Wenn sich die Polizei vom Bürger entfremdet
Die niederländische Landbevölkerung fühlt sich von ihren Sicherheitskräften im Stich gelassen. Das belegt eine Studie mit auffälligen Parallelen zu Luxemburg
Wenn die Polizei ihre Ressourcen falsch einsetzt, verliert sie das Vertrauen der Bürger. Dies ist in den Niederlanden geschehen, wie eine wissenschaftliche Studie über das Vorgehen und die Erfahrungen ländlicher Polizeieinheiten zeigt. Das Szenario weist auffällige Parallelen zu organisatorischen und strategischen Entwicklungen in Luxemburg auf. Und die Erkenntnisse verheißen nichts Gutes.
Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass sich die niederländische Polizei nach und nach aus dem ländlichen Raum zurückgezogen hat. „Von der ehemals starken lokalen Position und der hohen Sichtbarkeit der Polizei ist nicht mehr viel übrig geblieben“, heißt es in der Arbeit, die im European Journal of Policing Studies veröffentlicht wurde. Die Autoren machen dafür die Politik verantwortlich: „Die politischen Entscheidungsträger scheinen davon ausgegangen zu sein, dass die modernen Formen der Kommunikations- und Informationstechnologie sowie die Möglichkeiten, die Polizeikräfte aufzustocken und die örtlichen Beamten aus der Ferne zu unterstützen, genutzt werden könnten, um den Mangel an direktem persönlichen Kontakt und an Sichtbarkeit auszugleichen.“
Problematische Ressourcenverteilung
Aus diesem Grund könne die Entwicklung der ländlichen Polizeiarbeit in den vergangenen Jahrzehnten als Aufstieg einer zunehmend abstrakten Polizeiorganisation verstanden werden. Und auch „als Teil eines allgemeineren Trends, bei dem die meiste Aufmerksamkeit und die meisten Ressourcen auf das städtische
Machtzentrum gelenkt werden, zum Nachteil der ländlichen Peripherie“.
Diese Feststellung erinnert deutlich an politische Entscheidungen in Luxemburg in den vergangenen Monaten und Jahren. So hatte der Minister für Innere Sicherheit, Léon Gloden (CSV), als eine seiner ersten Amtshandlungen entschieden, Polizisten aus dem ganzen Land in die Hauptstadt abzuziehen. Hier sollten die zusätzlichen Beamten das Sicherheitsgefühl durch sichtbare Polizeipräsenz erhöhen – auch vor dem Hintergrund des Bettelverbots in der Hauptstadt.
Das Fehlen dieser Beamten in den ländlichen Regionen ist nicht ohne Folgen geblieben, auch wenn die Maßnahme zeitlich befristet ist oder war. Sie hinterlässt auf beiden Seiten der blauen Linie den bitteren Eindruck, dass ländliche Regionen hinter einer Schärfung des politischen Profils der Entscheidungsträger in der Hauptstadt zurückstehen müssen.
Und es verstärkt die Entfremdung zwischen Polizei und Bürger. Als der damalige Minister Étienne Schneider (LSAP) im Rahmen der Polizeireform 2018 den Weg für weitreichende Zusammenlegun
Um „seinen“Dorfpolizisten zu sprechen, muss der Bürger nun einen Termin vereinbaren.
gen von Kommissariaten ebnete, wurde auch der Zugang des Bürgers zur Polizei eingeschränkt. Um „seinen“Dorfpolizisten zu sprechen, muss der Bürger nun einen Termin vereinbaren. Die Öffnungszeiten insbesondere der Überlandkommissariate sind stark eingeschränkt.
Bürgernähe geht verloren
Dabei war Bürgernähe früher eine Stärke der Polizisten im ländlichen Raum. Sie waren nah an der Gemeinschaft, stärker vor Ort engagiert und sehr dienstleistungsorientiert. Wie die niederländische Studie feststellt, waren die Beamten vor Jahrzehnten viel besser über die lokalen Beziehungen, Bedürfnisse und Probleme informiert. Dies werde dann auch oft als Archetyp des Community Policing bezeichnet.
„In ländlichen Gebieten ist die Polizei im Allgemeinen besser in die lokale Gesellschaft integriert, verfügt über mehr lokales Wissen und hat eine breitere Sicht ihrer Rolle“, heißt es in der Studie weiter. Diese Polizeibeamten in ländlichen Gebieten seien „oft stark auf die Lösung von Problemen durch direkte, persönliche und informelle Beziehungen zu den Bürgern ausgerichtet“.
Auch die niederländischen Landpolizisten, die im Zuge der Oral History befragt wurden, sehen sich zunehmend mit einem Mangel an Zeit und anderen Ressourcen konfrontiert. Dies zwingt sie dazu, ihre Zeit für die Gemeindearbeit zu reduzieren, was sie in ihren Ambitionen frustriert und ihr Verständnis davon, wie sie ihre Arbeit tun sollten, negativ beeinflusst.
Von der Polizei im Stich gelassen
Alle befragten Beamten sind davon überzeugt, dass die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, wie die Schließung von Polizeistationen, die Verringerung der Zahl der Beamten, der Rückzug der Polizei aus ländlichen Gebieten und die Erosion der Stellung und des Wissens vor Ort, einen großen Verlust darstellen. Dies habe zu einer Verschlechterung der Qualität der Polizeiarbeit in ländlichen Gebieten geführt.
Eine der Schlussfolgerungen der niederländischen Studie beschreibt das Ergebnis dieses Wandels hin zu einer anderen Art von Polizei als sehr düster: „Eine Polizeiorganisation, die weniger sozial eingebettet ist, die hauptsächlich von außen agiert, nicht als integraler Bestandteil der lokalen Gemeinschaft, und die nur reaktiv eingreift, wenn es ein ernstes Problem oder einen Zwischenfall gibt“. Und auch die Schlussfolgerung ist ausgesprochen ernüchternd: „Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, ist damit zu rechnen, dass sich die ländliche Bevölkerung zunehmend von der Polizei im Stich gelassen fühlt“.