Von Finnland über Italien bis in die Philharmonie
Olli Mustonen gilt als Multitalent. Auf Einladung der Solistes Européens Luxembourg gastiert der Pianist am Montagabend in Luxemburg
Musiker und Journalisten teilen ein Schicksal: Sie haben keinen „nine to five“-Job – so auch nicht Olli Mustonen, der am kommenden Montag gemeinsam mit den Solistes Européens Luxembourg (SEL) konzertieren wird. Die Redaktion erreicht ihn an Christi Himmelfahrt via Telefon: Eine kleine Pause vom Arbeiten, also Komponieren, konnte er einrichten. „Man müsste uns aber doppelt dafür bezahlen“, kommentierte er dies mit einem Lachen. Mit dem SEL bringt er in wenigen Tagen in der Philharmonie in Kirchberg das „Concerto in modo misolidio“des italienischen Komponisten Ottorino Respighi zu Gehör. Auf dem Programm stehen zudem die „Slawischen Tänze Op. 46“von Antonin Dvorak und die „Vierte Symphonie“von Johannes Brahms.
Olli Mustonen, als Pianist und Gastdirigent sind Sie an die Arbeit mit immer neuen Orchestern gewöhnt. Die SEL sind aber kein gewöhnlicher Klangkörper: Die Musiker spielen regulär in anderen Formationen. Ist daher die Dynamik hier auch eine andere?
Das Orchester selbst kenne ich nicht persönlich, der gute Ruf eilt ihm aber voraus. Grundsätzlich ist die Idee dahinter fantastisch. Ich selbst habe schon etwas Ähnliches vor 20 Jahren in Finnland gestartet: das Helsinki Festival Orchestra, mit dem ich auch in Japan und China aufgetreten bin. Hier treffen Musikerinnen und Musiker aufeinander, die etwa zusammen studiert haben, jetzt aber in verschiedenen Orchestern spielen, aber es sind auch Menschen dabei, die nicht an diese
Gruppendynamik gewöhnt sind, Solokünstler oder Dozenten etwa. Dann gibt es immer ein großes Hallo, es entstehen neue Freundschaften, das ist sehr erfrischend. Und es ist auch eine Möglichkeit, sich über Ideen auszutauschen und sich gegenseitig zu inspirieren.
Wie schnell gelingt es Ihnen, sich in einem solchen Umfeld zu akklimatisieren?
Irgendwie bin ich daran gewöhnt, es ist Teil meines Lebens – und das nun seit etwa 40 Jahren. Musik ist wie eine internationale Sprache, die uns verbindet. Egal, wann oder wo jemand geboren ist, welche Religion jemand hat, in welchem Umfeld man aufgewachsen ist. Plötzlich trifft man auf einen Menschen, der vollkommen anders ist, aber sofort wird er zu einem Bruder oder einer Schwester, man hat das Gefühl, sich schon ewig zu kennen. Das empfinde ich als seltenes Privileg. Und in diesen Situationen lernen die Jungen nicht nur von den Alten, auch die Alten werden von den Jungen inspiriert. Natürlich läuft es nicht immer so rosig ab, aber es ist Teil unseres Berufs, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die anders als man selbst sind. Man findet immer eine gemeinsame Basis, irgendwie. Das ist mit einigen Leuten herausfordernder als mit anderen.
Bringen Sie Ihr eigenes Instrument mit in die Philharmonie?
Ich war schon einige Male bei Ihnen in Luxemburg zu Gast und meine Erfahrungen mit den Flügeln der Philharmonie waren sehr gut, daher bin ich auch dieses Mal optimistisch, dass es ohne mein eigenes Instrument klappt. Das ist auch wiederum etwas, mit dem man in meinem Beruf immer wieder konfrontiert ist. Selbst in einer bekannten Konzerthalle kann es vorkommen, dass etwas mit dem Instrument nicht stimmt, dass die Bedingungen nicht optimal sind – und egal ob nun in einem großen Saal oder bei einem kleinen Konzert, man muss sich immer daran erinnern, dass man eine große Verantwortung trägt. Vielleicht ist jemand im Publikum, der zum ersten Mal ein klassisches Konzert besucht, der erstmals Brahms oder Beethoven hört. Daher darf man sich in solch einem Moment nicht nur auf sich konzentrieren, sondern muss versuchen, sein Bestes zu geben und die Botschaft des Komponisten an diesem Abend zu übermitteln. Solch ein Konzert kann für manchen Zuhörer ein Tor zu einer neuen Welt öffnen.
In der Philharmonie spielen Sie den PianoPart des „Concerto in modo misolidio“von Ottorino Respighi. Einige Kritikerstimmen sagen, das Stück sei technisch zu anspruchsvoll, geradezu „unpianistisch“. Können Sie dem zustimmen?
Nein, ich liebe dieses Stück. Für Respighi war es eines der bedeutendsten Werke. Er spielte eigentlich Geige, beherrschte dieses Stück aber auch auf dem Klavier – er kann also nicht so schlecht gewesen sein. Für mich ist es eines der großen Concertos, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurde. Man hört die gregorianischen Einflüsse, denn Respighi war ein Verfechter der frühen Musik – auch in einer Zeit, in der sie nicht im Trend lag. Das Werk klingt für mich auch ein wenig wie Puccini, teilweise auch wie Stravinsky. Vielleicht auch wie Rachmaninoff aufgrund des Tonumfangs und der Kadenzen. Es ist ein sehr monumentales, ekstatisches Stück, das erinnert mich auch wieder an Debussy. Aber niemand anderes als Respighi hätte es schreiben können, es ist wirklich einzigartig. Es raubt mir regelrecht den Atem.
Musik ist wie eine internationale Sprache, die uns verbindet.
Respighi schrieb dieses Konzert für sich selbst. Gehen Sie auch derart vor, wenn sie komponieren?
Das ist jedes Mal anders. Ende dieses Monats findet beispielsweise die Premiere meines Flötenkonzerts statt, das ich für Janne Thomsen, eine dänische Flötistin, geschrieben habe. Ihre Musikalität hat den Entstehungsprozess sehr beeinflusst. Es kann wirklich inspirierend sein, wenn ein Stück für einen Künstler geschrieben wird. Ich selbst habe bisher wenige Stücke für das Klavier komponiert, denn ich finde das wenig anziehend: Alle Stücke für das Klavier kann ich als Pianist ja selbst spielen. Ich komponiere etwa gerne für Streicher, da ich selbst kein Streichinstrument beherrsche – das ist wie eine Kompensation. Aber natürlich liebe ich das Klavier weiterhin.
hätte einen der Musiker in eine andere Welt transportiert, danach war man nicht mehr die gleiche Person wie zuvor. Musik ist für uns Finnen also nicht nur ein schmückendes Beiwerk, sie ist von zentraler Bedeutung.
Die Konzertsäle dieser Welt haben – wie auch die klassischen Medien – mit einem großen Problem zu kämpfen: Das Publikum wird immer älter, der Nachwuchs bleibt aus. Wie kann man in Ihren Augen diesem Trend entgegenwirken?
Zuerst einmal müssen wir selbst an das glauben, was wir tun, wir müssen an Beethoven und Bach glauben und gute Konzerte abliefern. Auf der anderen Seite – und das liegt mir am Herzen – müssen wir an das junge Publikum herantreten. Ich selbst besuche oft Schulen … und das sind wundervolle Erfahrungen, die ich dort mache, wenn ich mit den Schülern spreche und für Fragen offen bin. So kann womöglich ein Samen in die Köpfe der Kinder eingepflanzt werden. Auch wenn sie vielleicht nicht sofort Konzerte besuchen, werden sie vielleicht später im Leben einmal ihre Liebe dafür entdecken.
Zur Person
Olli Mustonen wurde am 7. Juni 1967 in Helsinki geboren und ist Pianist, Dirigent und Komponist. Bereits in jungen Jahren lernte er nicht nur Klavier – Studium bei Eero Heinonen –, sondern widmete sich auch der Kunst der Komposition. Mit Anfang 20 übernahm er die künstlerische Leitung mehrerer finnischer Musikfestivals und gründete unter anderem das Helsinki Festival Orchestra. Mustonen konzertierte bereits mit namhaften Klangkörpern, darunter dem London Symphony Orchestra und den Berliner Philharmonikern. Bis zum Herbst dieses Jahres ist er Dirigent des philharmonischen Orchesters der Stadt Turku (Turun filharmoninen okesteri), zudem hat er die erste Gastdirektion des Kammerorchester Lappland/Stadtorchester Rovaniemi inne.