„Wenn die Demokratie zugrunde geht, können wir auch sonst nichts erreichen“
Die Co-Spitzenkandidatin der CSV, Isabel Wiseler, warnt vor einem Rechtsruck in Europa und erklärt, warum gemäßigte Parteien wie die EVP Probleme in der Migrationspolitik nicht offen ansprechen
Isabel Wiseler (CSV) kandidiert zum zweiten Mal für die EU-Wahlen und hofft auf breite Zustimmung der Wähler für ihre Partei. Wie viele Politiker der etablierten gemäßigten Parteien ist ihre größte Sorge, dass Europa weiter nach rechts rückt.
Isabel Wiseler, Sie haben die im EU-Parlament vertretenen Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) als tendenziell rechtsextrem eingestuft und eine Zusammenarbeit mit der Fraktion kategorisch ausgeschlossen. EVPSpitzenkandidatin Ursula von der Leyen aber hat kürzlich eine solche Kooperation nicht ausgeschlossen und so für große Empörung gesorgt. Waren Sie auch empört?
Wir schließen eine Koalition mit der EKR kategorisch aus. Das ist das eine. Das andere ist: Ursula von der Leyen hat im selben Atemzug gesagt, dass sie eine Zusammenarbeit mit Parteien ausschließt, die nicht pro Ukraine sind, die den Rechtsstaat missachten und den Green Deal ablehnen. Ich möchte nicht darauf eingehen, was sie im Zusammenhang mit der EKR gesagt hat. Ich kann das nicht bewerten.
Aber die drei von ihr genannten Elemente schließen alle Parteien in der EKR aus, die uns Sorgen bereiten, wie die polnische PiS in Polen oder die ungarische Fidesz, die wir aus der EVP ausgeschlossen haben, und die sich nun der EKR anschließen möchte, ebenso wie die Partei von Eric Zemmour. Es ist zu befürchten, dass die EKR sich später nahe an der ID (Identität und Demokratie, Anm. d. Red.) bewegt, der auch die AfD angehört. Von denen wollen wir nichts wissen.
Dennoch steht die Aussage von Ursula von der Leyen im Raum und auch Jean-Claude Juncker hat jüngst vor einer Zusammenarbeit mit der EKR gewarnt. Wie gefährlich ist in Ihren Augen der Kuschelkurs, den die EVP-Spitzenkandidatin mit den politischen Rechtsaußen-Parteien fährt?
Ursula von der Leyen fährt keinen Kuschelkurs. Sie hat in den vergangenen fünf Jahren bewiesen, dass sie fest in der Mitte steht. Sie hat ihre Politik stets dank Allianzen mit Parteien der Mitte umgesetzt.
Die EVP driftet also nicht nach Rechtsaußen ab?
Nein.
Sollte es doch zu einer Zusammenarbeit kommen, bedeutet das, dass die CSV eventuell aus der EVP aussteigen würde?
Wir sind nicht in dem Szenario. Es wird nicht dazu kommen, allein von den Werten her. Und selbst wenn. Eine EVP zusammen mit einer EKR würde ja keine Mehrheit ergeben.
Die belgische Zentrumspartei Les engagés denkt schon länger darüber nach, die EVP zu verlassen. Fühlen Sie sich noch wohl in der EVP?
Ich fühle mich absolut wohl in der EVP. Ich bin aufgrund dessen, was ich in den vergangenen Jahren in der europäischen Politik erlebt habe, fest davon überzeugt, dass die EVP in der Lage ist, Kompromisse zu finden, die ein wirkliches Gleichgewicht darstellen.
Der Mensch steht im Mittelpunkt und um den Menschen herum versuchen wir, ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaft, Sozialem und Ökologie herzustellen. Wenn man ideologisch vorgeht und zum Beispiel nur die Ökologie in den Mittelpunkt stellt, ohne zu schauen, welche Konsequenzen das auf das Soziale und die Wirtschaft hat, kann man sehr viel Schaden anrichten. Ein Beispiel: Wenn unsere Auflagen für unsere Wirtschaft so streng sind, dass wir sie kaputtmachen, überlassen wir das Feld Staaten wie China, die sich nicht um Auflagen scheren. Damit haben wir ökologisch nichts erreicht.
Die EVP hat der Asylreform zugestimmt, die striktere Regelungen und schnellere Abschiebungen vorsieht und die EU hat Migrationsdeals zum Beispiel mit Tunesien und dem Libanon abgeschlossen, um die Menschen von der Flucht nach Europa abzuhalten. Ist das mit den europäischen Werten vereinbar?
Für uns ist klar: Das Recht auf Asyl muss garantiert sein. Seit acht Jahren versuchen 27 Länder mit sehr unterschiedlichen Realitäten sich auf ein gemeinsames Asylgesetz zu einigen. Es ist gelungen, in extremis eine Einigung zu finden. Ohne diesen Pakt müssten wir so weitermachen wie bisher.
Das klingt ein bisschen so, als sei die Reform halbherzig durchgewunken worden, damit man sich nach acht Jahren nicht vorwerfen lassen muss, nichts getan zu haben ...
Das auch. Aber nicht nur. Es geht um Realpolitik. Die Herausforderung bestand darin, einen Text zu haben, dem alle 27 Länder zustimmen und der eine Verbesserung im Vergleich zu den bisherigen Regeln darstellt. Im Text ist zum Beispiel die Solidarität zwischen den EU-Ländern ganz klar festgehalten. Ich hoffe nur, dass wir es auch so durchgesetzt bekommen.
Die Grünen haben wie die Rechten und die Linken gegen den Pakt gestimmt, zwar aus anderen Gründen – den einen geht der Pakt zu weit, den anderen nicht weit genug. Aber das Ergebnis ist dasselbe. Wenn auch wir dagegen gestimmt hätten, hätten wir keine Reform.
Niemand kennt die Zusammensetzung des nächsten Parlaments. Aber ich habe Zweifel, dass es in der nächsten Legislatur leichter wäre, eine Einigung zu finden, die besser ist als die jetzige.
: Wir müssen über die Probleme im Kontext mit der Migrationspolitik reden, sonst geht es schief.
Das klingt ein wenig, als hätte man sich auf das kleinere Übel eingelassen ...
Das stimmt so nicht. Die Verfahren sind schneller. Wir haben immer gesagt, dass es nicht tragbar ist, die Menschen zwei Jahre auf einen Bescheid warten zu lassen. Der Gedanke, Menschen an den Außengrenzen festhalten zu müssen, ist ein schwieriger Gedanke. Aber wir können nicht einfach die Grenzen ganz öffnen. Das ist nicht realistisch.
Es stimmt, dass es mancherorts Probleme mit der Integration von Geflüchteten gibt. Die Rechtsextremen sprechen es an. Wir meiden diese Debatte, aus Angst, in die fremdenfeindliche Ecke gedrängt zu werden. Aber es gibt diese Probleme. Die Integration hat an vielen Orten nicht funktioniert.
Migrationspolitik ist viel mehr als das, was an den Grenzen passiert. Ich rede nicht von kulturellen Gewohnheiten oder religiösen Differenzen. Aber es gibt wesentliche Dinge, wie zum Beispiel die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft. Da können wir nicht zurückgehen. Mit ist sehr wichtig, dass wir nicht falsch verstanden werden. Wir müssen über die Probleme im Zusammenhang mit der Migrationspolitik reden, sonst geht es schief.
Asylsuchende sollen keine Menschenrechtsverletzungen erfahren. Können Sie garantieren, dass es an den EU-Außengrenzen beziehungsweise in Drittstaaten nicht zu Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit Flüchtlingen kommt?
Ich bin nicht vor Ort, aber ich habe Gesetze mitgetragen, die in den einzelnen EU-Ländern umgesetzt werden müssen. Ich möchte, dass die Gesetze respektiert werden. Garantieren aber kann ich es nicht. Die vorgesehenen Kontrollen müssen strengstens durchgeführt und beim geringsten Zweifel muss umgehend reagiert werden.
Premier Luc Frieden hat gesagt, er könne sich sehr gut vorstellen, dass Asylanträge außerhalb der EU abgewickelt werden. Bei der Vorstellung des CSV-Wahlprogramms aber hat Christophe Hansen gesagt, dass Asylverfahren auf europäischem Boden stattfinden sollten. Was ist denn nun die Position der CSV in dieser Frage?
Wir sind kategorisch gegen das RuandaModell, Luc Frieden ebenfalls. Das EU-Recht lässt das gar nicht zu, meiner Meinung nach. Im Manifest der EVP ist von Asylverfahren in sicheren Drittstaaten die Rede, wobei die Prozedur nichts mit dem Ruanda-Modell zu tun hat. Wir haben das Manifest in diesem Punkt nicht mitgetragen.
Das heißt also: Die CSV sagt Nein zum Ruanda-Modell und Ja zu Asylverfahren in Drittstaaten?
Ja, wenn sie regel- und gesetzeskonform ablaufen. Dort, wo die Menschen sich gerade aufhalten, aber nicht an Orten, wo man sie extra hinfliegen muss. Wir brauchen ja mehr legale Einwanderungswege und idealerweise sollten die Verfahren dort stattfinden, von wo die Menschen flüchten wollen. Aber das funktioniert nicht in Kriegsgebieten oder Ländern, in denen Menschen verfolgt werden.
In Ihrem Wahlprogramm sprechen Sie sich für die ökologische Wende aus. Zugleich aber erteilen Sie der Atomkraft keine klare Absage. Die EVP steht zudem in der Kritik, den Green Deal aufzuweichen. Wie glaubwürdig sind die EVP und die CSV in Sachen ökologische Wende?
Ich sehe da überhaupt kein Problem. Die Unterstützung des Green Deal ist eine Bedingung für eine Koalition, das hat Ursula von der Leyen klar gesagt. Der Green Deal wurde nicht aufgeweicht. Aber wir leben in der Realität und nicht in einem philosophischen Kurs.
Die Gesetze dürfen nicht so sein, dass danach nichts mehr möglich ist. Wenn wir der Industrie Auflagen auferlegen, die sie nicht einhalten kann und an denen sie kaputtgeht, dann haben wir nichts für die Umwelt erreicht. Dann wandern die Betriebe in andere Länder ab, in denen es keine Umweltauflagen und keine sozialen Standards gibt. Für mich steht fest, dass die EVP im Klima- und Umweltschutz eine verantwortungsvolle Rolle spielt.
Es gibt aber Studien, die zeigen, dass eine zu laxe Klimaschutzpolitik längerfristig einen viel größeren wirtschaftlichen Schaden zur Folge hat.
Ja, aber wir befinden uns in einem internationalen Wettbewerb. Wenn die EU alleine wäre und über den ganzen Globus bestimmen könnte, könnte sie strengere Maßnahmen ergreifen. Aber die EU ist nicht der einzige Akteur. Regulieren wir zu streng, wandern die Unternehmen dorthin ab, wo weniger strenge Regeln gelten. Also müssen wir die Regeln so gestalten, dass die Betriebe nicht abwandern und wir zugleich klimatechnisch etwas erreichen.
Die EU hat im internationalen Kontext enorm an wirtschaftlicher Bedeutung verloren. Wenn wir keine Wirtschaftskraft mehr sind, haben wir keinen Einfluss mehr in der Welt. Klima- und Umweltschutz brauchen eine starke EU und wir dürfen uns nicht ins eigene Knie schießen.
Premier Luc Frieden sagte im Etat de la nation, er wünsche sich eine Klima- und Umweltpolitik, die nicht nervt. Nervt Sie Klimaschutz?
Ich bin nicht genervt von Klimaschutzpolitik. Wir sollten so weit wie möglich gehen und alles tun, was machbar ist. Luc Frieden sagt ja, dass wir Klimaschutz brauchen. Aber wir benötigen auch die Akzeptanz der Menschen.
Laut Politmonitor dominiert bei den Luxemburger Wählern die Sorge um den Klimawandel, gefolgt von der Sorge um die Sicherheit in Europa und der um die Inflation. Haben sich die gemäßigten Parteien, auch mit Blick auf den Rechtsruck, ausreichend um die Probleme der Menschen gekümmert?
Der Rechtsruck ist meiner Meinung nach das Problem Nummer 1. Wenn die Demokratie zugrunde geht, können wir auch sonst nichts erreichen. Betrachtet man die Ursachen, dann hat das auch damit zu tun, dass es uns nicht gelungen ist, die Armut in Europa wirksam zu bekämpfen. Solange wir die Armut nicht in den Griff bekommen, ist Vertrauen in die Politik schwierig zu erreichen. Wir müssen im Sozialen mehr tun.
Wen hätten Sie lieber als Kommissionspräsidenten? Nicolas Schmit oder Ursula von der Leyen?
Ich weiß nicht (lacht). Ursula von der Leyen natürlich. Sie ist beziehungsweise war eine herausragende Kommissionspräsidentin.
: Wir müssen wir die Regeln so gestalten, dass die Betriebe nicht abwandern und wir zugleich klimatechnisch etwas erreichen.