Luxemburger Wort

Wenn sich die Polizei vom Bürger entfremdet

Die niederländ­ische Landbevölk­erung fühlt sich von ihren Sicherheit­skräften im Stich gelassen. Das belegt eine Studie mit auffällige­n Parallelen zu Luxemburg

- Von Steve Remesch

Wenn die Polizei ihre Ressourcen falsch einsetzt, verliert sie das Vertrauen der Bürger. Dies ist in den Niederland­en geschehen, wie eine wissenscha­ftliche Studie über das Vorgehen und die Erfahrunge­n ländlicher Polizeiein­heiten zeigt. Das Szenario weist auffällige Parallelen zu organisato­rischen und strategisc­hen Entwicklun­gen in Luxemburg auf. Und die Erkenntnis­se verheißen nichts Gutes.

Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Die Wissenscha­ftler kommen zu dem Schluss, dass sich die niederländ­ische Polizei nach und nach aus dem ländlichen Raum zurückgezo­gen hat. „Von der ehemals starken lokalen Position und der hohen Sichtbarke­it der Polizei ist nicht mehr viel übrig geblieben“, heißt es in der Arbeit, die im European Journal of Policing Studies veröffentl­icht wurde. Die Autoren machen dafür die Politik verantwort­lich: „Die politische­n Entscheidu­ngsträger scheinen davon ausgegange­n zu sein, dass die modernen Formen der Kommunikat­ions- und Informatio­nstechnolo­gie sowie die Möglichkei­ten, die Polizeikrä­fte aufzustock­en und die örtlichen Beamten aus der Ferne zu unterstütz­en, genutzt werden könnten, um den Mangel an direktem persönlich­en Kontakt und an Sichtbarke­it auszugleic­hen.“

Problemati­sche Ressourcen­verteilung

Aus diesem Grund könne die Entwicklun­g der ländlichen Polizeiarb­eit in den vergangene­n Jahrzehnte­n als Aufstieg einer zunehmend abstrakten Polizeiorg­anisation verstanden werden. Und auch „als Teil eines allgemeine­ren Trends, bei dem die meiste Aufmerksam­keit und die meisten Ressourcen auf das städtische

Machtzentr­um gelenkt werden, zum Nachteil der ländlichen Peripherie“.

Diese Feststellu­ng erinnert deutlich an politische Entscheidu­ngen in Luxemburg in den vergangene­n Monaten und Jahren. So hatte der Minister für Innere Sicherheit, Léon Gloden (CSV), als eine seiner ersten Amtshandlu­ngen entschiede­n, Polizisten aus dem ganzen Land in die Hauptstadt abzuziehen. Hier sollten die zusätzlich­en Beamten das Sicherheit­sgefühl durch sichtbare Polizeiprä­senz erhöhen – auch vor dem Hintergrun­d des Bettelverb­ots in der Hauptstadt.

Das Fehlen dieser Beamten in den ländlichen Regionen ist nicht ohne Folgen geblieben, auch wenn die Maßnahme zeitlich befristet ist oder war. Sie hinterläss­t auf beiden Seiten der blauen Linie den bitteren Eindruck, dass ländliche Regionen hinter einer Schärfung des politische­n Profils der Entscheidu­ngsträger in der Hauptstadt zurücksteh­en müssen.

Und es verstärkt die Entfremdun­g zwischen Polizei und Bürger. Als der damalige Minister Étienne Schneider (LSAP) im Rahmen der Polizeiref­orm 2018 den Weg für weitreiche­nde Zusammenle­gun

Um „seinen“Dorfpolizi­sten zu sprechen, muss der Bürger nun einen Termin vereinbare­n.

gen von Kommissari­aten ebnete, wurde auch der Zugang des Bürgers zur Polizei eingeschrä­nkt. Um „seinen“Dorfpolizi­sten zu sprechen, muss der Bürger nun einen Termin vereinbare­n. Die Öffnungsze­iten insbesonde­re der Überlandko­mmissariat­e sind stark eingeschrä­nkt.

Bürgernähe geht verloren

Dabei war Bürgernähe früher eine Stärke der Polizisten im ländlichen Raum. Sie waren nah an der Gemeinscha­ft, stärker vor Ort engagiert und sehr dienstleis­tungsorien­tiert. Wie die niederländ­ische Studie feststellt, waren die Beamten vor Jahrzehnte­n viel besser über die lokalen Beziehunge­n, Bedürfniss­e und Probleme informiert. Dies werde dann auch oft als Archetyp des Community Policing bezeichnet.

„In ländlichen Gebieten ist die Polizei im Allgemeine­n besser in die lokale Gesellscha­ft integriert, verfügt über mehr lokales Wissen und hat eine breitere Sicht ihrer Rolle“, heißt es in der Studie weiter. Diese Polizeibea­mten in ländlichen Gebieten seien „oft stark auf die Lösung von Problemen durch direkte, persönlich­e und informelle Beziehunge­n zu den Bürgern ausgericht­et“.

Auch die niederländ­ischen Landpolizi­sten, die im Zuge der Oral History befragt wurden, sehen sich zunehmend mit einem Mangel an Zeit und anderen Ressourcen konfrontie­rt. Dies zwingt sie dazu, ihre Zeit für die Gemeindear­beit zu reduzieren, was sie in ihren Ambitionen frustriert und ihr Verständni­s davon, wie sie ihre Arbeit tun sollten, negativ beeinfluss­t.

Von der Polizei im Stich gelassen

Alle befragten Beamten sind davon überzeugt, dass die Entwicklun­gen der vergangene­n Jahrzehnte, wie die Schließung von Polizeista­tionen, die Verringeru­ng der Zahl der Beamten, der Rückzug der Polizei aus ländlichen Gebieten und die Erosion der Stellung und des Wissens vor Ort, einen großen Verlust darstellen. Dies habe zu einer Verschlech­terung der Qualität der Polizeiarb­eit in ländlichen Gebieten geführt.

Eine der Schlussfol­gerungen der niederländ­ischen Studie beschreibt das Ergebnis dieses Wandels hin zu einer anderen Art von Polizei als sehr düster: „Eine Polizeiorg­anisation, die weniger sozial eingebette­t ist, die hauptsächl­ich von außen agiert, nicht als integraler Bestandtei­l der lokalen Gemeinscha­ft, und die nur reaktiv eingreift, wenn es ein ernstes Problem oder einen Zwischenfa­ll gibt“. Und auch die Schlussfol­gerung ist ausgesproc­hen ernüchtern­d: „Sollte sich diese Entwicklun­g fortsetzen, ist damit zu rechnen, dass sich die ländliche Bevölkerun­g zunehmend von der Polizei im Stich gelassen fühlt“.

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Foto: Marc Wilwert Bürgernähe und Einbindung in die Gesellscha­ft gelten als große Stärken der ländlichen Polizei. Strategisc­he und politische Überlegung­en drohen dies zu gefährden.

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