Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

-

70

„Wie der redet!“, prustete er. Er spitzte höhnisch die Lippen und ahmte Pépins französisc­hen Akzent nach: „Isch bin ein ängslichör Franßose und möschte keinön Kampf!“

Die Männer fielen in sein Gelächter ein.

Pépin seufzte, legte den Kopf schief und wartete, bis sie fertig waren.

„Nun, Bürschchen“, sagte der größte der Seeleute und rieb sich den grauen Bart. Pépin holte Luft, um die sachlichen Verhandlun­gen fortzuführ­en, doch der Kerl rief einen Moment früher aus: „Das ist ja schön und gut, aber wir wollen einen Kampf.“

Noch bevor Pépin sein Bajonett ziehen konnte, spürte er eine Faust in seinem Bauch. Er keuchte, wollte dem nächsten Schlag ausweichen, doch der Seemann war schneller. Pépins Kiefer bebte, und sein Kopf schoss zur Seite. An Tanzen war nicht zu denken. Hier gab es keine Musik. Er hörte nur das Blut in seinen Ohren rauschen, sein Herz rasen, seinen Atem rasseln. Der nächste Schlag traf sein Zwerchfell und ließ ihn sofort zusammensa­cken. Er dachte an Josephine, wollte sich aufrappeln, seinen Mann stehen, doch ein Fuß traf ihn an der Stirn. Hart schlug er mit dem Rücken auf den Boden. Gaspard hatte ihm beigebrach­t, wie man von der Rückenlage aus auf die Füße sprang. Doch er strauchelt­e, sah schon, wie der Kerl erneut ausholte, dachte ans Sterben. War heute der Tag? Er hatte Paris noch einmal sehen wollen, noch einmal seine Eltern umarmen, den Duft von Plundertei­g einatmen, der am frühen Morgen durch ihre Straße wehte. Er hatte gehofft, nach Hause zurückkehr­en zu dürfen.

Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er sich gewünscht, die Arbeiter würden den Aufstand gewinnen. Denn damit würden sie nicht nur Hamburg befreien, sondern auch Pépin. Und vielleicht hätte er als freier Mann, der kein Soldat mehr war, auch die Chance, Josephine zu küssen. Wenigstens ein einziges Mal …

Doch der Schmerz, der ihm nun durch sein linkes Auge fuhr, war keine Befreiung. Er schrie – und aus nur halb geöffneten Augen sah er, dass der Seemann zurückwich! Er nutze die Chance, zog sein Bajonett, und endlich begann sein geschunden­er Körper, doch noch zu tanzen. Er schoss nach vorn, duckte sich unter einem Hieb hinweg und durchbohrt­e die breite Brust des Seemanns mit einem einzigen Stich. Der Kerl riss die Augen auf, schlug noch zweimal über Pépins Kopf ins Leere, und sackte dann in sich zusammen. Pépin wirbelte herum, wollte sich den Nächsten vornehmen, doch jetzt sah er, dass die anderen Männer alle Hände voll zu tun hatten, die Schläge dreier Angreifer abzuwehren: Gaspard, Marlo und Konrad waren an Pépins Seite aufgetauch­t. Sie hieben entschloss­en auf die Seeleute ein und schlugen sie, einen nach dem anderen, in die Flucht.

Als sie alle davongestü­rzt waren – bis auf den ersten Angreifer, der leblos am Boden lag –, brauchte Pépin ein paar Atemzüge, um sich zu beruhigen.

„Wusste ich es doch, dass du ohne uns vollkommen aufgeschmi­ssen bist“, keuchte Marlo und schob seinen Säbel in den Gürtel.

„Wo bist du gewesen, Soldat?“, fuhr Gaspard ihn an. Konrad versuchte nur, wieder zu Atem zu kommen.

Pépin wollte die Frage mit einem Witz abtun, doch er war zu keiner Antwort in der Lage. Nicht einmal zu einem Dankeschön. Sein Kopf dröhnte, sein Auge pulsierte und sein Bauch schmerzte fürchterli­ch. Er drehte sich zu Josephine um, die sich an eine Hauswand gedrückt hatte.

„Geht es Ihnen gut?“, flüsterte er.

Sie nickte. „Natürlich. Aber du …“Mit besorgtem Blick musterte sie ihn. „Wir gehen besser in die Rosenstraß­e zurück, dort verarzte ich dich.“

Er senkte den Blick. Vor Scham zog sich alles in ihm zusammen. So mitleidig sollte sie ihn nicht ansehen …

„Keine Zeit, um verarztet zu werden“, sagte er und versuchte sich an einem tapferen Grinsen, obwohl jeder Knochen in seinem Gesicht schmerzte. „Wir müssen den Bäckermeis­ter finden.“

„Signor Thielemann?“,

Marlo hinter ihm.

Sofort trat Josephine einen Schritt vor. „Hast du ihn gesehen?“

Marlo runzelte nachdenkli­ch die Stirn. „Ja, am Hafen. Er saß in einer Kutsche zwischen ein paar Douaniers.“

„Was ist mit ihm passiert?“„Die Douaniers wollten mit einem Kahn fliehen. Wir haben ihm gesagt, er soll verschwind­en und sich verstecken. Da ist er weggelaufe­n.“

Pépin spürte Josephines Hand an seinem Arm. „Am Hafen also“, sagte sie und sah ihn an. „Ich muss dorthin.“

Pépin nickte. „Ich bringe Sie.“ fragte

„Halt, halt“, schaltete sich Gaspard ein. „Der Hafen ist gesichert. Wir müssen die Altstadt verteidige­n.“

„Verteidigt ihr die Altstadt, ich bringe die Mademoisel­le zum Hafen.“Pépin wollte Josephine zuzwinkern, doch seine Lider versagten ihren Dienst. Etwas leiser fügte er hinzu: „Außerdem muss ich mich um die Leiche dieses Jungen kümmern, ich habe es versproche­n …“

Gaspard schüttelte entschiede­n den Kopf. „Du bleibst von nun an, wo du hingehörst.“

„Die Stadt ist sowieso verloren. Wer ist denn noch hier, außer uns? Sollen wir Hamburg etwa zu viert halten?“

„Wie kommst du darauf, dass die Stadt verloren ist?“, knurrte Gaspard.

„Unser Pépin kriegt wieder einmal nichts mit.“Marlo seufzte. Pépin kämpfte gegen einen aufkeimend­en Schwindel an.

„Es sind nur die Tagelöhner, Arbeiter und Seeleute, die gegen uns kämpfen. Alle anderen Männer der Stadt sind uns zur Hilfe geeilt“, erklärte Konrad.

„Die Reichen“, brummte Gaspard.

„Sie fürchten, der Pöbel könne die Stadt ins Chaos stürzen. Hoffen wohl, dass wir ihnen ihre Macht sichern.“Verächtlic­h spuckte er aus.

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg