40 Jahre und kein Ende in Sicht
Die Laufzeit des in die Jahre gekommenen Kraftwerks in Cattenom soll verlängert werden. Ein Gutachten weist auf Sicherheitsrisiken hin
Vor acht Jahren wuchs kurzzeitig die Hoffnung, dass es bald vorbei sein könnte mit der Bedrohung durch das Kernkraftwerk Cattenom, das nur wenige Kilometer von der Luxemburger Grenze entfernt ist. Auf sozialen Medien wurde die damalige französische Umweltministerin Ségolène Royal mit der Aussage zitiert, dass die grenznahen Kernkraftwerke Fessenheim, Bugey und Cattenom die ersten sein würden, die geschlossen würden. Die Regierung Hollande hatte den Plan formuliert, die Abhängigkeit des Landes von Atomkraft zu reduzieren und innerhalb von zehn Jahren 22 Atomkraftwerke abzuschalten.
Der damalige Premier Xavier Bettel (DP) jubelte schon auf Facebook, wurde aber dann doch enttäuscht. Royal gab zu verstehen, dass sie das tatsächlich nie so gesagt habe. Heute kann keine Rede mehr davon sein, dass Frankreich die Zahl seiner Meiler herunterfährt. Im Gegenteil, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach 2022 von einer bevorstehenden „Renaissance der Atomkraft“in Frankreich und kündigte den Bau von bis zu 14 neuen Reaktoren an.
Auch bestehende Anlagen sollen weiterbetrieben werden. Derzeit steht die Verlängerung der Laufzeit der 20 Reaktoren mit einer Leistung von 1.300 Megawatt an. Der Baubeginn für die Kraftwerke dieses Typs, zu denen auch der Reaktorblock 1 in Cattenom gehört, liegt 40 bis 50 Jahre zurück. „Deren Sicherheitskonzept wurde Anfang der 1970er Jahre entwickelt, einer Zeit, in der die Anforderungen an die Sicherheit von Atomkraftwerken deutlich geringer waren als heute“, erklärt Manfred Mertins, ein Experte für Reaktorsicherheit mit einer Professur an der Technischen Hochschule Brandenburg. Erkenntnisse aus dem Reaktorunfall in Three Mile Island (1979), der Katastrophe von Tschernobyl (1987), dem Anschlag vom 11. September (2001) und der Katastrophe von Fukushima (2011), die jeweils zu erheblichen Verschärfungen bestehender Sicherheitsanforderungen führten, seien nicht in diese Konzepte eingeflossen.
Mertins erstellte im Auftrag von Greenpeace Luxemburg eine Studie über die Sicherheitsrisiken, die ein Weiterbetrieb der Anlagen hätte. „Ursprünglich wurden die Anlagen für einen Betrieb von 40 Jahren ausgelegt. Ein darüber hinaus gehender Betrieb war nicht Grundlage der ursprünglichen Auslegung“, schreibt der Wissenschaftler in dem Bericht, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Auch Cattenom 1 erreicht im Jahr 2026 das Ende seiner ursprünglichen Laufzeit von 40 Jahren.
Anders als in anderen Ländern gebe es aber in Frankreich keine gesetzliche Begrenzung der Laufzeiten, erklärt der Experte bei der Vorstellung der Studie. Stattdessen kann die zuständige Aufsichtsbehörde „Autorité de sûreté nucléaire“(ASN) entscheiden, dass der Betrieb für zehn Jahre fortgesetzt werden kann, wenn sie die Sicherheit gewährleistet sieht.
Dass das der Fall ist, bezweifelt Mertins in seinem Gutachten. Ein Weiterbetrieb der 1.300 Megawatt kommt für ihn nur infrage, wenn das Sicherheitsniveau der neuesten Generationen von Reaktoren EPR erreicht wird. Die erste Anlage diesen Typs in Frankreich in Flamanville soll endlich Mitte des Jahres ans Netz gehen, nachdem die Inbetriebnahme ursprünglich für 2012 vorgesehen gewesen war.
Eine Schwäche der alten Reaktoren gegenüber modernen Anlagen liegt für ihn in der nicht hinreichenden Redundanz der Sicherheitssysteme. Damit ist gemeint, dass Alternativen zur Verfügung stehen, wenn auch Sicherungen wie Notstromversorgungen ausfallen. Es gebe bei den alten Anlagen zwar durchgängig einen „zweisträngigen“Redundanzgrad, das heißt, für jedes System steht genau eine Alternative zur Verfügung. Bei neueren Reaktoren sei aber eine dreisträngige
Redundanz der Standard. Außerdem funktionierten die Sicherheitssysteme nicht unabhängig voneinander, beispielsweise speisen sich die Notkühlsysteme aus dem gleichen Wasserbehälter. Ist der beschädigt, fallen beide Sicherungssysteme aus. „Das ist eine absolute Schwäche im Sicherheitskonzept“, sagt der Experte. Diese Schwächen durch Nachrüstungen zu beheben, sei in den meisten Kraftwerken allein aus Platzgründen nicht möglich, weil die Anlagen nicht dafür ausgelegt wurden.
Neue Risiken wurden nicht berücksichtigt
Da die Sicherheitskonzepte 50 Jahre alt sind, berücksichtigen sie keine Risiken, an die damals noch niemand dachte. Beispielsweise wurden die Reaktoren so ausgelegt, dass sie den Absturz eines Kleinflugzeugs wie einer Cessna überstehen können. Dass große Passagiermaschinen, wie am 11. September 2001 als Sprengmittel verwendet werden könnten, kam den Planern nicht in den Sinn. Ebenso wenig eine Rolle spielten in den 1970er Jahren die Auswirkungen des Klimawandels. Lang andauernde hohe Temperaturen, extreme Regenfälle oder Stürme könnten aber sehr wohl die Sicherheit der Anlagen gefährden, erklärt Mertins.
„Die vorhandenen Defizite in den für die Sicherheit wichtigen Systemen und Komponenten erhöhen die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es zu schweren Unfällen kommt, deutlich und führen damit zu schwerwiegenden Risiken für Mensch und Umwelt“, schlussfolgert er in seinem Gutachten. Er bezweifelt überdies, dass die Nachrüstungen, die notwendig sind, um die Sicherheit der Anlagen auf das notwendige Maß zu erhöhen, rechtzeitig abgeschlossen werden können. Das habe sich bereits bei der Laufzeitverlängerung der vorherigen Generation von Reaktoren im Bereich von 900 Megawatt gezeigt, wo es zu erheblichen Verzögerungen gekommen sei. Ob man der Gesellschaft das im Vergleich zu den neueren Anlagen höhere Risiko dennoch zumuten kann, sei eine „politische Entscheidung“, sagt Mertins. Der Betreiber der französischen Kernkraftwerke, Électricité de France, reagierte zunächst nicht auf die Bitte einer Stellungnahme zu den Sicherheitsbedenken.
Frieden rudert zurück
„Angesichts der Mängel, Unsicherheiten und Risiken, muss die Laufzeitverlängerung von Cattenom 1 verhindert werden. Eine Genehmigung für den Betrieb nach Ablauf der 40jährigen Laufzeit stellt ein Sicherheitsrisiko für uns alle dar”, sagt Roger Spautz von Greenpeace Luxemburg. Seit Anfang des Jahres läuft eine öffentliche Konsultation, an der auch Anwohner der Nachbarländer teilnehmen können. „Man kann dabei (…) Fragen stellen oder Vorschläge machen, aber es hat keinen legalen Hintergrund“, sagt Spautz. Ein juristisches Vorgehen gegen eine Verlängerung sei erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich. Von der Regierung Luxemburgs fordert die Umweltorganisation indes „eine klare Opposition gegen die Nutzung von Atomkraft und ein aktives Engagement gegen eine Laufzeitverlängerung von Cattenom“. Er erwarte von den Regierungen der Nachbarländer zu prüfen, wie einerseits politischer Druck aufgebaut werden kann, aber auch andererseits, welche juristischen Möglichkeiten es gibt, so Spautz.
Die Regierung unterhalte direkte Beziehungen zu den französischen Behörden, „was einen Austausch während des gesamten Prozesses, der sich über mehrere Jahre erstrecken wird, gewährleisten wird“, schreibt das Energieministerium auf Anfrage. Zwischen Frankreich und Luxemburg bestünden mehrere Mechanismen, die es den luxemburgischen Behörden ermöglichen, Zugang zu Informationen zu erhalten und Bedenken bezüglich der Sicherheit des Kernkraftwerks Cattenom zu äußern, darunter das jährliche Treffen der gemischten französisch-luxemburgischen Kommission für nukleare Sicherheit.
„Die Regierung bekräftigt ihre im Regierungsprogramm zum Ausdruck gebrachte Verpflichtung, sich bei den französischen Behörden für die Schließung von Cattenom einzusetzen“, unterstreicht das Ministerium in einer Stellungnahme die Haltung Luxemburgs in Bezug auf die Verlängerung. Vor Kurzem hatte Premier Luc Frieden mit der Aussage für Wirbel gesorgt, Luxemburg sei grundsätzlich „technologieoffen“, was die Zukunft der Entwicklung der Nuklearenergie angeht, und schreibe „anderen nicht vor, wie sie von fossilen Energien wegkommen sollen.“Aussagen, die er später relativierte, nachdem Widerspruch aus den eigenen Reihen lautgeworden war.