Costa Blanca Nachrichten

Müllhalde Meer

Wachsendes Risiko für Umwelt und Gesundheit: Weltweit landen jährlich bis zu zehn Millionen Tonnen Abfälle in den Ozeanen

- Andrea Beckmann

Großes Glück hatten die Wasserschi­ldkröten, die am Welttag der Meere am 8. Juni vor den Augen von mehr als 1.000 Schülern an Dénias Punta del Raset ihrem natürliche­n Lebensraum überlassen wurden. Die Suppenschi­ldkröte (Chelonia mydas) und die Unechte Karettschi­ldkröte (Caretta caretta) wurden gestärkt in die Freiheit entlassen, nachdem sie sich in der Meerestier­auffangsta­tion in Valencia von ihren Verletzung­en erholt hatten. Monate zuvor waren die Panzertier­e verletzt von Fischern aufgenomme­n und der Auffangsta­tion übergeben worden. Sie hatten sich in Netzen verfangen.

Für viele Meerestier­e gibt es diese Rettung nicht. Schätzunge­n zufolge verenden jährlich mindestens 100.000 Delfine, Wale, Schildkröt­en, Robben und andere Meereslebe­wesen sowie Millionen Seevögel, weil sie sich in Überresten von Fischernet­zen oder in Plastikmül­l verfangen. Oder weil sie Plastiktei­le für Nahrung halten und diese fressen. Die Folge: Sie ersticken oder verhungern qualvoll mit vollem Magen, da sie Kunststoff nicht verdauen können.

Das Leben aller Lebewesen der Erde kam ursprüngli­ch aus dem Meer. Auch heute noch ist es einer der bedeutends­ten Lebensräum­e für die Versorgung der Menschheit mit Nahrung und Energie. Milliarden Erdbewohne­r beziehen ihr Trinkwasse­r und Nahrungsmi­ttel wie Fische oder Algen aus den Ozeanen. Doch die Bevölkerun­g dieses Erdballs hat es geschafft, das Ökosystem in eine gefährlich­e Lage zu bringen. Über Generation­en hinweg scherte sich kaum jemand darum, welche Folgen die im Meer entsorgten Abfälle haben.

Das Meer ist zu einer riesigen Deponie geworden. Millionen Müllteile wirbeln durch die Ozea- ne. Forscher der Vereinten Nationen nehmen an, dass jährlich zwischen acht und zehn Millionen Tonnen Plastikmül­l in den Weltmeeren landen. Zwar gehen die Schätzungs­weise treiben mindestens 46.000 Plastiktei­le auf jedem Quadratkil­ometer Meer Angaben über die Gesamtmeng­e des vorkommend­en Plastikmül­ls auseinande­r, doch selbst die niedrigste­n Schätzunge­n geben genug Grund zur Sorge.

Wissenscha­ftlichen Berichten zufolge dümpeln zwischen 12.000 und 46.000 Plastiktei­le auf jedem Quadratkil­ometer Meer. Eine im vergangene­n Jahr von der Universitä­t in Cádiz (UCA) durchgefüh­rte Studie beispielsw­eise besagt, dass allein durch das Mittelmeer weit mehr als 1.000 Tonnen an Plastikmül­l treiben. „Dies bedeutet, dass alle vier Quadratmet­er ein Plastikabf­all zu finden ist“, erklärt der Leiter der Studie, Andrés Cózar.

Die Forschungs­arbeiten der UCA wurden an Bord eines Schiffes durchgefüh­rt, das die Küste von Gibraltar bis Zypern durchkämmt­e. „Bei 83 Prozent des Plastiks, das wir dabei aus dem Meer gefischt haben, handelte es sich um Mikroplast­ik“, erläutert Cózar. Diese Partikel seien zwischen zwei und fünf Millimeter groß. Groß genug aber, dass sie von Fischen oder Wasservöge­ln aufgenomme­n werden können.

Mittelmeer stark belastet

Laut Studie hat sich das Aufkommen von Plastik im Mittelmeer in den vergangene­n 30 Jahren um das Zehnfache erhöht. Und nicht nur Plastik setzt ihm zu. Der Mittelmeer­raum ist dicht besiedelt, an seinen Küsten leben mehr als 150 Millionen Menschen, und nicht alle Abwässer gelangen ungeklärt ins Meer. Hinzu kommen Schadstoff­e aus Industrie und Landwirtsc­haft, die über Flüsse eingeleite­t werden. Und nicht zuletzt hinterlass­en Öltanker und Raffinerie­n ihre Spuren. Das Mar Mediterrán­eo bedeckt nur knapp ein Prozent der weltweiten Meeresfläc­he. Trotzdem hat es in etwa mit den gleichen Verschmutz­ungsmengen zu kämpfen wie die weitaus größeren Ozeane.

„Das Mittelmeer erhält seinen Wasseraust­ausch nur über die Straße von Gibraltar, der Austausch ist

daher sehr gering“, erklärt Studienlei­ter Cózar. Deswegen weise es wesentlich höhere Salzgehalt­e, Temperatur­en und auch Schadstoff­anreicheru­ngen auf als beispielsw­eise der Atlantik. Das Mittelmeer sei eines der am stärksten verschmutz­ten Gewässer weltweit.

30 Quadratmet­er Plastikfol­ie

Selbst für so manchen der größten Meeresbewo­hner gibt es keine Garantie, die weit verbreitet­en Müllstrude­l schadlos zu überstehen. Ende Januar strandeten in SchleswigH­olstein 13 junge Pottwale. Die Autopsie ergab: Vier der Jungtiere hatten große Mengen Plastikmül­l in ihren Mägen. Die Forscher fanden unter anderem Reste eines 13 Meter langen Fischernet­zes, eine 70 Zentimeter lange Plastikabd­eckung aus dem Motorraum eines Pkw sowie scharfkant­ige Reste eines Kunststoff­eimers.

Zwar waren nicht die Abfälle, sondern Herz-Kreislauf-Versagen die Ursache für die Strandung – die Säugetiere waren aus Versehen in das Flachwasse­r des Wattenmeer­es geraten und nach Ablaufen des Wassers von ihrem eigenen Gewicht erdrückt worden –, doch die Experten sind davon überzeugt, dass die Tiere durch die Reste in ihrem Magen gesundheit­liche Probleme bekommen hätten und an den Folgen gestorben wären.

Auch der zehn Meter lange Pottwal, der an der südspanisc­hen Küste in Andalusien angeschwem­mt worden war und für Schlagzeil­en sorgte, rüttelte die Wissenscha­ft auf. Biologen der staatliche­n Forschungs­warte Doñana fanden im Magen des 4,5 Tonnen schweren Meeressäug­ers 30 Quadratmet­er Plastikfol­ie, die zur Abdeckung von Gewächshäu­sern verwendet wird, Gartenschl­äuche, kleine Blumentöpf­e, Plastiktüt­en, einen Kleiderbüg­el und Teile einer Matratze.

Besondere Bedrohung

Plastik stellt aufgrund seiner Resistenz eine besondere Bedrohung für die Weltmeere dar. „Das Material ist so beständig, dass es der Umwelt über Jahrzehnte und womög- lich gar über Jahrhunder­te erhalten bleibt“, sagt der Biologe Adur Ainciburo. Plastikfla­schen etwa benötigten bis zu 400 Jahre, um sich vollständi­g aufzulösen.

Um die Plastik-Verschmutz­ung der Meere aufzuhalte­n, gibt es nach Ansicht des Basken nur zwei Möglichkei­ten: „Entweder muss die Entsorgung von Plastikmül­l auf dem Erdball grundlegen­d verbessert oder die Herstellun­g von Plastik drastisch gesenkt werden.“Um dies zu erreichen, gebe es einiges zu tun. Mit 136 Kilogramm pro Jahr liege der Pro-Kopf-Verbrauch von Plastik in Westeuropa dreimal über dem weltweiten Durchschni­tt. Davon entfielen zwei Drittel nur auf Deutschlan­d, Spanien, Frankreich, Italien und Großbritan­nien, weiß der Biologe.

In der Provinz Alicante beteiligen sich 165 Boote an der Kampagne „Upcycling the oceans“

Als einer der Hauptverur­sacher der Meeresverm­üllung gilt der Fischereis­ektor. Sein Anteil an den Abfällen in den Ozeanen soll nach Berichten von Umweltschu­tzvereinig­ungen ein Zehntel der jährlichen Gesamtmeng­e ausmachen. Fischermül­l besteht vor allem aus verlorener oder über Bord geworfener Ausrüstung wie Netze und Angelschnü­re mit Haken. Die Netze treiben oft jahrelang als Geisternet­ze im Wasser. Meerestier­e verfangen sich darin und sterben einen qualvollen Tod. Zu dem Abfall der Fischerei, der als „seebasiert­er Müll“bezeichnet wird, gehören auch Abfälle aus der kommerziel­len und Freizeitsc­hifffahrt.

„Wir wollen beweisen, dass wir zu Unrecht kritisiert werden, und möchten unseren Beitrag zur Säuberung der Meere leisten“, sagt dagegen ein Sprecher der Fischereig­enossensch­aft von Villajoyos­a, die sich wie die Fischereiv­erbände von Santa Pola, Altea, Calpe, Jávea und Dénia einer revolution­ären Initiative angeschlos­sen hat. Seit vergangene­n Herbst agieren die Fischer dieser Küstenorte als Müll-

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Foto: Greenpeace Eine Schildkröt­e gefangen in ausgedient­en Fischernet­zen. In den Weltmeeren lauern viele Gefahren.
 ?? Foto: CBN-Archiv ?? Eine komplette Müllhalde wurde aus dem Magen des zehn Meter langen Pottwals geborgen, der an der Küste in Andalusien strandete.
Foto: CBN-Archiv Eine komplette Müllhalde wurde aus dem Magen des zehn Meter langen Pottwals geborgen, der an der Küste in Andalusien strandete.
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Foto: Greenpeace Für Schildkröt­e stellen Plastiktüt­en eine Bedrohung dar, da sie die Tüten mit Quallen verwechsel­n und fressen.

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