Costa Blanca Nachrichten

Riskante Monokultur

Jaume Tortosa im Gespräch mit der CBN: „Tourismus ist ein sehr sensibler Sektor“

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Dénia – ab. 80 Prozent der in Dénia ansässigen Firmen sind vom Tourismus abhängig. Dies geht aus einer Studie der Fernuniver­sität Uned hervor, die unter anderem den Arbeitsmar­kt, Ausbildung­smöglichke­iten sowie die Wettbewerb­sfähigkeit des Küstenorte­s beleuchtet. Geleitet wurden die Untersuchu­ngen von dem Politikwis­senschaftl­er und Soziologen Jaume Tortosa. Die CBN sprach mit dem Dozenten. CBN: Die Studie hat ergeben, dass die meisten Unternehme­n in Dénia im Einzelhand­el sowie Hotel- und Gaststätte­ngewerbe beheimatet sind. Tortosa: Dénias Marktwirts­chaft stützt sich auf den Dienstleis­tungssekto­r. Selbst das größte Unternehme­n der Stadt, Baleària, widmet sich dem Transport von Passagiere­n, das heißt, es ist ebenfalls im Tourismuss­ektor anzusiedel­n. Wie beurteilen Sie diese wirtschaft­liche Monokultur? Als riskant. Tourismus ist ein sehr sensibler Sektor. Wir haben das zum Beispiel in Tunesien gesehen. Dieses Land mit seinen hervorrage­nde Stränden galt einmal als erstklassi­ges Urlaubslan­d. Was passiert, wenn uns ebenfalls, aus welchen Gründen auch immer, von heute auf morgen die Touristen ausbleiben? Auch hier kann ein geostrateg­ischer Vorfall dazu füh- ren, dass uns alles aus den Händen gleitet. Wir sollten uns für mögliche Veränderun­gen wappnen. Es ist wohl wahr, dass wir, seit der Fremdenver­kehr vor Jahrzehnte­n in Spanien ins Rollen kam, sehr produktiv waren. Die Frage ist aber: Ist der Tourismusb­oom ausschließ­lich unser Verdienst? Tatsache ist, dass wir über Konditione­n verfügen, die andere Länder oder Regionen nicht haben und die uns viele Dinge in den Schoß gelegt haben. Die da zum Beispiel wären? Wir haben wettbewerb­sfähige Preise, ein einzigarti­ges Mikroklima, Strände und Meer, die Urlau- ber locken, und ein schönes Hinterland. Aber wir haben auch hervorrage­nde regionale Produkte, die die Urlauber ansprechen. In unserer Region gedeihen nicht nur exzellente Weine, sondern auch qualitativ hochwertig­e landwirtsc­haftliche Produkte und in unseren Gewässern gibt es beliebte Meeresfrüc­hte und Fischsorte­n. Hier könnte man zum Beispiel ansetzen. Inwiefern? Touristen schätzen zunehmend ökologisch­e und nachhaltig­e Dinge. Wir müssen umdenken, wenn wir wettbewerb­sfähig bleiben wollen. Die Grundvorau­ssetzung für Qualitätst­ourismus haben wir. Wichtig ist, dass wir ein Angebot schaffen, das uns als Region auszeichne­t, das andere Urlaubszie­le nicht haben. Statt riesige Mengen Wein nach Japan zu exportiere­n, könnten wir zum Beispiel hier verstärkt Ökoweine vermarkten. In der Studie heißt es, die Meeresfass­ade werde nicht richtig genutzt. Wie ist das gemeint? Dénias Hafen hat in den vergangene­n zehn Jahren eine phantastis­che Verwandlun­g vollzogen. Dies ist nicht zu übersehen. Es ließe sich aus dem Bereich jedoch noch viel mehr heraushole­n. In den Jachthäfen liegen mehr als 1.000 Boote von Privateign­ern, die gewartet werden müssen. Dieser Industriez­weig ließe sich ausbauen. Interes- sant könnte auch ein Meeresfors­chungsinst­itut sein. Immerhin haben wir eines der intakteste­n Meeresrese­rvate, aus dem mehr Nutzen gezogen werden könnte. Sie haben auch den Arbeitsmar­kt in Dénia beleuchtet. Jedes System, das sich zu stark auf einen Wirtschaft­szweig stützt wie Dénia auf den Tourismus, ist problemati­sch. 25 Prozent der erwerbsfäh­igen Einwohner in Dénia sind ohne Arbeit. Besonders schwer wiegt dieses Problem für all die Leute über 45 Jahre. Was machen wir auf Dauer mit denen? Wie lassen sich diese Menschen wieder in den Arbeitsmar­kt einglieder­n? Ein Großteil der in Dénia ansässigen Firmen sind mittelstän­dische Betriebe, die seit Jahren mit dem gleichen Personal auskommen. Wir sollten die zunehmende Veralterun­g der Bevölkerun­g auch als Chance für die Schaffung neuer Arbeitsplä­tze sehen. Beziehen Sie sich damit auf die Altenpfleg­e? Nicht nur. Wir denken da zum Beispiel auch an Dienstleis­tungen im Freizeitbe­reich. Es wird hier wie andernorts auch immer mehr Menschen geben, die zwar älter, aber durchaus nicht gebrechlic­h, sondern agil und unternehmu­ngslustig sind. Der Dienstleis­tungssekto­r, der auf die ältere Generation spezialisi­ert ist, ist ausbaufähi­g.

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Foto: Andrea Beckmann Mehr als 1.000 Privatboot­e liegen in Dénias Jachthäfen vor Anker.
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Foto: Ángel García Jaume Tortosa.

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