Alicante in Flammen:
Zu den Hogueras ist die Provinzhauptstadt im Ausnahmezustand – es knallt und brennt an allen Ecken, vom Himmel regnen glitzernde Feuerwerkskörper
Plötzlich knallt es. Silberne, glitzernde Fäden fallen vom nächtlichen Himmel. Das palmenförmige Feuerwerk lässt die Burg erstrahlen, den Rathausplatz und die begeisterten Gesichter der Zuschauer. Die Blaskapelle setzt ein und die Luft riecht nach Silvester und Vorfreude. Schnell rollen die vielen Feuerwehrleute ihre Schläuche aus, die Absperrungen werden penibel überprüft. Dann kann es losgehen. Alles ist bereit zum Abfackeln der ersten Hoguera-Figur auf dem Rathausplatz in Alicante.
Die Zeit scheint kurz stillzustehen, während die Zündschnur entflammt wird. Alle halten die Luft an. Und dann geht die Welt unter. Ohrenbetäubendes Geknalle. Immer wieder explodieren die Knaller, die auf der Zündschnur befestigt sind. Die Menge fängt an zu schreien. Plötzlich brennt die Figur lichterloh. Riesige Rauchschwaden ziehen durch die Luft. Das Feuer scheint kurz außer Kontrolle.
Doch die professionellen Bomberos haben alles im Griff. Mit ge- übten Griffen werden die Wasserschläuche genau so ausgerichtet, dass nicht einmal die hohen Palmen direkt neben dem Feuer etwas abbekommen. Die Menge tobt. Eine unglaubliche Hitze erfasst die Zuschauer in den ersten Reihen und einige wollen schon die Flucht ergreifen, als plötzlich ein einheitlicher Ruf die Luft erfüllt: „Agua, agua, agua!“(Wasser) Die Feuerwehrmänner tun den Menschen gerne den Gefallen und halten ihre Schläuche so in die Luft, dass ein feiner Regen auf die Menge hinabfällt und sie abkühlt.
Üblicherweise werden die Feuerwehrleute von den Zuschauern beleidigt, da diese ja das Feuer der Hogueras-Figuren löschen wollen. Das ist das Zeichen für die Bomberos. Sie fangen an zu lachen, rufen sich etwas zu und richten ihre Schläuche direkt auf die Menge. Prustend und jubelnd schreien die mittlerweile pitschnassen Zuschau- er nach mehr. Kaum ist das erste große Feuer am Rathausplatz gelöscht, zieht es die Zuschauer durch die Stadt zur nächsten Figur, denn Mittwochnacht ab 24 Uhr werden sie alle abgefackelt.
Die riesigen, kitschigen und beeindruckenden Figuren in grellen und pastelligen Farben brennen seit 1928 am Johannistag. Ursprünglich wurden in dieser Nacht alte Möbel, Abfallhaufen und Gerümpel verbrannt. Oft haben die Gebilde einen gesellschaftskritischen Beigeschmack. Die Alicantiner haben sogar schon Angela Merkel aufs Horn genommen, dieses Jahr haben sie sich vor allem über Wladimir Putin lustig gemacht. Natürlich kommen auch die lokalen Politiker und Staatsoberhäupter nicht zu kurz. So gibt es eine Figur, die Mariano Rajoy als Jungfrau darstellt, Pablo Iglesias als Mister Proper und König Felipe VI. als Schönling.
Eigentlich geht es aber schon in der Nacht zuvor los. In der Johannisnacht. Tausende Menschen laufen durch die Stadt. Alles strömt zum Strand. In riesigen Familiengruppen. Vom Säugling bis zur Uroma, alle sind dabei. Nicht zu vergessen, der Familienhund. Zu den Hogueras kommen jährlich etwa 200.000 Besucher, die angeblich einen Umsatz von knapp 35 Millionen Euro in die Stadt Alicante bringen. Während der Festtage entstehen etwa 10.000 Arbeitsplätze, die ebenso schnell wieder verschwinden wie die 2.500 Tonnen Müll.
Der Geruch nach herzhaftem Fleisch, würzigem Fisch und köstlicher Paella liegt in der Luft und mischt sich auf dem Weg zum Postiguet-Stadtstrand mit dem süßlichen Duft von Churros und den typisch spanischen Waffeln mit Schokolade. Am Postiguet Strand spielt sich Unglaubliches ab. Das Auge kann kaum erfassen, wie viele Menschen sich dort im Sand um kleine Lagerfeuer tummeln, Bierflaschen in den Händen, Myrtenkränze auf den Köpfen, lachend, gestikulierend. Einige hüpfen über ihre Hogueras, ihre kleinen Lagerfeuer. Das Meer rauscht im Hintergrund und eine leichte Brise sorgt bei den sommerlichen Temperaturen von immerhin noch 26 Grad für Abkühlung, als um Mitternacht Tausende in die Brandung gehen und über die Wellen springen. Der Legende nach lässt der, der in dieser magischen Nacht über Feuer und Wasser springt, seine Vergangenheit zurück und beginnt eine neue Lebensphase. Sünden aus dem vergangenen Jahr werden durch ein Bad im Meer weggewaschen. Der Alkohol tut wohl sein Übriges.
Dem ausgelassenen Treiben am Strand geht ein perfekt einstudierte und durchorganisierte Parade der Ehrendamen und Festköniginnen voraus. Die fetzige Blasmusik und das Farbenmeer lassen die Passanten an der Plaza de los Luceros ihre Münder und Augen aufreißen.
Am Luceros geht die Post ab
Frauen in engen, bunten Kleidern mit ausgestellten Röcken und Blumen im glänzenden Haar, mit Kastagnetten in den Händen, bewegen sich leidenschaftlich zum Rhythmus der Musik. Männer marschieren in glänzenden Uniformen, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen, stolz mit wehenden Fahnen durch die Menschenmenge, die respektvoll eine Schneise bil-
Wenn es zu heiß ist, wird die Menge von den Bomberos abgekühlt
det. Zwischen Touristen und Einheimischen lässt sich kaum mehr unterscheiden, alle bewegen sich zur Musik. Hinter den tanzenden Spaniern läuft herrschaftlich ein Orchester mit Trommeln und Trompeten. Für eine Sekunde mag der Zuschauer an deutsche Schützenfeste denken und dann legt das Orchester los. Da erkennt man die Touristen. Am Ohren zuhalten.
In einer Lautstärke wie bei dem Start eines Flugzeuges hauen die Musiker auf ihre Trommeln und blasen mit hochroten Gesichtern in ihre Trompeten. Jede Gruppe hat ihren eigenen kleinen Auftritt und so läuft auch das Orchester langsam und immer leiser spielend weiter. Immer wieder kommen riesige Wägen vorbei, die von Traktoren gezogen werden.
Typische Tänze und Kostüme
Hübsche Mädchen in bunter Tracht mit einem stolzen Lächeln auf dem Gesicht sitzen in diesen Wägen und winken lächelnd der Menge zu. Die Finger der Fotografen hören gar nicht mehr auf zu knipsen. Immer mehr Tänze werden aufgeführt, die Kleider immer bunter, die Musik immer schriller. Plötzlich bricht Jubel aus, riesiger Kopfschmuck aus Federn und viel nackte Haut tauchen aus der Menge auf. Wunderschöne, große Frauen mit strahlenden Gesichtern bewegen sich anmutig durch die Menge. Die Brasilianer bewegen ihre Hüften immer schneller, und während der Zuschauer sich noch fragt, wie das physisch überhaupt möglich ist, knallen im Hintergrund immer wieder Feuerwerkskörper, Rauch zieht auf und die Menge klatscht begeistert in die Hände. Wer noch nie die Hogueras in Alicante besucht hat, weiß nicht, dass viele andere Länder, wie zum Beispiel Venezuela, Kolumbien und auch Brasilien ihren Auftritt bei der Parade haben. Typische Tänze und Kostüme werden vorgeführt und die Tänzer tragen riesige Flaggen mit den heimischen Farben.
Die schönsten und beliebtesten Hoguera-Figuren werden übrigens nicht verbrannt, sondern ausgezeichnet und bekommen einen der wenigen begehrten Plätze im Hoguera Museum in Alicante, wo die Geschichte der Hogueras erklärt ist. Das Museo de Hogueras ist dienstags bis sonntags von 10 bis 14 und von 18 bis 21 Uhr geöffnet. Wer noch nicht genug von Feuerwerken, Rauch und Geknalle hat, kann sich noch bis Montag, 29. Juni, begeistern lassen. Jeweils um Mitternacht wird am Strand Postiguet ein Feuerwerkwettbewerb veranstaltet.