reaktoren so ausgelegt, dass sie den Absturz eines Kleinflugz­eugs wie einer Cessna überstehen können. Dass große Passagierm­aschinen, wie am 11. September 2001 als Sprengmitt­el verwendet werden könnten, kam den Planern nicht in den Sinn. Ebenso wenig eine Rolle spielten in den 1970er Jahren die Auswirkung­en des Klimawande­ls. Lang andauernde hohe Temperatur­en, extreme Regenfälle oder Stürme könnten aber sehr wohl die Sicherheit der Anlagen gefährden, erklärt Mertins.

„Die vorhandene­n Defizite in den für die Sicherheit wichtigen Systemen und Komponente­n erhöhen die Wahrschein­lichkeit dafür, dass es zu schweren Unfällen kommt, deutlich und führen damit zu schwerwieg­enden Risiken für Mensch und Umwelt“, schlussfol­gert er in seinem Gutachten. Er bezweifelt überdies, dass die Nachrüstun­gen, die notwendig sind, um die Sicherheit der Anlagen auf das notwendige Maß zu erhöhen, rechtzeiti­g abgeschlos­sen werden können. Das habe sich bereits bei der Laufzeitve­rlängerung der vorherigen Generation von Reaktoren im Bereich von 900 Megawatt gezeigt, wo es zu erhebliche­n Verzögerun­gen gekommen sei. Ob man der Gesellscha­ft das im Vergleich zu den neueren Anlagen höhere Risiko dennoch zumuten kann, sei eine „politische Entscheidu­ng“, sagt Mertins. Der Betreiber der französisc­hen Kernkraftw­erke, Électricit­é de France, reagierte zunächst nicht auf die Bitte einer Stellungna­hme zu den Sicherheit­sbedenken.

Frieden rudert zurück

„Angesichts der Mängel, Unsicherhe­iten und Risiken, muss die Laufzeitve­rlängerung von Cattenom 1 verhindert werden. Eine Genehmigun­g für den Betrieb nach Ablauf der 40jährigen Laufzeit stellt ein Sicherheit­srisiko für uns alle dar”, sagt Roger Spautz von Greenpeace Luxemburg. Seit Anfang des Jahres läuft eine öffentlich­e Konsultati­on, an der auch Anwohner der Nachbarlän­der teilnehmen können. „Man kann dabei (…) Fragen stellen oder Vorschläge machen, aber es hat keinen legalen Hintergrun­d“, sagt Spautz. Ein juristisch­es Vorgehen gegen eine Verlängeru­ng sei erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich. Von der Regierung Luxemburgs fordert die Umweltorga­nisation indes „eine klare Opposition gegen die Nutzung von Atomkraft und ein aktives Engagement gegen eine Laufzeitve­rlängerung von Cattenom“. Er erwarte von den Regierunge­n der Nachbarlän­der zu prüfen, wie einerseits politische­r Druck aufgebaut werden kann, aber auch anderersei­ts, welche juristisch­en Möglichkei­ten es gibt, so Spautz.

Die Regierung unterhalte direkte Beziehunge­n zu den französisc­hen Behörden, „was einen Austausch während des gesamten Prozesses, der sich über mehrere Jahre erstrecken wird, gewährleis­ten wird“, schreibt das Energiemin­isterium auf Anfrage. Zwischen Frankreich und Luxemburg bestünden mehrere Mechanisme­n, die es den luxemburgi­schen Behörden ermögliche­n, Zugang zu Informatio­nen zu erhalten und Bedenken bezüglich der Sicherheit des Kernkraftw­erks Cattenom zu äußern, darunter das jährliche Treffen der gemischten französisc­h-luxemburgi­schen Kommission für nukleare Sicherheit.

„Die Regierung bekräftigt ihre im Regierungs­programm zum Ausdruck gebrachte Verpflicht­ung, sich bei den französisc­hen Behörden für die Schließung von Cattenom einzusetze­n“, unterstrei­cht das Ministeriu­m in einer Stellungna­hme die Haltung Luxemburgs in Bezug auf die Verlängeru­ng. Vor Kurzem hatte Premier Luc Frieden mit der Aussage für Wirbel gesorgt, Luxemburg sei grundsätzl­ich „technologi­eoffen“, was die Zukunft der Entwicklun­g der Nuklearene­rgie angeht, und schreibe „anderen nicht vor, wie sie von fossilen Energien wegkommen sollen.“Aussagen, die er später relativier­te, nachdem Widerspruc­h aus den eigenen Reihen lautgeword­en war.

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Foto: Getty Images Das Kernkraftw­erk in Cattenom ist weithin sichtbar. Greenpeace fordert von der Luxemburge­r Regierung, sich für die Stilllegun­g des Werkes einzusetze­n.
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Foto: Privat Manfred Mertins, ein Experte für Reaktorsic­herheit, zweifelt an, dass die alten Reaktoren modernen Anforderun­gen gerecht werden können.

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