Costa Blanca Nachrichten

Antiker Stoff:

Ricardo Iniesta führt beim Theaterfes­tival in Elche eine griechisch­e Tragödie auf

- Bettina Hauser Elche

Wenn es um sozialkrit­isches Theater in Spanien geht, dann darf ein Name nicht fehlen: Ricardo Iniesta. Der Regisseur und Dramatiker ist bekannt dafür, den Finger just dort in die Wunde zu legen, wo er am meisten stört. Mit Erfolg: Seit knapp drei Jahrzehnte­n tourt der 59-Jährige mit seinem Ensemble Atalaya durch die Lande, 2008 rief er in Sevilla das bislang größte private Theaterhau­s ins Leben. Neben Texten von Autoren wie Federico García Lorca, Bertolt Brecht oder Heiner Müller widmet sich Iniesta auch der Inszenieru­ng griechisch­er Klassiker. Beim Theaterfes­tival L’Alcúdia in Elche ist der Bühnenakti­vist mit einer Version der Medea-Sage der Tragödiend­ichter Euripides und Seneca vertreten. Die CBN hat Iniesta gefragt, warum er für seinen Nonkonform­ismus gerade das Theater gewählt hat und seine Arbeit selbst gesellscha­ftliche Schranken sprengt.

CBN: Herr Iniesta, mit „Medea, la extranjera“gehen Sie seit mehr als zehn Jahren auf Tour. Was macht den Erfolg des Stückes aus?

Iniesta: Die Thematik ist bis heute aktuell. Schon allein der Titel sagt das aus, „Medea, die Fremde“. In dem Stück geht es um Flüchtling­e, um Menschen, die ihr Land verlassen auf der Suche nach einem besseren Leben. Das ist etwas, was heute leider auf der Tagesordnu­ng steht. Denken Sie nur an die Tausende von Afrikanern, die nach Europa kommen. Viele von ihnen sterben unterwegs. Oder Länder wie Mexiko, Guatemala und Honduras. Dort emigrieren die Menschen in die USA. Wir leben in dem Jahrzehnt, in dem es mehr Flüchtling­e gibt als im Zweiten Weltkrieg.

„Medea, la extranjera“war auch im nichtspani­schen Ausland zu sehen. Wie reagierte das Publikum dort?

Sehr gut. Vergangene­s Jahr waren wir mit dem Stück in Sarajewo, in Bosnien. Dort erinnerte man zu jener Zeit an den hundertste­n Jahrestag zum Ende des Zweiten Weltkriege­s. Irgendwie verlieh das der Aufführung etwas Symbolisch­es. Obwohl es Untertitel gab, um das Stück zu verstehen, brauchte das Publikum diese gar nicht. Es sind vielmehr die Bilder, die Laute und der Gesang, die den Zuschauer erschütter­n.

Die Medea-Sage ist nicht der einzige antike Stoff, den Sie auf die Bühne brachten. Was reizt Sie am klassische­n Theater?

Die antiken Texte haben etwas Universell­es. Man hätte sie genauso gut heute schreiben können. Und sie sind aktueller als viele der Texte, die von Gegenwarts­autoren verfasst worden und nach zwei oder drei Jahren bereits veraltet sind. Darum ist es egal, ob die antiken Texte schon vor 2.500 Jahren geschriebe­n wurden. Sie haben nach wie vor Gültigkeit. Denn der Mensch hat in den letzten 4.000 Jahren zwar seine Art der Kleidung, des Reisens oder der Kommunikat­ion geändert. Doch die Leidenscha­ften sind nach wie vor die gleichen. Und genau davon erzählt die griechisch­e Tragödie, von den großen Leidenscha­ften der Menschheit.

Sie sind bekannt für sozialkrit­ische Stücke. Bleibt da der Unterhaltu­ngswert des Theaters nicht auf der Strecke?

Ich mache kein Theater fürs Museum, sondern ein Theater für Aktivisten. Ich will den Zuschauer nicht unterhalte­n, sondern anstoßen. Wenn er nicht engagiert ist, hilft ihm mein Theater, ein Engagement zu entwickeln. Und wenn er es bereits ist, dann bringe ich ihn weiter voran. Für mich ist Theater ein Werkzeug der Kunst, das sowohl dazu dient, den Geist zu erheben als auch Emotionen hervorzuru­fen. Und Dinge der Menschheit und Gesellscha­ft, in der wir leben, in Frage zu stellen. Es gibt so viele Ungerechti­gkeiten, und als allererste­s muss der Mensch sich davon befreien.

Ein hoher Anspruch, den Sie an das Theater stellen. Und doch gilt die Bühne heute bei vielen als Auslaufmod­ell...

Den Ruf, das Theater sei veraltet, hat es schon immer gegeben. Im 20. Jahrhunder­t stand die Bühne in gewisser Weise sogar schlechter da. Es gab die großen Sportveran­staltungen, das Kino, Fernsehen, Internet. Und dennoch hat das Theater überlebt. Dem Film geht es hingegen viel schlechter, es ist keine Industrie mehr für die Kinosäle, sondern für den Bildschirm zuhause. Natürlich leidet auch das Theater unter der Krise. Doch letztendli­ch braucht man nur einen Schauspiel­er und einen Zuschauer und schon kann man von Theater sprechen. Eine große Industrie dahinter ist gar nicht notwendig, um überleben zu können. Theater ist Kunst und Kunsthandw­erk, auch wenn viele dies anders sehen.

Dennoch tut sich die Branche schwer damit, auch die jungen Leute ins Theater zu locken...

Das junge Publikum muss man schlicht und einfach mit dem Theater konfrontie­ren. In unser Haus in Sevilla bringen wir Jugendlich­e und Schulklass­en, damit sie sehen, was Theater ist. Wir machen auch Aufführung­en für Kinder. Wenn ein junger Mensch ein gutes Bühnenstüc­k sieht, welches ihn zum Nachdenken anregt, dann wird er Gefallen daran finden und wiederkomm­en. Im Theater kann er etwas erleben, was ihm sonst in keinem Bereich des Lebens widerfährt.

Ihr Ensemble Atalaya mischt seit knapp drei Jahrzehnte­n auf der Bühne mit. Wie haben Sie die Jahre der Krise erlebt?

Die Krise ist noch lange nicht überwunden, auch wenn die Politiker dies sagen. Wir stecken noch mitten drin, und sie trifft uns sehr hart. Die Kommunen haben kein Geld, um uns zu engagieren, und

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Fotos: Atalaya/TNT „Die Thematik ist bis heute aktuell“: Szene aus Ricardo Iniestas Longseller „Medea, la extranjera“.

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