Müllhalde Meer
Wachsendes Risiko für Umwelt und Gesundheit: Weltweit landen jährlich bis zu zehn Millionen Tonnen Abfälle in den Ozeanen
Großes Glück hatten die Wasserschildkröten, die am Welttag der Meere am 8. Juni vor den Augen von mehr als 1.000 Schülern an Dénias Punta del Raset ihrem natürlichen Lebensraum überlassen wurden. Die Suppenschildkröte (Chelonia mydas) und die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta) wurden gestärkt in die Freiheit entlassen, nachdem sie sich in der Meerestierauffangstation in Valencia von ihren Verletzungen erholt hatten. Monate zuvor waren die Panzertiere verletzt von Fischern aufgenommen und der Auffangstation übergeben worden. Sie hatten sich in Netzen verfangen.
Für viele Meerestiere gibt es diese Rettung nicht. Schätzungen zufolge verenden jährlich mindestens 100.000 Delfine, Wale, Schildkröten, Robben und andere Meereslebewesen sowie Millionen Seevögel, weil sie sich in Überresten von Fischernetzen oder in Plastikmüll verfangen. Oder weil sie Plastikteile für Nahrung halten und diese fressen. Die Folge: Sie ersticken oder verhungern qualvoll mit vollem Magen, da sie Kunststoff nicht verdauen können.
Das Leben aller Lebewesen der Erde kam ursprünglich aus dem Meer. Auch heute noch ist es einer der bedeutendsten Lebensräume für die Versorgung der Menschheit mit Nahrung und Energie. Milliarden Erdbewohner beziehen ihr Trinkwasser und Nahrungsmittel wie Fische oder Algen aus den Ozeanen. Doch die Bevölkerung dieses Erdballs hat es geschafft, das Ökosystem in eine gefährliche Lage zu bringen. Über Generationen hinweg scherte sich kaum jemand darum, welche Folgen die im Meer entsorgten Abfälle haben.
Das Meer ist zu einer riesigen Deponie geworden. Millionen Müllteile wirbeln durch die Ozea- ne. Forscher der Vereinten Nationen nehmen an, dass jährlich zwischen acht und zehn Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren landen. Zwar gehen die Schätzungsweise treiben mindestens 46.000 Plastikteile auf jedem Quadratkilometer Meer Angaben über die Gesamtmenge des vorkommenden Plastikmülls auseinander, doch selbst die niedrigsten Schätzungen geben genug Grund zur Sorge.
Wissenschaftlichen Berichten zufolge dümpeln zwischen 12.000 und 46.000 Plastikteile auf jedem Quadratkilometer Meer. Eine im vergangenen Jahr von der Universität in Cádiz (UCA) durchgeführte Studie beispielsweise besagt, dass allein durch das Mittelmeer weit mehr als 1.000 Tonnen an Plastikmüll treiben. „Dies bedeutet, dass alle vier Quadratmeter ein Plastikabfall zu finden ist“, erklärt der Leiter der Studie, Andrés Cózar.
Die Forschungsarbeiten der UCA wurden an Bord eines Schiffes durchgeführt, das die Küste von Gibraltar bis Zypern durchkämmte. „Bei 83 Prozent des Plastiks, das wir dabei aus dem Meer gefischt haben, handelte es sich um Mikroplastik“, erläutert Cózar. Diese Partikel seien zwischen zwei und fünf Millimeter groß. Groß genug aber, dass sie von Fischen oder Wasservögeln aufgenommen werden können.
Mittelmeer stark belastet
Laut Studie hat sich das Aufkommen von Plastik im Mittelmeer in den vergangenen 30 Jahren um das Zehnfache erhöht. Und nicht nur Plastik setzt ihm zu. Der Mittelmeerraum ist dicht besiedelt, an seinen Küsten leben mehr als 150 Millionen Menschen, und nicht alle Abwässer gelangen ungeklärt ins Meer. Hinzu kommen Schadstoffe aus Industrie und Landwirtschaft, die über Flüsse eingeleitet werden. Und nicht zuletzt hinterlassen Öltanker und Raffinerien ihre Spuren. Das Mar Mediterráneo bedeckt nur knapp ein Prozent der weltweiten Meeresfläche. Trotzdem hat es in etwa mit den gleichen Verschmutzungsmengen zu kämpfen wie die weitaus größeren Ozeane.
„Das Mittelmeer erhält seinen Wasseraustausch nur über die Straße von Gibraltar, der Austausch ist
daher sehr gering“, erklärt Studienleiter Cózar. Deswegen weise es wesentlich höhere Salzgehalte, Temperaturen und auch Schadstoffanreicherungen auf als beispielsweise der Atlantik. Das Mittelmeer sei eines der am stärksten verschmutzten Gewässer weltweit.
30 Quadratmeter Plastikfolie
Selbst für so manchen der größten Meeresbewohner gibt es keine Garantie, die weit verbreiteten Müllstrudel schadlos zu überstehen. Ende Januar strandeten in SchleswigHolstein 13 junge Pottwale. Die Autopsie ergab: Vier der Jungtiere hatten große Mengen Plastikmüll in ihren Mägen. Die Forscher fanden unter anderem Reste eines 13 Meter langen Fischernetzes, eine 70 Zentimeter lange Plastikabdeckung aus dem Motorraum eines Pkw sowie scharfkantige Reste eines Kunststoffeimers.
Zwar waren nicht die Abfälle, sondern Herz-Kreislauf-Versagen die Ursache für die Strandung – die Säugetiere waren aus Versehen in das Flachwasser des Wattenmeeres geraten und nach Ablaufen des Wassers von ihrem eigenen Gewicht erdrückt worden –, doch die Experten sind davon überzeugt, dass die Tiere durch die Reste in ihrem Magen gesundheitliche Probleme bekommen hätten und an den Folgen gestorben wären.
Auch der zehn Meter lange Pottwal, der an der südspanischen Küste in Andalusien angeschwemmt worden war und für Schlagzeilen sorgte, rüttelte die Wissenschaft auf. Biologen der staatlichen Forschungswarte Doñana fanden im Magen des 4,5 Tonnen schweren Meeressäugers 30 Quadratmeter Plastikfolie, die zur Abdeckung von Gewächshäusern verwendet wird, Gartenschläuche, kleine Blumentöpfe, Plastiktüten, einen Kleiderbügel und Teile einer Matratze.
Besondere Bedrohung
Plastik stellt aufgrund seiner Resistenz eine besondere Bedrohung für die Weltmeere dar. „Das Material ist so beständig, dass es der Umwelt über Jahrzehnte und womög- lich gar über Jahrhunderte erhalten bleibt“, sagt der Biologe Adur Ainciburo. Plastikflaschen etwa benötigten bis zu 400 Jahre, um sich vollständig aufzulösen.
Um die Plastik-Verschmutzung der Meere aufzuhalten, gibt es nach Ansicht des Basken nur zwei Möglichkeiten: „Entweder muss die Entsorgung von Plastikmüll auf dem Erdball grundlegend verbessert oder die Herstellung von Plastik drastisch gesenkt werden.“Um dies zu erreichen, gebe es einiges zu tun. Mit 136 Kilogramm pro Jahr liege der Pro-Kopf-Verbrauch von Plastik in Westeuropa dreimal über dem weltweiten Durchschnitt. Davon entfielen zwei Drittel nur auf Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien und Großbritannien, weiß der Biologe.
In der Provinz Alicante beteiligen sich 165 Boote an der Kampagne „Upcycling the oceans“
Als einer der Hauptverursacher der Meeresvermüllung gilt der Fischereisektor. Sein Anteil an den Abfällen in den Ozeanen soll nach Berichten von Umweltschutzvereinigungen ein Zehntel der jährlichen Gesamtmenge ausmachen. Fischermüll besteht vor allem aus verlorener oder über Bord geworfener Ausrüstung wie Netze und Angelschnüre mit Haken. Die Netze treiben oft jahrelang als Geisternetze im Wasser. Meerestiere verfangen sich darin und sterben einen qualvollen Tod. Zu dem Abfall der Fischerei, der als „seebasierter Müll“bezeichnet wird, gehören auch Abfälle aus der kommerziellen und Freizeitschifffahrt.
„Wir wollen beweisen, dass wir zu Unrecht kritisiert werden, und möchten unseren Beitrag zur Säuberung der Meere leisten“, sagt dagegen ein Sprecher der Fischereigenossenschaft von Villajoyosa, die sich wie die Fischereiverbände von Santa Pola, Altea, Calpe, Jávea und Dénia einer revolutionären Initiative angeschlossen hat. Seit vergangenen Herbst agieren die Fischer dieser Küstenorte als Müll-