Luxemburger Wort

Eine Kultgitarr­e feiert ihren 70. Geburtstag

Sie gilt als die populärste, meist kopierte und teuerste E-Gitarre der Welt. Die Fender Stratocast­er sorgt auch 70 Jahre nach ihrer Markteinfü­hrung dafür, dass der Rock ’n’ Roll immer noch jung klingt

- Von Olaf Neumann

Die Fender Stratocast­er hat die Rockmusik revolution­iert. Ihr Design und ihr Sound sind zum Inbegriff der E-Gitarre an sich geworden. Sie umgibt noch immer eine mystische Aura. Niemand weiß so recht, wie dieses verführeri­sche Saitenspie­l der Gefühle zustande kommt, dem so viele Menschen verfallen sind.

Leo Fender brachte die Fender Stratocast­er 1954 im kalifornis­chen Fullerton auf den Markt. Das Modell avancierte schnell zu einer Ikone, weil es sich dem Körper des Gitarriste­n anschmiegt­e und einen kristallkl­aren Klang hatte. Musiker jedweder Couleur spielen und spielten auf dieser revolution­ären Stromgitar­re mit den zwei Einschnitt­en, die aussehen wie Hörner: Buddy Holly, Hank Marvin, Jimi Hendrix, Eric Clapton, Jeff Beck, Pete Townshend, David Gilmour, Mark Knopfler, Kurt Cobain, John Frusciante. Das von Leo Fender kreierte Kunstwort „Stratocast­er“setzt sich zusammen aus dem Begriff Stratosphä­re und dem Namen des Vorgängerm­odells Telecaster, das bereits seit 1950 hergestell­t wird. Das futuristis­che, rundliche Design sollte an innovative Flugzeugte­chnologie erinnern und fortschrit­tliches Denken widerspieg­eln.

Leo Fender, der selbst kein Gitarrist war, bekam regelmäßig Anregungen von Profis, wie er seine Instrument­e verbessern konnte. Das wie ein Brett geformte Design der Telecaster mochten viele nicht. Daher entwarf Fender für die Stratocast­er einen geschwunge­nen, angeschnit­tenen Korpus aus schwerem Eschenholz. Er sollte die Balance verbessern, das Spielen erleichter­n und einen bequemeren Zugriff auf die höheren Register am Hals ermögliche­n.

Fender fügte einen dritten Tonabnehme­r in der mittleren Position hinzu, um mehr tonale Variatione­n als bei der Telecaster zu ermögliche­n. Als wichtigste­r neuer Bestandtei­l erwies sich die kombiniert­e Tremolo-Saitenhalt­er/Brückenkon­struktion. Mit diesem revolution­ären System konnte der Spieler gänzlich neue Klänge erzeugen. Und das zu einem Preis von damals 249 US-Dollar – was einem heutigen Preis von doch stattliche­n 2.953 US-Dollar (rund 2.740 Euro) entspricht.

Ein Nationalhe­iligtum

Das klassische Design der Anfangszei­t ist bis dato mehr oder weniger unveränder­t geblieben. Trotz des unbequemen Halses und des hohen Gewichts gilt der Klang der 1954er Stratocast­er bis heute als einzigarti­g. Die wenigen Exemplare, die noch existieren, werden wie Kunstwerke gehandelt. George Gruhn, der in Nashville/Tennessee einen Guitar Shop betreibt, kennt die allererste Stratocast­er, die Leo Fender in seiner Werkstatt in Fullerton jemals hergestell­t hat, bis ins Detail. Denn mit seiner Hilfe wechselte das sehr gut erhaltene und unveränder­te „Brett“mit der Seriennumm­er 0100 im Jahr 2014 den Besitzer – für 250.000 Dollar (rund 231.750 Euro).

Gruhn hofft, dass das 70 Jahre alte Kleinod nicht für alle Zeiten in einem Museum verschwind­et, sondern ab und zu noch gespielt wird. Es ist für ihn ein Nationalhe­iligtum. Eine Ikone des amerikanis­chen Industried­esigns. Ein Kunstwerk à la van Gogh.

Leo Fender wusste schon früh, dass das Holz entscheide­nd zu den Klangquali­täten beiträgt. Statt Esche verwendete er später Erle, denn dieses Holz gibt Obertöne besonders gut wieder. Den anfangs noch dicken, U-förmigen Hals ersetzte er durch einen angenehmen V-förmigen. Und er begann, widerstand­sfähigen ABS-Kunststoff anstelle von Styropor zu verwenden. 1958 verabschie­dete Fender sich bereits wieder von dem beliebten V-förmigen Hals, um ihn durch einen dünneren U-förmigen zu ersetzen. Anschließe­nd ging er dazu über, für den Hals aufgeleimt­es hochwertig­es brasiliani­sches Palisander­holz zu verwenden.

Die große Ära der Fender Stratocast­er fand ein jähes Ende, als ihr Erfinder 1965 schwer erkrankte und sich gezwungen sah, seine Firma an den Medienkonz­ern CBS zu verkaufen – für aus heutiger Sicht lumpige 13 Millionen US-Dollar. Mit CBS wurde die Stratocast­er in jeder Hinsicht billiger. Das Herstellun­gsverfahre­n für den Korpus änderte sich, fortan wurde das Holz gefärbt und anschließe­nd besprüht. Dies erlaubte es CBS, weniger schön aussehende­s Holz zu verwenden.

Comeback nach 1985

Besonders die Stratocast­er Sunburst sah anfangs ziemlich öde aus. Die Ton-Regler bestanden in dieser Zeit aus billigem Plastik, das an Perlen erinnerte. Die Kopfplatte­n waren in der CBS-Ära voluminöse­r als je zuvor, damit man darauf ein größeres Fender-Logo unterbring­en konnte. Neben den vielen Produktion­smängeln gab es auch einige wenige Verbesseru­ngen, wie einen völlig neuartigen Tonabnehme­r. Alles in allem führten die Veränderun­gen der CBSÄra aber dazu, dass die Stratocast­er in den frühen 1980er-Jahren aus der Mode kam.

Die dunkle Periode sollte erst ein Ende finden, nachdem 1985 eine Investoren­gruppe um den Flugzeugin­genieur Bill Schultz die Marke Fender von CBS erworben hatte. Im Geiste des legendären Firmengrün­ders wurden jetzt wieder qualitativ hochwertig­e Instrument­e gebaut. Zu der neuen Strategie gehörte, Replikate der legendären Modelle von 1957 bis 1962 als Linie namens „American Vintage Reissues“auf den Markt zu bringen.

Heute bietet Fender eine nahezu unüberscha­ubare Palette an Modellen in jedweden Marktsegme­nten an. Nach wie vor werden hochwertig­e Stratocast­er von derselben Qualität wie die Vintage-Gitarren hergestell­t. Die modernen Modelle lassen sich sogar besser spielen als ihre historisch­en Vorgänger. Sie verstimmen sich weniger oft, der C-förmige Hals ist bequemer zu halten, das Griffbrett ist flacher und die Gitarre insgesamt leichter.

Leo Fender, der am 10. August 1909 in Anaheim/Kalifornie­n geborene Instrument­enbauer, hat seine schwere Krankheit übrigens überlebt und bis zu seinem Tod im Jahr 1991 weiterhin leidenscha­ftlich daran gearbeitet, Gitarren, Bässe, Verstärker, Tonabnehme­r und Vibrato-Systeme zu verbessern. Das Büro, das CBS ihm damals zur Verfügung gestellt hatte, hat er kein einziges Mal betreten, lieber gründete er neue Firmen wie MusicMan und G&L Musical Instrument­s. 1992 wurde er posthum in die Rock&Roll Hall Of Fame aufgenomme­n.

Dass sämtliche Modelle aus der Prä-CBSZeit heute teure, sehr gesuchte Sammlerstü­cke sind, versteht sich von selbst. Speziell, wenn sie einen Promi-Faktor haben. Ein amerikanis­ches Broker-Magazin pries Vintage-Gitarren sogar als eine der weltbesten und sicheren Geldanlage­n an.

Jahrhunder­ttalent Rory Gallagher, der in den 1970er-Jahren Angebote von den Rolling Stones und Deep Purple abgelehnt haben soll, spielte am liebsten auf einer klassische­n Strat „Sunburst“von 1961. Deren

Leo Fender wusste schon früh, dass das Holz entscheide­nd zu den Klangquali­täten beiträgt.

Lack war fast bis zur Unkenntlic­hkeit abgewetzt. Nach Gallaghers Tod im Jahr 1995 brachte Fender eine Sonderedit­ion heraus. Bei dieser speziellen Stratocast­er waren die Abnutzungs­spuren bis ins kleinste Detail dem Original nachempfun­den. Sie ist heute im Besitz der Gallagher-Familie.

Berühmte Strats

Jimi Hendrix, der als bester Rock-Gitarrist aller Zeiten gilt, besaß gleich mehrere Fender Stratocast­er. Bei seinen Instrument­en hatte der Linkshände­r die Saiten einfach vertauscht, was nachhaltig­en Einfluss auf den Sound hatte. Seine berühmtest­e Strat war wohl diejenige, die er am 18. August 1969 beim Woodstock-Festival spielte – eine Olympic White Fender Stratocast­er aus Ahorn- und Erlenholz mit der Seriennumm­er 240981. Auf ihr spielte Hendrix seine berühmte Version von „Star Spangled Banner“. Die „Izabella“wurde 1993 für zwei Millionen US-Dollar an MicrosoftM­itgründer Paul Allen verkauft und ist heute im Museum of Pop Culture in Seattle zu bewundern.

Während Jimi Hendrix noch vernehmlic­h gewöhnlich­e Strats bevorzugte, setzt

Die große Ära der Fender Stratocast­er fand ein jähes Ende, als ihr Erfinder 1965 schwer erkrankte und sich gezwungen sah, seine Firma an den Medienkonz­ern CBS zu verkaufen.

sich Eric Claptons berühmte „Blackie“aus verschiede­nen Teilen von Vintage-Stratocast­er-Modellen zusammen. Sie hat alle möglichen Höhen und Tiefen des RockStars Eric Clapton miterlebt und wurde 2004 bei Christie‘s für 959.000 US-Dollar versteiger­t.

Einen extrem hohen Preis erzielte auch Bob Dylans kontrovers­e Sunburst Fender Stratocast­er. Sein Auftritt beim Newport Folk Festival vom 25. Juli 1965 gilt als epochal, weil er Dylans Wechsel vom Folk zum Rock markiert. Die Sunburst Fender Stratocast­er, auf der er an jenem Abend erstmals elektrisch spielte – und dafür ausgebuht wurde -, galt fünf Jahrzehnte lang als verscholle­n. Eines Tages fanden Historiker heraus, dass diese Strat sich im Besitz einer Dame befand, deren Vater in den 1960er-Jahren für Dylan tätig war. Der wahre Wert dieses legendären Bretts dürfte ihr nicht bewusst gewesen sein. Sie ließ die Strat später bei Christie’s versteiger­n – für 965.000 US-Dollar.

Die teuerste Fender Stratocast­er wurde 2006 für 2,8 Millionen Dollar (2,6 Millionen Euro) im Rahmen einer Benefizver­anstaltung für die Opfer des Erdbebens im Indischen Ozean von 2004 versteiger­t. Unterschri­ften von Mick Jagger, Keith Richards, Eric Clapton, Brian May, Jimmy Page, David Gilmour, Pete Townsend, Mark Knopfler, Ray Davis, Liam Gallagher, Ronnie Wood, Tony Iommi, Angus Young, Paul McCartney, Sting, Ritchie Blackmore, Def Leppard und Bryan Adams macht die weiße „Reach out to Asia“-Strat zu einem einzigarti­gen Sammlerstü­ck.

Die teuerste Fender Stratocast­er wurde 2006 für 2,8 Millionen Dollar im Rahmen einer Benefizver­anstaltung versteiger­t.

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Foto: Flickr Leo Fender revolution­ierte mit seinen E-Gitarren die Musikwelt.
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Foto: Guitarist Magazine/Future via Getty Images Die Modellbeze­ichnung „Stratocast­er“setzt sich zusammen aus den Begriffen „Stratosphä­re“und dem Namen des Vorgängerm­odells „Telecaster“.
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Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images Aufnahme aus dem Jahr 1958: Buddy Holly mit einer Fender Stratocast­er in der BBCShow „Off The Record“.
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Foto: Alice Ochs/Michael Ochs Archives/Getty Images Für Bob Dylan begann 1965 mit der Stratocast­er beim Newport Folk Festival eine neue musikalisc­he Ära.
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Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images Aufnahme aus dem Jahr 1967: Jimi Hendrix bei einem Soundcheck vor einem Auftritt im Hollywood Bowl in Los Angeles.
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Foto: Future Publishing via Getty Images Zwei Modelle im Vergleich: rechts eine Stratocast­er, links der Vorgänger, der Telecaster.
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Foto: Chris McKay/Getty Images Auch er greift gegenwärti­g noch gerne zur Stratocast­er: Nile Rodgers, der Kopf der Band Chic.

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