Junge Lesende brauchen Helden aus dem Alltag
Wie die diesjährige Echternacher Struwwelpippi-Residenzautorin Nikola Huppertz Kinder und Jugendliche fasziniert
Ihr erstes Lëtzebuerger Routbrëschtchen hat sie noch nicht entdeckt. Doch eben nicht nur Lesungen zu halten oder an neuen Projekten zu schreiben, sondern auch das Wandern steht auf dem Programm – wenn es denn neben den ganzen Terminen der Residenz klappt: Die diesjährige Struwwelpippi Residenzautorin Nikola Huppertz ist Fan des Rotkehlchens, wie sie auf ihrer Homepage verrät. Nun ist sie in Echternach angekommen und hat passendes Schuhwerk dabei, um im Müllerthal vielleicht eines ihrer Lieblingstiere aufzuspüren.
Mir ist es wichtig, dass Bücher erst mal interessante Geschichten erzählen und nicht als Problembuch daherkommen. Es sind einfach aus dem Leben gegriffene Figuren; mit allem, was dazugehört. Nikola Huppertz
Immerhin: Die Eröffnungslesung und die ersten Schulbesuche sind geschafft. Zugegeben ist das alles auch ein wenig Abenteuer für sie: „Es ist meine erste längere Residenz, für die ich mich beworben habe. Ich habe mich lange schwer mit Abwesenheiten von zu Hause getan, weil ich über einige Jahre meine Kinder allein großgezogen habe, und sie nicht in die Obhut anderer übergeben wollte. Aber jetzt sind meine Kinder groß, das jüngere ist gerade ausgezogen – und das war der Impuls, meine Bewerbung zu schreiben“, gibt Huppertz aus ihrem Hintergrund preis.
Die ausgebildete Musikerin und Psychologin habe viel Gutes von den früheren „Struwwelpippis“gehört – „und das hat mich gereizt, das einfach auszuprobieren,
Land und Leute kennenzulernen und die Großregion zu erkunden.“Trier steht neben der Hauptstadt ebenso auf dem Reisewunschzettel wie auch die gezielten Naturerlebnisse oder ein Besuch im Nationalen Literaturarchiv Mersch. Ihr Notizbuch ist immer dabei, falls ihr etwas auf- oder einfällt.
Der Kontrast zu ihrem Lebensmittelpunkt Hannover sei schon zu spüren: „Also ich muss schon erstmal sagen, dass ich hier außerordentlich nett empfangen worden bin. Aber was natürlich ein großer Unterschied zu Hannover ist, dass einfach diese Vielsprachigkeit überall zu spüren ist. Ich war heute schon in der Grundschule und habe den Kindern vorgelesen. Wie sprachgewandt die Kinder mit mir umgegangen sind, hat mich schon beeindruckt. Zumal sie wirklich auch einem anspruchsvollen Buch folgen konnten und dann super in das Gespräch darum eingestiegen sind. Das ist schon beachtlich“, sagt die Autorin.
Vorbereitet hat sich Huppertz für die Lesungen in den Luxemburger Schulen schon und sich informiert, welchen Sprachstand die Kinder und Jugendlichen der jeweiligen Klassen im Deutschen haben. „Und es erfüllt sich hier gerade, dass ich ähnlich gut wie mit vergleichbaren deutschen Klassen arbeiten kann. Aber ich habe schon auch nachgehakt, ob es Wünsche gibt oder ob sich die Schülerinnen und Schüler für ein Buch besonders interessiert haben. Dabei lasse ich bewusst auch eine gewisse Flexibilität, was ich wo vorlese, um von Gruppe zu Gruppe reagieren zu können.“
„Nichts beschönigen, nichts verschweigen“
Außenseiter werden bei ihr zum Thema, Menschen, die wegen ihrer Andersartig
keit mehr als belächelt werden, oder Kinder und Jugendliche, die Lebenskrisen in ihrem Umfeld erleben.
Ist das so jungen Lesenden zumutbar? Schrecken die Erwachsenen, die meist die Bücher kaufen, vor solchen Buchansätzen im Laden sogar ab? „Also im Buchladen sind es wirklich meistens die Eltern oder Großeltern, die die Bücher auswählen, während Kinder selbst vielleicht ganz anders auf einen bestimmten Stoff reagieren. Meine Erfahrung ist, dass es bei den etwas gewichtigeren oder schwierigeren Themen immer eine Frage der Vermittlung ist oder auch des Tons für die Situationen in der die Figuren stecken. Mir ist es wichtig, dass Bücher erst mal interessante Geschichten erzählen und nicht als Problembuch daherkommen. Es sind einfach aus dem Leben gegriffene Figuren; mit allem, was dazugehört“, sagt Huppertz.
Aber wie meint sie das? „Also die haben auch nicht nur Probleme, sondern sind auch manchmal ganz beschwingt, mal albern oder leichtfüßig. Und in anderen Szenen machen sie sich eben über gewichtigere Dinge Gedanken – ganz so wie es bei uns Menschen im Alltag nun einmal ist. Ich möchte das in meinen Büchern herüberbringen; und weder beschönigen noch verschweigen. Es darf aber auch gerne mal lustig werden, so wie wir es auch gerne in unserem normalen Leben lustig haben. Und in dieser Mischung funktionieren meine Bücher auch ganz gut, glaube ich.“
Einflüsse ihrer Studien der Musik und der Psychologie will sie nicht von der Hand weisen, betont aber auch: „Wenn, dann ist das implizit. Ich glaube aber schon, dass die Musik mein Sprach- und Rhythmusempfinden und damit meine Sprache ins
gesamt sehr geprägt hat. Und bei mir steht immer der Mensch im Mittelpunkt, mit allem, was er denkt und fühlt. Da hilft manchmal das psychologische Wissen, um die Figuren wirklich stimmig und plausibel zu beschreiben.“
Entscheidend ist aber noch ein anderer hinter den Kulissen ihres Schaffens: Achim Engstler, ihr Partner. Der arbeitet als Philosoph und Schriftsteller – und die beiden tauschen sich über ihre jeweiligen Projekte intensiv aus. „Es gibt auch Projekte, an denen wir zusammenarbeiten. Das Gespräch mit ihm ist mir wichtig“, betont sie. Wird das für die Leserinnen und Leser spürbar? Durchaus zum Beispiel im vielfach gelobten Roman „Fürs Leben zu lang“, wie sie erklärt: „Die beiden Teenager Magali und Kieran machen sich Gedanken über das Leben. Und als sie nicht weiterkommen, fragen sie den Philosophen Engstler, den sie über Wikipedia gefunden haben, per E-Mail um Rat. Der reale Engstler antwortet ihnen. Der abgedruckte Brief stammt wirklich von ihm.“
Der öffentliche Abschluss der Residenz findet am Freitag, dem 7. Juni, um 19 Uhr im Trifolion Echternach statt. Der Eintritt ist frei, es ist keine Anmeldung erforderlich. Mehr unter: