Fußballer und schwul – na und?
In 150 Jahren internationalem Profifußball haben sich nur 25 aktive Spieler öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannt. Das soll sich jetzt ändern
Gemeinsam geht vieles einfacher. Fußballspielen zum Beispiel – geht nur gemeinsam. Oder homosexuell sein und dazu stehen – geht einfacher zusammen als allein. Das dachte sich zumindest der deutsche Ex-Jugendnationalspieler Marcus Urban. Er ist Initiator der Kampagne Sports Free. Teil davon ist das gemeinsame Coming-out von aktiven Fußballern und anderen Sportlern aus verschiedenen Ländern am 17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homophobie. Dieser Tag soll der erste von vielen sein. Am 17. jedes Monats soll es ab sofort die Möglichkeit geben, sich auf der Plattform Diverso zu outen.
„Warum sollte sich einer unserer Spieler outen?“, fragt sich Paul Philipp, Präsident des Luxemburger Fußballverbandes. Das sei bei der FLF überhaupt kein Thema und kein Problem. „Bei uns darf jeder so sein, wie er ist. Hautfarbe, Religion, Sexualität – all das ist egal und spielt keine Rolle.“Multikulti und Diversität sei ein essenzieller Teil des Luxemburger Fußballs. „Es ist nicht nötig, dass jemand ein Zeichen setzt. Es würde auch niemanden groß interessieren“, glaubt Philipp.
Stellt sich die Frage, warum sich bisher kein aktiver Luxemburger Spieler offiziell zu seiner Homosexualität bekannt hat. „Weil es niemanden was angeht. Warum muss sich jemand rechtfertigen, weil er eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder eine andere sexuelle Orientierung hat?“, findet Paul Phillipp.
Die Frauen sind deutlich weiter als die Männer
„Ich lade den Luxemburger Fußballverband ein, Sports Free zu unterstützen, damit wir erreichen können, dass es wirklich kein Thema mehr ist.“Das sagt Marcus Urban. Die Unterstützung großer Clubs wie Borussia Dortmund oder dem FC St. Pauli hat er schon sicher. Urban findet, es gehe nicht darum, sich zu rechtfertigen. Sondern darum, so zu sein wie man ist und dazu stehen zu können. „Jeder soll frei erzählen dürfen von seinem Leben, von seiner Liebe.“Wenn es normal wäre, müsste man nicht darüber reden, findet er. „Dann wären in Luxemburg Spieler, Manager, Schiedsrichter, Trainer geoutet.“
Er selbst beendete seine Karriere, unter anderem, weil er sich jeden Tag verstecken und kontrollieren musste. „Ich wäre froh und stolz gewesen, wenn ich mich im Rahmen einer Aktion wie dieser hätte outen können.“Die Folgen für die Spieler würden oft unterschätzt. „Es geht hier um mehr. Es geht um Freiheit und Selbstbestimmung, um Glück, um mentale und körperliche Gesundheit.“
In 150 Jahren internationalem Profifußball haben sich bis zum 17. Mai nur 25 Spieler geoutet. Statistisch gesehen unmöglich. Fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung sind laut Statistiken homosexuell. Überspitzt formuliert bedeutet das: Einer von elf ist homosexuell. Die Beratungsstelle „Gay Players United“rät Spielern „dringend“davon ab, sich allein und ungeplant zu outen. Die Konsequenzen seien nicht absehbar. Besser sei ein Gruppen-Coming-out, wie Urban es initiiert hat. Die Frauen sind in diesem Bereich so weit, wie es die Männer gerne wären. Bei ihnen ist es in den meisten Fällen kein Thema mehr, ob man homo- oder heterosexuell ist. Andreia Machado ist Luxemburger Fußballnationalspielerin und liebt Frauen. „Ich habe mich nie geoutet, es ist einfach normal.“Bei Männern sei das anders. Gerade im Sport. Frauen würden viel entspannter mit diesem Thema umgehen. Marcus Urban sagt dazu: „In der Erziehung wurde uns Männern leider oft vermittelt, dass wir hart, dominant und perfekt sein müssen und dass Empathie und gesunde Selbsteinschätzung nicht wichtig seien.“Daraus entstehe toxische Männlichkeit, nicht nur im Sport, auch in Bereichen wie Wirtschaft, Handwerk, Feuerwehr, Polizei oder Religionen, die männlich konnotiert seien.
„Ich finde es schade, wenn man nicht offen darüber sprechen kann. Die Teamkollegen sind wie eine zweite Familie, mit denen man über alles reden können muss“, sagt Andreia Machado. Und Urban gibt zu bedenken: „Wenn man nicht zeigen kann, wer man wirklich ist, gehen viele Ressourcen und Potenziale verloren.“
Agenturen organisieren die Frau oder Freundin
Ein weiterer Grund, warum sich bisher kaum ein Profifußballer geoutet hat: Angst. „Sie haben Angst, im Stich gelassen zu werden, von Mitspielern oder Fans gemobbt zu werden, Sponsoren zu verlieren. Ich glaube, dass das Gegenteil der Fall sein wird“, sagt Urban. Seit seinem öffentlichen Coming-out vor 16 Jahren haben sich viele Sportler, Schiedsrichter, Privatpersonen, aber auch Kirchenvertreter im Vertrauen an ihn gewandt. Er berichtet von Agenturen, die Scheinfrauen und -freundinnen organisieren, von geheimen Treffen an geheimen Orten mit geheimen Liebhabern, von Verzweiflung und Selbstmordgedanken. „Das ist für viele kein Leben mehr.“
Die Angst vor Mobbing ist allerdings nicht unbegründet. Der englische Fußballer Justinus Soni Fashanu war 1990 der erste aktive Fußballer, der seine Homosexualität öffentlich machte. Es folgten Hetzkampagnen und Vergewaltigungsvorwürfe. Acht Jahre später beging er Suizid. In seinem Abschiedsbrief schrieb er: „Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart. (…) Bevor ich meinen Freunden und meiner Familie weiteres Unglück zufüge, will ich lieber sterben.“
Es dauerte ganze 31 Jahre, bis sich mit dem Australier Josh Cavallo von Adelaide United im Oktober 2021 der nächste aktive Profispieler outete. 2022 folgten der englische Fußballer Jake Daniels vom FC Blackburn und 2023 der tschechische Na
Es ist nicht nötig, dass jemand ein Zeichen setzt. Es würde auch niemanden groß interessieren. Paul Philipp, Präsident des Luxemburger Fußballverbandes
tionalspieler Jakub Jankto von Sparta Prag. Sie alle erhielten viel Rückendeckung und Lob für ihren mutigen Schritt, aber auch Hasskommentare.
Homophobe Fangesänge und Hasskommentare
Beispiele für homophobe Äußerungen im Sport und insbesondere im Fußball gibt es viele. Da wäre zum Beispiel der ehemalige Trainer der österreichischen Fußballnationalmannschaft Otto Baric, der 2004 in einem Interview mit der Schweizer Zeitung „Blick“sagte: „Meine Spieler müssen echte Kerle sein. Also können Homosexuelle bei mir nicht spielen, höchstens gegen mich.“Der in Luxemburg ansässige Spielerberater und Rechtsanwalt Michael Becker soll 2010 die deutsche Nationalmannschaft als „Schwulencombo“bezeichnet haben. Homophobe Fangesänge und Hasskommentare im Netz sind keine Seltenheit. Stadion und Internet sind ein anonymer, anarchischer Raum. In den Luxemburger Stadien gehe es recht sozial zu, findet FLF-Präsident Paul Philipp. „Natürlich gibt es unter den Fans auch weniger helle Lichter. Auch wir kriegen in den sozialen Medien immer wieder Hasskommentare. Aber ich glaube, dass wir hier damit weniger Probleme haben als in anderen Ländern und dass die Jugendlichen offener damit umgehen, als die Generationen vor ihnen.“Gerade für den Nachwuchs wäre es ein wichtiges Zeichen, dass so darüber ge
Es geht hier um mehr. Es geht um Freiheit und Selbstbestimmung, um Glück, um mentale und körperliche Gesundheit. Marcus Urban, Deutscher Ex-Jugendnationalspieler
sprochen werde, dass es irgendwann normal sei, dass man nicht mehr darüber reden muss, findet Andreia Machado. Dazu müsse es auch Vorbilder geben, die offen mit ihrer Homo- oder Bisexualität umgehen. „Es geht immer so weiter, bis einer da ist, der es ändert.“Andreas Urban will derjenige sein, der es ändert, oder zumindest derjenige, der andere dabei unter
stützt, etwas zu ändern. „Wir müssen nicht immer die Besten, Größten oder die Tollsten sein. Wir können einfach nur sein und das ist gut genug. Und bei Fußballern wäre das einfach Fußball spielen und Spaß haben.“