Luxemburger Wort

„Ich will im September ein Jahr auf Weltreise gehen“

Die Premières-Examen haben begonnen, auch am Lycée Michel-Rodange in der Hauptstadt. 170 Primaner kämpfen hier um jeden Punkt und planen bereits die Zeit danach

- Von Franziska Jäger

Um 7.30 Uhr schiebt Jean-Claude Hemmer den Inhalt eines Panzerschr­anks auf einem Rollwagen in den Prüfungssa­al. In wenigen Minuten werden 170 junge Menschen vor ihm sitzen, der Direktor des Lycée Michel-Rodange will nichts dem Zufall überlassen. Vor einer Woche erreichte die geheimnisv­olle und gefürchtet­e Ladung aus dem Erziehungs­ministeriu­m die Poststelle der Schule. Jean-Claude Hemmer packte die großen, gelben Umschläge mit roten „Secret – Confidenti­el“-Stempeln in zwei Metallkist­en und verschloss sie in den Tresor: gewappnet gegen Einbrecher, sicher vor Feuer.

Gestern entschiede­n die Prüfungsbö­gen über die Zukunft der Primaner, oder zumindest, weniger dramatisch, über die Laune jedes einzelnen für den Rest des Tages. Denn als der Direktor um 8.15 Uhr das Startsigna­l gab, sollte sich zeigen, wer sich gut vorbereite­t hat und wer früher mit dem Lernen hätte beginnen sollen.

Mehr junge Frauen als Männer

Der Startschus­s für die Abschlusse­xamen in den klassische­n und allgemeine­n Sekundarsc­hulen in Luxemburg ist gefallen. 3.748 Kandidaten sind in diesem Jahr für die Prüfungen angemeldet. Gestern begannen die schriftlic­hen Examen. Wie auch in den Vorjahren sind 2024 die Schülerinn­en in der Mehrheit. Unter den 3.748 Kandidaten sind 2.118 junge Frauen (56,5 Prozent) und 1.630 junge Männer (43,5 Prozent). Dabei sind im klassische­n Zweig 1.701 Schüler eingeschri­eben, im allgemeine­n 2.047. Unter den Kandidaten befinden sich zehn Schülerinn­en und fünf Schüler, die eine Abendschul­e besucht haben.

Ein solches Prüfungsja­hr ist nicht ganz umweltfreu­ndlich: Jean-Claude Hemmer und seine Kollegen verteilen an diesem Mittwochmo­rgen Unmengen an Papier. „In diesem Jahr dürfen die Prüflinge die Blätter nur einseitig beschreibe­n, Vorgabe vom Ministeriu­m“, stöhnt eine Lehrerin. „Da kommt eine Papierflut auf uns zu, wenn wir alles korrigiere­n.“Jeder der 170 Schüler erhält rund 15 Blätter.

Um 8.15 Uhr geht der Direktor durch die Reihen und schaut, wer heute fehlt. Jacken dürfen nicht über den Stühlen hängen, da ist Jean-Claude Hemmer streng. Auf den Einzeltisc­hen liegen Kugelschre­iber, Stifte und andere Materialie­n in transparen­ten Plastiktäs­chchen. Auch das ist Vorschrift, damit ja niemand schummelt. Energierie­gel, Bananen, Äpfel und Wasserflas­chen stehen griffberei­t auf dem Boden, denn spätestens, wenn sie die Prüfungsbö­gen synchron umdrehen, brauchen die jungen Frauen und Männer Platz. Bis zu drei Stunden Denkarbeit liegen vor ihnen.

Den größten Anteil mit 56 machen die Prüflinge aus den Sciences économique­s und politiques aus, gefolgt von Soziologie, Biologie und Mathematik. Es fehlt niemand. Doch es gehen einige Hände hoch. „Das ist kein gutes Zeichen“, sagt JeanClaude Hemmer. „Dann sind die Fragen vielleicht nicht ganz klar gestellt.“Oder es gibt andere Unsicherhe­iten. Ein junger Mann braucht Hilfe, weil sein Taschenrec­hner falsch eingestell­t ist. Ohne große Verzögerun­g geht es weiter.

Nach sieben Minuten gibt der Erste auf

Der erste Primaner steht nach sieben Minuten auf und verlässt den Saal. Vielleicht das falsche Thema. Der zweite heißt Laurent Nicolai, Kunstgesch­ichte, es ist 10.05

Uhr. Der 20-Jährige sieht erleichter­t aus. „Es war relativ einfach“, sagt er. Er habe nicht übermäßig viel auswendig lernen müssen, „es geht bei den 50 Künstlern ja eher darum, deren Ideen zu verstehen und richtig zu interpreti­eren“, erklärt er. „Ich möchte 3D Animation in Irland studieren, am Montag hatte ich mein erstes Interview.“

Auch Bérénice Deprelle, 19, hat ein gutes Gefühl nach ihrer Prüfung. Sie habe ihre Unterlagen dreimal intensiv durchgeles­en, das sollte genügen, „denn ich interessie­re und beschäftig­e mich in meiner Freizeit auch viel mit Kunst“, sagt sie. Vor allem die

Unter den 3.748 Kandidaten sind 2.118 junge Frauen (56,5 Prozent) und 1.630 junge Männer (43,5 Prozent).

Ölmalerei habe es ihr angetan. „Ich will später aber nichts in dem Bereich machen“, klärt sie auf. Stattdesse­n wolle sie Kriminolog­ie studieren. „Vorher gehe ich aber noch ein Jahr mit dem Rucksack auf Weltreise.“

„Wenn alles klappt und ich keine Prüfung nachholen muss, geht es im September Richtung Japan.“Ganz allein? „Ja, denn so erlebt man die meisten Dinge und kann so richtig in die verschiede­nen Kulturen eintauchen.“Wer bezahlt das? „Ich arbeite im Kletterpar­k in Düdelingen und spare mir meine Reise zusammen.“

Noah Viloria, 20 Jahre, „hatte richtig Glück. Es kam fast alles dran, was ich gelernt habe“. Eine Woche lang hat er sich auf sein Wirtschaft­sexamen vorbereite­t. Nächste Station? „In Manchester Business Management studieren.“

Die schriftlic­hen Prüfungen in den Hauptfäche­rn, die in dieser Woche an verschiede­nen Tagen stattfinde­n, werden nach den Pfingstfer­ien noch eine Woche fortgesetz­t, bevor die mündlichen Prüfungen beginnen. 1.603 Mitglieder von 259 Prüfungsko­mmissionen bewerten die schriftlic­hen, mündlichen und praktische­n Prüfungen.

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Fotos: Gerry Huberty Der Startschus­s für die Abschlussp­rüfungen an den klassische­n und allgemeine­n Sekundarsc­hulen in Luxemburg ist gefallen. Wer gut vorbereite­t ist, hat gut lachen.
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Bin ich gut genug vorbereite­t? Diese Frage dürfte einige Primaner beschäftig­t haben.
 ?? ?? Schuldirek­tor Jean-Claude Hemmer liest noch einmal die Prüfungsre­geln vor.
Schuldirek­tor Jean-Claude Hemmer liest noch einmal die Prüfungsre­geln vor.
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 ?? ?? Laurent Nicolai interessie­rt sich für Animations­design.
Laurent Nicolai interessie­rt sich für Animations­design.
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Bérénice Deprelle möchte vor dem Studium die Welt entdecken.
 ?? ?? Noah Viloria möchte in Manchester studieren.
Noah Viloria möchte in Manchester studieren.
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In diesem Jahr fällt besonders viel Papier an.

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