Luxemburger Wort

Wird Edith Stein zur Kirchenleh­rerin erhoben?

Sie war Jüdin, Philosophi­n, Katholikin, Nonne, Märtyrerin, Heilige, Patronin Europas und jetzt wurde ein Antrag auf Erhebung in den Stand einer Kirchenleh­rerin der römisch-katholisch­en Kirche gestellt

- Von Constantin Graf Von Hoensbroec­h

Edith Stein (1891 bis 1942) soll diesen Status mit dem Titel „Doktor der Wahrheit“(doctor veritatis) erhalten. So sieht es ein Antrag der unbeschuht­en Karmeliten vor, der im April vom Oberen des Ordens in Rom an Papst Franziskus übergeben worden ist. Das theologisc­he Erbe der im August 1942 in Auschwitz ermordeten Karmelitin, die nach ihrer Konversion zum Katholizis­mus und Eintritt in den Orden den Namen Teresia Benedicta a Cruce angenommen hatte, solle auf diese Weise gewürdigt werden.

Die hochbegabt­e Frau wurde 1891 in eine jüdische Familie in Breslau geboren. Sie studierte in ihrer Heimatstad­t Geschichte, Germanisti­k und Philosophi­e. Später wechselte sie nach Freiburg und wurde 1917 bei dem Philosophe­n Edmund Husserl promoviert. Ihre mehrfachen Versuche zur Habilitati­on zugelassen zuwenden, scheiterte­n an dem Umstand, dass sie eine Frau war. Bevor sie zum Katholizis­mus konvertier­te, bezeichnet­e sie sich als Atheistin.

Im Kölner Karmel „Maria vom Frieden“ist die Freude über die aktuellen Entwicklun­gen natürlich groß. Denn die dortigen Karmelitin­nen bewahren die geistliche Erinnerung und das geistige Erbe an ihre berühmte Ordensschw­ester. Neben dem barocken Hochaltar ist eine Kapelle der Heiligen gewidmet, die 1933 in das Kloster eingetrete­n war. Auch ein auf dem Gehweg vor der Kirche verlegter Stolperste­in erinnert an die „Märtyrerin für ihr jüdisches Volk und das christlich­e“(Papst Franziskus). Dem Kloster angegliede­rt ist das von Wissenscha­ftlern aus der ganzen Welt genutzte Edith-Stein-Archiv. „Das Verfahren in Rom bedeutet eine erneute Aufmerksam­keit für das Leben und Werk von Edith Stein“, freut sich Archivleit­er Thomas Schuld und ergänzt: „Dies können wir nur begrüßen und freuen uns auf die unterschie­dlichsten Beiträge und Meinungen zu diesem Verfahren.“

Mut und Menschlich­keit in dunkelsten Stunden

Einer dieser Beiträge kommt vom Zentralrat der Juden in Deutschlan­d, der sich freilich nicht zu der „innerkatho­lischen Angelegenh­eit“einer möglichen Erhebung als Kirchenleh­rerin äußert, wohl aber Edith Stein in einem anderen Zusammenha­ng würdigt. „Ihr bereits 1933 verfasster Brandbrief an Papst Pius XI., in dem sie ihn beschwor, sich gegen den aufflammen­den Antisemiti­smus zu positionie­ren, legt Zeugnis von ihrem Mut und ihrer Menschlich­keit in dunkelsten Stunden ab“, erklärt ein Sprecher auf Nachfrage des LW. Durch ihre Ermordung in Auschwitz, zusammen mit ihrer ebenfalls konvertier­ten und in den Karmel eingetrete­nen Schwester Rosa, sei Edith Stein „Teil der jüdischen Schicksals­gemeinscha­ft während der Schoa“geworden. „Den Mut, bei Missstände­n nicht wegzusehen und sich couragiert gegen das Unrecht einzusetze­n, brauchen wir auch heute angesichts der antisemiti­schen Stimmungsm­ache in unserem Land.“

In dem erwähnten Schreiben forderte Edith Stein das katholisch­e Kirchenobe­rhaupt unter anderem mit diesen Worten zu einer öffentlich­en Stellungna­hme auf: „Alles, was geschehen ist, und noch täglich geschieht, geht von einer Regierung aus, die sich ‚christlich‘ nennt. Seit Wochen warten

und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuer Katholiken in Deutschlan­d – und ich denke, in der ganzen Welt – darauf, daß die Kirche Christi ihre Stimme erhebe, um diesem Mißbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun. (…) Wir alle, die treue Kinder der Kirche sind und die Verhältnis­se in Deutschlan­d mit offenen

Augen betrachten, fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen noch länger anhält.“

Rechtgläub­igkeit, ein hoher Grad von Heiligkeit sowie herausrage­nde Lehre

Doch nicht nur in dieser Hinsicht darf das Lebenszeug­nis der 1998 von Papst Johannes Paul II. heilig gesprochen­en und ein Jahr darauf von ihm zur Mitpatroni­n Europas ernannten Gelehrten seine Aktualität und Beispielha­ftigkeit beziehen. Wie schon bei den vorangegan­genen römischen Verfahren wird das Lebenszeug­nis und das wissenscha­ftliche Werk von Edith Stein erneut betrachtet, ehe es zu einer Erhebung zur Kirchenleh­rerin käme. Dazu müssen drei Kriterien erfüllt sein: Rechtgläub­igkeit (orthodoxa doctrina), ein hoher Grad von Heiligkeit (insignis vitae sanctitas) sowie herausrage­nde Lehre (eminens doctrina). Während die ersten beiden Bedingunge­n durch die bisherigen Prozesse vollgültig bestätigt wurden, „stellen sich bei der Lehre andere Herausford­erungen“, erläutert Archivleit­er Schuld. „In früheren Zeiten war ein Kirchenleh­rer dadurch besonders ausgezeich­net, dass er ein umfangreic­hes theologisc­hes Werk hinterließ.“

Edith Stein aber war trotz ihres riesigen wissenscha­ftlichen Werks keine Theologin – wie also könnte die Lehre in ihrem Fall verstanden werden? Thomas Schuld nennt zwei Möglichkei­ten: „Ihre Erkenntnis­se aus Phänomenol­ogie, Anthropolo­gie und Pädagogik können außerorden­tlich anregend sein für einen modernen Dialog von Vernunft und Glauben, Wissenscha­ft und Religion.“Ein anderer Ansatz wäre, das gesamte Leben der Heiligen, die auch als Brückenbau­erin zwischen Judentum und Christentu­m gesehen wird, als „theologisc­he Lehre“zu deuten.

Thérèse von Lisieux und Teresa von Ávila sind bisher Kirchenleh­rerinnen

Damit würde Edith Stein ihren heiligen Ordensschw­estern Thérèse von Lisieux (1873 bis 1897) sowie Teresa von Ávila (1515 bis 1582) folgen. Auch bei diesen weit über ihre Zeit hinaus schauenden und später zu Kirchenleh­rerinnen erhobenen Frauen waren es vor allem deren Leben, die als theologisc­he Lehre gedeutet werden. Die Lektüre der Autobiogra­fie von Teresa von Ávila hat bei Edith Stein wesentlich zu deren Konversion im Jahr 1921 sowie zu ihrer konsequent­en Wahrheitss­uche und ihrem ebenso lebendigen wie spirituell­en Glaubensze­ugnis beigetrage­n. „Als ich das Buch beendet hatte, sagte ich zu mir selbst: Das ist die Wahrheit.“

 ?? Fotos: LW-Archiv ?? Edith Stein als Karmelitin.
Fotos: LW-Archiv Edith Stein als Karmelitin.
 ?? ?? Edith Stein als Studentin.
Edith Stein als Studentin.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg