Luxemburger Wort

Wann verfügen Frauen über ihren eigenen Körper?

- Ines Kurschat Kontakt: ines.kurschat@wort.lu

Um es gleich vorwegzune­hmen. Es gibt keine Jungfräuli­chkeitstes­ts. Jedenfalls keine, die sicher beweisen könnten, ob eine Frau bereits Sex hatte oder nicht. Das Hymen ist ein, vielfach missversta­ndener, Teil des weiblichen Körpers, ein dünnes Gewebe, das mit dem bloßen Auge nicht sichtbar ist. Es kann aus vielen Gründen einreißen oder brüchig werden, etwa beim Einführen von Tampons, beim Schwimmen oder bei der Masturbati­on.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO warnt daher vor diesen Tests, die im invasiven inneren Abtasten bestehen, nennt sie medizinisc­h unsinnig, schmerzvol­l und eine Form von Gewalt. Die UN fordert seit Jahren, dass die entwürdige­nde Untersuchu­ng verboten wird.

Dass die Abgeordnet­en am Dienstag in der Chamber dennoch über die Praxis diskutiert­en, liegt daran, dass es offenbar auch in Luxemburg Anfragen gibt, diese Tests durchzufüh­ren. Die zwei Petentinne­n, die in der Schule arbeiten, berichtete­n, Schülerinn­en seien an sie herangetre­ten. Meist sind diejenigen, die solche Tests anfragen, Eltern aus anderen Kulturkrei­sen, die sie als Beweis missverste­hen, dass die Tochter sexuell enthaltsam ist.

Dass der Wert einer Frau von einem intakten Stückchen Haut abhängen soll, sagt viel über den (nicht nur männlichen) Blick auf den weiblichen Körper aus. Es war Alice Schwarzer, die in ihrem Klassiker „Der kleine Unterschie­d und seine großen Folgen“von 1972 feststellt­e, dass „die Sexualität der Angelpunkt der Frauenfrag­e“sei.

Das ist keineswegs übertriebe­n: Der weibliche Körper wird seit Jahrtausen­den von Männern mit Argusaugen beobachtet und bewacht. Privat oder stellvertr­etend durch mächtige Institutio­nen und kulturelle Praktiken wurde und wird auf alle möglichen – und unmögliche­n – Arten und Weisen probiert, diesen zu domestizie­ren. Dabei geht es oftmals vordergrün­dig um die „richtige“Erscheinun­g und das „gebotene“Verhalten. Aber das dahinterli­egende Motiv ist stets das gleiche: den Zugang zur Frau und den Zugriff auf ihren Körper zu regeln, um die Kontrolle über die weibliche Lust und Empfängnis und letztlich der Reprodukti­on zu erhalten.

Ob in der Debatte um die Straffreih­eit des Schwangers­chaftsabbr­uchs, zur Genitalbes­chneidung oder zur „Rape Culture“– die Liste patriarcha­ler Praktiken und Konstrukte, um über den weiblichen Körper zu bestimmen und zu verfügen, scheint schier endlos – Jungfräuli­chkeitstes­ts sind da nur eine Form, wenngleich sie besonders krass und absurd erscheint. Anders als Frankreich hat Luxemburg den Test bisher nicht gesetzlich verboten – auch wenn die meisten Ärzte ihn nicht durchführe­n.

Dass die Gesundheit­sministeri­n und die Abgeordnet­en das Thema angehen wollen, ist also richtig und längst überfällig. Im selben Zug sollten auch sogenannte Rekonstruk­tionen des Hymen verboten werden. Mindestens genauso wichtig ist aber, sexistisch­e Rollenzuwe­isungen abzulehnen, eine für alle zugänglich­e, gleichbere­chtigte Sexualaufk­lärung für Jungen und Mädchen zu sichern, und für eine Sexualität von Männern und Frauen auf Augenhöhe einzutrete­n.

Der weibliche Körper wird seit Jahrtausen­den mit Argusaugen beobachtet und bewacht.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg