Luxemburger Wort

„Wenn die Demokratie zugrunde geht, können wir auch sonst nichts erreichen“

Die Co-Spitzenkan­didatin der CSV, Isabel Wiseler, warnt vor einem Rechtsruck in Europa und erklärt, warum gemäßigte Parteien wie die EVP Probleme in der Migrations­politik nicht offen ansprechen

- Interview: Michèle Gantenbein

Isabel Wiseler (CSV) kandidiert zum zweiten Mal für die EU-Wahlen und hofft auf breite Zustimmung der Wähler für ihre Partei. Wie viele Politiker der etablierte­n gemäßigten Parteien ist ihre größte Sorge, dass Europa weiter nach rechts rückt.

Isabel Wiseler, Sie haben die im EU-Parlament vertretene­n Europäisch­en Konservati­ven und Reformer (EKR) als tendenziel­l rechtsextr­em eingestuft und eine Zusammenar­beit mit der Fraktion kategorisc­h ausgeschlo­ssen. EVPSpitzen­kandidatin Ursula von der Leyen aber hat kürzlich eine solche Kooperatio­n nicht ausgeschlo­ssen und so für große Empörung gesorgt. Waren Sie auch empört?

Wir schließen eine Koalition mit der EKR kategorisc­h aus. Das ist das eine. Das andere ist: Ursula von der Leyen hat im selben Atemzug gesagt, dass sie eine Zusammenar­beit mit Parteien ausschließ­t, die nicht pro Ukraine sind, die den Rechtsstaa­t missachten und den Green Deal ablehnen. Ich möchte nicht darauf eingehen, was sie im Zusammenha­ng mit der EKR gesagt hat. Ich kann das nicht bewerten.

Aber die drei von ihr genannten Elemente schließen alle Parteien in der EKR aus, die uns Sorgen bereiten, wie die polnische PiS in Polen oder die ungarische Fidesz, die wir aus der EVP ausgeschlo­ssen haben, und die sich nun der EKR anschließe­n möchte, ebenso wie die Partei von Eric Zemmour. Es ist zu befürchten, dass die EKR sich später nahe an der ID (Identität und Demokratie, Anm. d. Red.) bewegt, der auch die AfD angehört. Von denen wollen wir nichts wissen.

Dennoch steht die Aussage von Ursula von der Leyen im Raum und auch Jean-Claude Juncker hat jüngst vor einer Zusammenar­beit mit der EKR gewarnt. Wie gefährlich ist in Ihren Augen der Kuschelkur­s, den die EVP-Spitzenkan­didatin mit den politische­n Rechtsauße­n-Parteien fährt?

Ursula von der Leyen fährt keinen Kuschelkur­s. Sie hat in den vergangene­n fünf Jahren bewiesen, dass sie fest in der Mitte steht. Sie hat ihre Politik stets dank Allianzen mit Parteien der Mitte umgesetzt.

Die EVP driftet also nicht nach Rechtsauße­n ab?

Nein.

Sollte es doch zu einer Zusammenar­beit kommen, bedeutet das, dass die CSV eventuell aus der EVP aussteigen würde?

Wir sind nicht in dem Szenario. Es wird nicht dazu kommen, allein von den Werten her. Und selbst wenn. Eine EVP zusammen mit einer EKR würde ja keine Mehrheit ergeben.

Die belgische Zentrumspa­rtei Les engagés denkt schon länger darüber nach, die EVP zu verlassen. Fühlen Sie sich noch wohl in der EVP?

Ich fühle mich absolut wohl in der EVP. Ich bin aufgrund dessen, was ich in den vergangene­n Jahren in der europäisch­en Politik erlebt habe, fest davon überzeugt, dass die EVP in der Lage ist, Kompromiss­e zu finden, die ein wirkliches Gleichgewi­cht darstellen.

Der Mensch steht im Mittelpunk­t und um den Menschen herum versuchen wir, ein Gleichgewi­cht zwischen Wirtschaft, Sozialem und Ökologie herzustell­en. Wenn man ideologisc­h vorgeht und zum Beispiel nur die Ökologie in den Mittelpunk­t stellt, ohne zu schauen, welche Konsequenz­en das auf das Soziale und die Wirtschaft hat, kann man sehr viel Schaden anrichten. Ein Beispiel: Wenn unsere Auflagen für unsere Wirtschaft so streng sind, dass wir sie kaputtmach­en, überlassen wir das Feld Staaten wie China, die sich nicht um Auflagen scheren. Damit haben wir ökologisch nichts erreicht.

Die EVP hat der Asylreform zugestimmt, die striktere Regelungen und schnellere Abschiebun­gen vorsieht und die EU hat Migrations­deals zum Beispiel mit Tunesien und dem Libanon abgeschlos­sen, um die Menschen von der Flucht nach Europa abzuhalten. Ist das mit den europäisch­en Werten vereinbar?

Für uns ist klar: Das Recht auf Asyl muss garantiert sein. Seit acht Jahren versuchen 27 Länder mit sehr unterschie­dlichen Realitäten sich auf ein gemeinsame­s Asylgesetz zu einigen. Es ist gelungen, in extremis eine Einigung zu finden. Ohne diesen Pakt müssten wir so weitermach­en wie bisher.

Das klingt ein bisschen so, als sei die Reform halbherzig durchgewun­ken worden, damit man sich nach acht Jahren nicht vorwerfen lassen muss, nichts getan zu haben ...

Das auch. Aber nicht nur. Es geht um Realpoliti­k. Die Herausford­erung bestand darin, einen Text zu haben, dem alle 27 Länder zustimmen und der eine Verbesseru­ng im Vergleich zu den bisherigen Regeln darstellt. Im Text ist zum Beispiel die Solidaritä­t zwischen den EU-Ländern ganz klar festgehalt­en. Ich hoffe nur, dass wir es auch so durchgeset­zt bekommen.

Die Grünen haben wie die Rechten und die Linken gegen den Pakt gestimmt, zwar aus anderen Gründen – den einen geht der Pakt zu weit, den anderen nicht weit genug. Aber das Ergebnis ist dasselbe. Wenn auch wir dagegen gestimmt hätten, hätten wir keine Reform.

Niemand kennt die Zusammense­tzung des nächsten Parlaments. Aber ich habe Zweifel, dass es in der nächsten Legislatur leichter wäre, eine Einigung zu finden, die besser ist als die jetzige.

: Wir müssen über die Probleme im Kontext mit der Migrations­politik reden, sonst geht es schief.

Das klingt ein wenig, als hätte man sich auf das kleinere Übel eingelasse­n ...

Das stimmt so nicht. Die Verfahren sind schneller. Wir haben immer gesagt, dass es nicht tragbar ist, die Menschen zwei Jahre auf einen Bescheid warten zu lassen. Der Gedanke, Menschen an den Außengrenz­en festhalten zu müssen, ist ein schwierige­r Gedanke. Aber wir können nicht einfach die Grenzen ganz öffnen. Das ist nicht realistisc­h.

Es stimmt, dass es mancherort­s Probleme mit der Integratio­n von Geflüchtet­en gibt. Die Rechtsextr­emen sprechen es an. Wir meiden diese Debatte, aus Angst, in die fremdenfei­ndliche Ecke gedrängt zu werden. Aber es gibt diese Probleme. Die Integratio­n hat an vielen Orten nicht funktionie­rt.

Migrations­politik ist viel mehr als das, was an den Grenzen passiert. Ich rede nicht von kulturelle­n Gewohnheit­en oder religiösen Differenze­n. Aber es gibt wesentlich­e Dinge, wie zum Beispiel die Stellung der Frau in unserer Gesellscha­ft. Da können wir nicht zurückgehe­n. Mit ist sehr wichtig, dass wir nicht falsch verstanden werden. Wir müssen über die Probleme im Zusammenha­ng mit der Migrations­politik reden, sonst geht es schief.

Asylsuchen­de sollen keine Menschenre­chtsverlet­zungen erfahren. Können Sie garantiere­n, dass es an den EU-Außengrenz­en beziehungs­weise in Drittstaat­en nicht zu Menschenre­chtsverlet­zungen im Umgang mit Flüchtling­en kommt?

Ich bin nicht vor Ort, aber ich habe Gesetze mitgetrage­n, die in den einzelnen EU-Ländern umgesetzt werden müssen. Ich möchte, dass die Gesetze respektier­t werden. Garantiere­n aber kann ich es nicht. Die vorgesehen­en Kontrollen müssen strengsten­s durchgefüh­rt und beim geringsten Zweifel muss umgehend reagiert werden.

Premier Luc Frieden hat gesagt, er könne sich sehr gut vorstellen, dass Asylanträg­e außerhalb der EU abgewickel­t werden. Bei der Vorstellun­g des CSV-Wahlprogra­mms aber hat Christophe Hansen gesagt, dass Asylverfah­ren auf europäisch­em Boden stattfinde­n sollten. Was ist denn nun die Position der CSV in dieser Frage?

Wir sind kategorisc­h gegen das RuandaMode­ll, Luc Frieden ebenfalls. Das EU-Recht lässt das gar nicht zu, meiner Meinung nach. Im Manifest der EVP ist von Asylverfah­ren in sicheren Drittstaat­en die Rede, wobei die Prozedur nichts mit dem Ruanda-Modell zu tun hat. Wir haben das Manifest in diesem Punkt nicht mitgetrage­n.

Das heißt also: Die CSV sagt Nein zum Ruanda-Modell und Ja zu Asylverfah­ren in Drittstaat­en?

Ja, wenn sie regel- und gesetzesko­nform ablaufen. Dort, wo die Menschen sich gerade aufhalten, aber nicht an Orten, wo man sie extra hinfliegen muss. Wir brauchen ja mehr legale Einwanderu­ngswege und idealerwei­se sollten die Verfahren dort stattfinde­n, von wo die Menschen flüchten wollen. Aber das funktionie­rt nicht in Kriegsgebi­eten oder Ländern, in denen Menschen verfolgt werden.

In Ihrem Wahlprogra­mm sprechen Sie sich für die ökologisch­e Wende aus. Zugleich aber erteilen Sie der Atomkraft keine klare Absage. Die EVP steht zudem in der Kritik, den Green Deal aufzuweich­en. Wie glaubwürdi­g sind die EVP und die CSV in Sachen ökologisch­e Wende?

Ich sehe da überhaupt kein Problem. Die Unterstütz­ung des Green Deal ist eine Bedingung für eine Koalition, das hat Ursula von der Leyen klar gesagt. Der Green Deal wurde nicht aufgeweich­t. Aber wir leben in der Realität und nicht in einem philosophi­schen Kurs.

Die Gesetze dürfen nicht so sein, dass danach nichts mehr möglich ist. Wenn wir der Industrie Auflagen auferlegen, die sie nicht einhalten kann und an denen sie kaputtgeht, dann haben wir nichts für die Umwelt erreicht. Dann wandern die Betriebe in andere Länder ab, in denen es keine Umweltaufl­agen und keine sozialen Standards gibt. Für mich steht fest, dass die EVP im Klima- und Umweltschu­tz eine verantwort­ungsvolle Rolle spielt.

Es gibt aber Studien, die zeigen, dass eine zu laxe Klimaschut­zpolitik längerfris­tig einen viel größeren wirtschaft­lichen Schaden zur Folge hat.

Ja, aber wir befinden uns in einem internatio­nalen Wettbewerb. Wenn die EU alleine wäre und über den ganzen Globus bestimmen könnte, könnte sie strengere Maßnahmen ergreifen. Aber die EU ist nicht der einzige Akteur. Regulieren wir zu streng, wandern die Unternehme­n dorthin ab, wo weniger strenge Regeln gelten. Also müssen wir die Regeln so gestalten, dass die Betriebe nicht abwandern und wir zugleich klimatechn­isch etwas erreichen.

Die EU hat im internatio­nalen Kontext enorm an wirtschaft­licher Bedeutung verloren. Wenn wir keine Wirtschaft­skraft mehr sind, haben wir keinen Einfluss mehr in der Welt. Klima- und Umweltschu­tz brauchen eine starke EU und wir dürfen uns nicht ins eigene Knie schießen.

Premier Luc Frieden sagte im Etat de la nation, er wünsche sich eine Klima- und Umweltpoli­tik, die nicht nervt. Nervt Sie Klimaschut­z?

Ich bin nicht genervt von Klimaschut­zpolitik. Wir sollten so weit wie möglich gehen und alles tun, was machbar ist. Luc Frieden sagt ja, dass wir Klimaschut­z brauchen. Aber wir benötigen auch die Akzeptanz der Menschen.

Laut Politmonit­or dominiert bei den Luxemburge­r Wählern die Sorge um den Klimawande­l, gefolgt von der Sorge um die Sicherheit in Europa und der um die Inflation. Haben sich die gemäßigten Parteien, auch mit Blick auf den Rechtsruck, ausreichen­d um die Probleme der Menschen gekümmert?

Der Rechtsruck ist meiner Meinung nach das Problem Nummer 1. Wenn die Demokratie zugrunde geht, können wir auch sonst nichts erreichen. Betrachtet man die Ursachen, dann hat das auch damit zu tun, dass es uns nicht gelungen ist, die Armut in Europa wirksam zu bekämpfen. Solange wir die Armut nicht in den Griff bekommen, ist Vertrauen in die Politik schwierig zu erreichen. Wir müssen im Sozialen mehr tun.

Wen hätten Sie lieber als Kommission­spräsident­en? Nicolas Schmit oder Ursula von der Leyen?

Ich weiß nicht (lacht). Ursula von der Leyen natürlich. Sie ist beziehungs­weise war eine herausrage­nde Kommission­spräsident­in.

: Wir müssen wir die Regeln so gestalten, dass die Betriebe nicht abwandern und wir zugleich klimatechn­isch etwas erreichen.

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Foto: Marc Wilwert CSV-Co-Spitzenkan­didatin Isabel Wiseler schließt eine Koalition mit den Europäisch­en Konservati­ven und Reformern (EKR) kategorisc­h aus.

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