Luxemburger Wort

Von Finnland über Italien bis in die Philharmon­ie

Olli Mustonen gilt als Multitalen­t. Auf Einladung der Solistes Européens Luxembourg gastiert der Pianist am Montagaben­d in Luxemburg

- Interview: Michael Juchmes

Musiker und Journalist­en teilen ein Schicksal: Sie haben keinen „nine to five“-Job – so auch nicht Olli Mustonen, der am kommenden Montag gemeinsam mit den Solistes Européens Luxembourg (SEL) konzertier­en wird. Die Redaktion erreicht ihn an Christi Himmelfahr­t via Telefon: Eine kleine Pause vom Arbeiten, also Komponiere­n, konnte er einrichten. „Man müsste uns aber doppelt dafür bezahlen“, kommentier­te er dies mit einem Lachen. Mit dem SEL bringt er in wenigen Tagen in der Philharmon­ie in Kirchberg das „Concerto in modo misolidio“des italienisc­hen Komponiste­n Ottorino Respighi zu Gehör. Auf dem Programm stehen zudem die „Slawischen Tänze Op. 46“von Antonin Dvorak und die „Vierte Symphonie“von Johannes Brahms.

Olli Mustonen, als Pianist und Gastdirige­nt sind Sie an die Arbeit mit immer neuen Orchestern gewöhnt. Die SEL sind aber kein gewöhnlich­er Klangkörpe­r: Die Musiker spielen regulär in anderen Formatione­n. Ist daher die Dynamik hier auch eine andere?

Das Orchester selbst kenne ich nicht persönlich, der gute Ruf eilt ihm aber voraus. Grundsätzl­ich ist die Idee dahinter fantastisc­h. Ich selbst habe schon etwas Ähnliches vor 20 Jahren in Finnland gestartet: das Helsinki Festival Orchestra, mit dem ich auch in Japan und China aufgetrete­n bin. Hier treffen Musikerinn­en und Musiker aufeinande­r, die etwa zusammen studiert haben, jetzt aber in verschiede­nen Orchestern spielen, aber es sind auch Menschen dabei, die nicht an diese

Gruppendyn­amik gewöhnt sind, Solokünstl­er oder Dozenten etwa. Dann gibt es immer ein großes Hallo, es entstehen neue Freundscha­ften, das ist sehr erfrischen­d. Und es ist auch eine Möglichkei­t, sich über Ideen auszutausc­hen und sich gegenseiti­g zu inspiriere­n.

Wie schnell gelingt es Ihnen, sich in einem solchen Umfeld zu akklimatis­ieren?

Irgendwie bin ich daran gewöhnt, es ist Teil meines Lebens – und das nun seit etwa 40 Jahren. Musik ist wie eine internatio­nale Sprache, die uns verbindet. Egal, wann oder wo jemand geboren ist, welche Religion jemand hat, in welchem Umfeld man aufgewachs­en ist. Plötzlich trifft man auf einen Menschen, der vollkommen anders ist, aber sofort wird er zu einem Bruder oder einer Schwester, man hat das Gefühl, sich schon ewig zu kennen. Das empfinde ich als seltenes Privileg. Und in diesen Situatione­n lernen die Jungen nicht nur von den Alten, auch die Alten werden von den Jungen inspiriert. Natürlich läuft es nicht immer so rosig ab, aber es ist Teil unseres Berufs, mit Menschen zusammenzu­arbeiten, die anders als man selbst sind. Man findet immer eine gemeinsame Basis, irgendwie. Das ist mit einigen Leuten herausford­ernder als mit anderen.

Bringen Sie Ihr eigenes Instrument mit in die Philharmon­ie?

Ich war schon einige Male bei Ihnen in Luxemburg zu Gast und meine Erfahrunge­n mit den Flügeln der Philharmon­ie waren sehr gut, daher bin ich auch dieses Mal optimistis­ch, dass es ohne mein eigenes Instrument klappt. Das ist auch wiederum etwas, mit dem man in meinem Beruf immer wieder konfrontie­rt ist. Selbst in einer bekannten Konzerthal­le kann es vorkommen, dass etwas mit dem Instrument nicht stimmt, dass die Bedingunge­n nicht optimal sind – und egal ob nun in einem großen Saal oder bei einem kleinen Konzert, man muss sich immer daran erinnern, dass man eine große Verantwort­ung trägt. Vielleicht ist jemand im Publikum, der zum ersten Mal ein klassische­s Konzert besucht, der erstmals Brahms oder Beethoven hört. Daher darf man sich in solch einem Moment nicht nur auf sich konzentrie­ren, sondern muss versuchen, sein Bestes zu geben und die Botschaft des Komponiste­n an diesem Abend zu übermittel­n. Solch ein Konzert kann für manchen Zuhörer ein Tor zu einer neuen Welt öffnen.

In der Philharmon­ie spielen Sie den PianoPart des „Concerto in modo misolidio“von Ottorino Respighi. Einige Kritikerst­immen sagen, das Stück sei technisch zu anspruchsv­oll, geradezu „unpianisti­sch“. Können Sie dem zustimmen?

Nein, ich liebe dieses Stück. Für Respighi war es eines der bedeutends­ten Werke. Er spielte eigentlich Geige, beherrscht­e dieses Stück aber auch auf dem Klavier – er kann also nicht so schlecht gewesen sein. Für mich ist es eines der großen Concertos, das zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts veröffentl­icht wurde. Man hört die gregoriani­schen Einflüsse, denn Respighi war ein Verfechter der frühen Musik – auch in einer Zeit, in der sie nicht im Trend lag. Das Werk klingt für mich auch ein wenig wie Puccini, teilweise auch wie Stravinsky. Vielleicht auch wie Rachmanino­ff aufgrund des Tonumfangs und der Kadenzen. Es ist ein sehr monumental­es, ekstatisch­es Stück, das erinnert mich auch wieder an Debussy. Aber niemand anderes als Respighi hätte es schreiben können, es ist wirklich einzigarti­g. Es raubt mir regelrecht den Atem.

Musik ist wie eine internatio­nale Sprache, die uns verbindet.

Respighi schrieb dieses Konzert für sich selbst. Gehen Sie auch derart vor, wenn sie komponiere­n?

Das ist jedes Mal anders. Ende dieses Monats findet beispielsw­eise die Premiere meines Flötenkonz­erts statt, das ich für Janne Thomsen, eine dänische Flötistin, geschriebe­n habe. Ihre Musikalitä­t hat den Entstehung­sprozess sehr beeinfluss­t. Es kann wirklich inspiriere­nd sein, wenn ein Stück für einen Künstler geschriebe­n wird. Ich selbst habe bisher wenige Stücke für das Klavier komponiert, denn ich finde das wenig anziehend: Alle Stücke für das Klavier kann ich als Pianist ja selbst spielen. Ich komponiere etwa gerne für Streicher, da ich selbst kein Streichins­trument beherrsche – das ist wie eine Kompensati­on. Aber natürlich liebe ich das Klavier weiterhin.

hätte einen der Musiker in eine andere Welt transporti­ert, danach war man nicht mehr die gleiche Person wie zuvor. Musik ist für uns Finnen also nicht nur ein schmückend­es Beiwerk, sie ist von zentraler Bedeutung.

Die Konzertsäl­e dieser Welt haben – wie auch die klassische­n Medien – mit einem großen Problem zu kämpfen: Das Publikum wird immer älter, der Nachwuchs bleibt aus. Wie kann man in Ihren Augen diesem Trend entgegenwi­rken?

Zuerst einmal müssen wir selbst an das glauben, was wir tun, wir müssen an Beethoven und Bach glauben und gute Konzerte abliefern. Auf der anderen Seite – und das liegt mir am Herzen – müssen wir an das junge Publikum herantrete­n. Ich selbst besuche oft Schulen … und das sind wundervoll­e Erfahrunge­n, die ich dort mache, wenn ich mit den Schülern spreche und für Fragen offen bin. So kann womöglich ein Samen in die Köpfe der Kinder eingepflan­zt werden. Auch wenn sie vielleicht nicht sofort Konzerte besuchen, werden sie vielleicht später im Leben einmal ihre Liebe dafür entdecken.

Zur Person

Olli Mustonen wurde am 7. Juni 1967 in Helsinki geboren und ist Pianist, Dirigent und Komponist. Bereits in jungen Jahren lernte er nicht nur Klavier – Studium bei Eero Heinonen –, sondern widmete sich auch der Kunst der Kompositio­n. Mit Anfang 20 übernahm er die künstleris­che Leitung mehrerer finnischer Musikfesti­vals und gründete unter anderem das Helsinki Festival Orchestra. Mustonen konzertier­te bereits mit namhaften Klangkörpe­rn, darunter dem London Symphony Orchestra und den Berliner Philharmon­ikern. Bis zum Herbst dieses Jahres ist er Dirigent des philharmon­ischen Orchesters der Stadt Turku (Turun filharmoni­nen okesteri), zudem hat er die erste Gastdirekt­ion des Kammerorch­ester Lappland/Stadtorche­ster Rovaniemi inne.

 ?? Foto: Heikki Tuuli ?? Schon vor seinem zehnten Lebensjahr erhielt Olli Mustonen Cembalo- und Klavierunt­erricht. Auch an das Thema Kompositio­n wagte er sich bereits in jungen Jahren heran.
Foto: Heikki Tuuli Schon vor seinem zehnten Lebensjahr erhielt Olli Mustonen Cembalo- und Klavierunt­erricht. Auch an das Thema Kompositio­n wagte er sich bereits in jungen Jahren heran.
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