„Es wäre traumhaft gewesen, als Sportler an Olympia teilzunehmen“
Großherzog Henri spricht über die Bedeutung des Sports, seine Rolle im Internationalen Olympischen Komitee und seine sportliche Begabung
Großherzog Henri hat so manche Sportart ausprobiert. Vom Skifahren, über Tennis, Rugby und Kitesurfen war alles dabei. Der 69-Jährige ist ein begeisterter Wettkämpfer. „Jeder sollte Sport treiben. Er gehört für mich einfach zum Leben dazu“, sagt das Luxemburger Staatsoberhaupt. In exakt drei Monaten werden die Sommerspiele in Paris eröffnet. Dort würde der fünfmalige Familienvater nur zu gerne einem luxemburgischen Sportler eine Medaille umhängen.
Monseigneur, wie wichtig ist Ihnen sportliche Aktivität?
Sport sollte für das Leben eines jeden Menschen sehr wichtig sein. Ich selbst war immer aktiv. Meine Eltern haben stets viel Wert darauf gelegt. Bei mir hat es sehr früh mit Turnen angefangen. Mithilfe des Sports konnte ich meine Energie kanalisieren. Das war essenziell. Sporttreiben hat mit immer gut gefallen. Es hat mir aber vor allem auch gutgetan. Beim Sport kann ich wunderbar abschalten. Ich bekomme den Kopf frei. Wenn man viel unter Stress steht, ist es der perfekte Ausgleich.
In Frankreich gehörte ich dem Fechtteam der Schule an. Ich war Leichtathlet, insbesondere im Hochsprung war ich nicht unbegabt. Es kamen weitere Sportarten hinzu: Schwimmen, Segeln, Windsurfen, Kitesurfen. Ich habe vieles ausprobiert. Manches beherrschte ich besser, manches weniger gut.
Wir sind immer schon in der Familie
Ski gefahren. Zu dieser Sportart habe ich eine ganz besondere Beziehung. Ich war durchaus ambitioniert und ehrgeizig. Ich habe immer versucht, eine Sportart so gut es mir möglich war, zu beherrschen. Auch Teamsportarten habe ich ausprobiert: Am Volleyball und am Rugby hatte ich viel Freude.
Sind Sie heute weiterhin sportlich aktiv?
Absolut. Ich versuche, das auch so vorzuleben und zu vermitteln. Mit den Kindern und Enkelkindern ist immer etwas zu Hause los. Skifahren und Schwimmen stehen hoch im Kurs. Großherzogin Maria Teresa und ich haben stets versucht, unsere Kinder zur sportlichen Aktivität zu motivieren. Prinz Guillaume hat lange Fußball gespielt, Prinz Félix ist ein sehr guter Tennisspieler.
Gab es eine Sportart, in der Sie besonders talentiert waren und vielleicht gar damit liebäugelten, sie auf hohem internationalem Niveau zu betreiben?
Wenn man das machen möchte, muss man viel Zeit investieren. Und die hatte ich nicht. Ich war stets wegen zahlreicher Aktivitäten in Luxemburg und schulischer Verpflichtungen im Ausland eingebunden. Sport stand nie 100 Prozent in meinem Fokus. Dennoch habe ich stets versucht, ein gewisses Niveau zu erreichen. Es wäre traumhaft gewesen, als Sportler an Olympischen Spielen teilzunehmen. Fürst Albert von Monaco hat das im Bobsport geschafft. Ich finde das bemerkenswert. Für mich war diese Chance aber nie greifbar. Skifahren ist wohl die Sportart, in der ich am talentiertesten bin.
Wurde Ihnen die Neugier am Sport durch Ihren Vater Großherzog Jean in die Wiege gelegt?
Ja, ganz klar. Mein Vater war ein großer Sportler. Die bedauerlichen Gegebenheiten des Zweiten Weltkriegs begrenzten natürlich die Möglichkeiten. Aber durch die Armee war er dennoch sportlich. Er hat viel Tennis gespielt. Wir standen oft miteinander und gegeneinander auf dem Platz. Wir sind, auch zusammen mit meiner Mutter, Ski gefahren. Es gab stets ein paar familiäre Challenges und ein kleiner kompetitiver Gedanke. Das fand ich immer sehr schön.
Kommen wir zum Olympia-Thema. Sie sind seit 1998 Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees. Können Sie erläutern, wie es dazu kam?
Ich hatte das ganz große Glück, dass mein Vater Jean mich, nach Absprache mit der olympischen Familie, als sein Nachfolger vorschlug. Das war 1998 in Nagano der Fall. Er gehörte dem IOC mehr als 50 Jahre lang an (von 1946 an, Anm. d. Red.). Er wurde sehr respektiert und war das dienstälteste Mitglied. Irgendwann entschied er, es wäre nun an der Zeit, sich zurückzuziehen.
: Die OlympiaOrganisatoren wollen mich stets auf den Tribünen zu den Staatsund Regierungschefs platzieren. Ich schlage das immer aus.
Juan Antonio Samaranch war damals IOC-Präsident. Er hat mich dem Plenum vorgeschlagen und ich wurde kooptiert.
Für mich war das ein ganz großer Tag mit vielen Emotionen. Es ist mir weiterhin eine Freude, dem Olympischen Komitee anzugehören. Man hat eine gewisse Verantwortung. Denn man kann etwas bewirken. Die olympische Bewegung hat durch den Sport schon so manch friedlichen Impuls – auch unter verfeindeten Lagern – gesetzt.
Sie sind beim IOC Mitglied der olympischen Solidaritätskommission. Welche Aufgaben warten dort auf Sie? Und worauf sind Sie in dem Zusammenhang besonders stolz?
Der olympische Solidaritätsgedanke ist außergewöhnlich. Wir bewirken etwas in den Ländern, in denen der Sport keine große Rolle spielt oder in den Nationen, die finanziell keinen enormen Spielraum haben, um ihn gebührend zu fördern.
Das Flüchtlingsteam ist ein Riesenerfolg. Erstmals startete es 2016 in Rio de Janeiro. Ich kann mich genau erinnern, als sich alle Zuschauer im Stadion bei der Eröffnungszeremonie erhoben und jubelten, um die Mannschaft willkommen zu heißen. Das war formidabel. Und die Initiative läuft glücklicherweise weiterhin.
Der Sport ist ein Instrument, um Länder und Leute zusammenzubringen. In Pyeongchang haben wir es 2018 fertiggebracht, dass Süd- und Nordkorea ein gemeinsames Eishockeyteam bei den Frauen bildeten. Während einiger Zeit haben beide Nationen danach positivere Gespräche geführt als zuvor. Leider hat das nicht lange angehalten. Aber: Solche Friedensbemühungen sind nie umsonst. Auch kleine Impulse können eine große Wirkung haben. Die Kraft des Sports sollte niemals unterschätzt werden.
Gibt es einen olympischen Moment, der Sie besonders geprägt hat?
Ich war erstmals 1972 bei den Sommerspielen in München vor Ort. Das OlympiaAttentat war dramatisch und ein riesiger Schock. Ich war damals 17 Jahre alt. Elf israelische Sportler, Betreuer und Trainer wurden ermordet. Das war grausam. Es war eine Zäsur. Es gab die Olympischen Spiele vor 1972 und die danach. Davor war das Umfeld sehr entspannt und locker. Es gab keine großen Sicherheitskontrollen. Das war nach dem Attentat anders. Die Spiele heute sind sehr reglementiert und abgeschottet.
Aus sportlicher Sicht fallen mir sofort zwei Wettbewerbe ein. 2008 in Peking, als Andy Schleck im Radrennen Platz fünf erreichte (später avancierte er auf Rang vier vor, weil Davide Rebellin wegen Dopings disqualifiziert wurde, Anm. d. Red.). Zusammen mit meiner Frau habe ich ihn angefeuert. Die Enttäuschung war nach dem Rennen groß. Andy lag lange Zeit an der Spitze. Da habe ich wirklich an die Medaille geglaubt.
2012 in London ist Judoka Marie Muller als Fünfte knapp an der Bronzemedaille vorbeigeschrammt. Die Kampfrichter entschieden im entscheidenden Duell um Bronze zu Gunsten ihrer Gegnerin. Beide Male habe ich die Medaillen an die drei Ersten überreicht. Leider haben die Luxemburger den Sprung aufs Podium knapp nicht geschafft.
Das waren dennoch fantastische Momente. Sie beweisen, dass Luxemburger Sportler auf allerhöchstem Niveau konkurrieren können. Solche Lokomotiven wie vor einigen Jahren im Radsport oder jetzt in der Leichtathletik sorgen für nationale Begeisterung und Euphorie.
Das war auch so, als Andy und Fränk Schleck gemeinsam in Paris auf dem Podium der Tour de France standen. Das hatte es so noch nie gegeben. Die beiden waren weltweit in den Schlagzeilen. Die Frankreich-Rundfahrt hat für mich ohnehin einen besonderen Stellenwert. Ich habe sie mir stundenlang zusammen mit meinem Vater am Fernseher angesehen. Luxemburger auf dem Podium der Tour de France, das war und ist auch heute noch außergewöhnlich.
Wie intensiv verfolgen Sie die Sportaktualität?
Ich lese die Zeitungen und schaue mir am Fernsehen sehr gerne Tennis an. Fußball verfolge ich bei Weltmeisterschaften. Rugby steht bei einigen meiner Kinder hoch im Kurs. Wir schauen uns Begegnungen gemeinsam an. Mit sehr viel Freude verfolge ich die Partien und die Entwicklung der Luxemburger Fußball-Nationalmannschaft. Was die in der jüngeren Vergangenheit geleistet hat, ist bemerkenswert. Es ist ein weiterer Beweis dafür, dass man auch im kleinen Luxemburg Fantastisches bewirken kann.
In welchen Bereichen sollte man hierzulande weitere Anstrengungen machen?
Mir erscheint wichtig, dass die Kinder noch mehr dazu angetrieben werden, sich sportlich zu betätigen. Wegen der digitalen Welt mit Smartphones, Tablets und sozialen Medien ist es nicht einfacher geworden, den Nachwuchs zu motivieren. Ich denke, in der Schule kann man in jungen Jahren Hebel in Bewegung setzen.
Dort ist es wichtig, den Nachwuchs zu begeistern. Die Sportkultur kann in Luxem
burg einen höheren und wichtigeren Stellenwert vertragen.
Freuen Sie sich bereits auf die Sommerspiele in Paris? Werden Sie anwesend sein?
Die Franzosen werden alles dransetzen, außergewöhnliche Spiele auf die Beine zu stellen. Das wird ihnen gelingen. Ich freue mich wirklich. Wir werden als Familie dabei sein und versuchen, möglichst viele Wettbewerbe zu sehen und die Luxemburger Sportler tatkräftig zu unterstützen.
Sind Sie bei den sportlichen Großevents stets in offizieller Mission unterwegs oder sind Sie dort vor allem Fan? Dürfen Sie auf der Tribüne auch mal ausgelassen jubeln?
Ja, absolut. Das ist gar kein Problem. Ich darf meinen Emotionen freien Lauf lassen. Im Sport sind die ohnehin nicht immer kontrollierbar. Ich bin in solchen Momenten eher Fan und IOC-Mitglied als Großherzog. Die Olympia-Organisatoren wollen mich stets auf den Tribünen zu den Staats- und Regierungschefs platzieren.
Ich schlage das immer aus. Ich ziehe es vor, mich zu den anderen IOC-Mitgliedern zu setzen.
Ich hoffe, dass meine Unterstützung den Luxemburger Athleten hilft. Ich finde es wichtig, ihnen den Rücken zu stärken. Bei den Spielen der kleinen europäischen Staaten ist die Nähe noch einmal eine ganz andere. Es ist sehr familiär. Ich habe wirklich sehr viel Freude daran, dabei zu sein.
Die Sportkultur kann in Luxemburg einen höheren und wichtigeren Stellenwert vertragen.
Luxemburg wartet seit mehr als 70 Jahren auf eine Olympia-Medaille bei Sommerspielen. 1952 überreichte Ihr Vater Josy Barthel die Goldmedaille in Helsinki. Träumen Sie davon, es ihm in naher Zukunft gleichzutun?
Das wäre traumhaft. Ich habe den Eindruck, dass wir diesem Ziel immer näher kommen. Irgendwann wird der Moment da sein. Je früher, umso besser, auch wenn am olympischen Motto von Pierre de Coubertin „Dabei sein ist alles“was Wahres dran ist.