Trauer, die Berge zerbricht
Hoshmand Aziz, einziger Übriggebliebener der Flüchtlings-WG aus Mutxamel, im CBN-Interview
Mutxamel – sw. Zehntausende haben am Samstag in Barcelona für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen demonstriert. Der kurdische Iraker Hoshmand Aziz ist einer der wenigen Flüchtlinge, die in Spanien ankamen. Am 15. Januar 2016 schrieb die CBN einen Bericht über ihn und sieben weitere „refugiados“in Mutxamel. Die CBN hat den 30-Jährigen nach einem Jahr, und auf der Suche nach Arbeit, wieder getroffen.
CBN: Wow, Sie sprechen mittlerweile großartig Spanisch.
Aziz: Danke, aber ich merke gerade, wie viele Fehler ich noch mache. Im Aufnahmezentrum C.A.R. Mislata, Valencia, habe ich das Zertifikat B1 gemacht und will jetzt das B2 schaffen.
Was brachte Sie nach Mislata, und wieso sind Sie wieder zurück in Mutxamel?
Nach Mislata kam ich wegen des Bildungsangebots, machte dort in elf Kursen Zertifikate, in Gärtnerei, Informatik, als Friseur. Nun wohne ich in Mutxamel, weil Freunde mir Arbeit in einem Palmengarten in Elche besorgt haben. Ich verdiene nicht viel, habe auch keinen Vertrag, dafür ganz kaputte Hände (lacht). Aber ich suche weiter.
Wie ist die Lage daheim? Haben Sie Kontakt zur Familie?
Meine Mutter ist in Kirkuk, ein Bruder auch. Was mit dem anderen ist, wollen sie mir nicht sagen. Mein Vater starb unter Saddam Hussein. Im Moment ist der IS außerhalb, aber nicht weit. Er hat es auf unsere Ölquellen abgesehen.
War es 2015 richtig, zu gehen?
Ich fühle mich wie ein Egoist, aber ich musste es tun. Der Irak wollte mich zum Militär einziehen, und das war für mich nicht der richtige Weg. Sie glauben nicht, welche hochkarätige Ausrüstung der IS hat. Er hat mächtige Unterstützer.
Wie kamen Sie nach Spanien?
Ich nahm die Landroute über die Türkei, durchquerte acht Länder. Bulgarien und Serbien waren das Schlimmste. 13 Stunden zu Fuß, wir dachten, wir würden sterben. Von Deutschland riet man mir ab, also wollte ich nach England. Im Camp von Calais holten mich die Helfer aus Alicante ab.
Wo sind die anderen Flüchtlinge aus Mutxamel?
Alle sind in Großbritannien, nur von einem der Hawkars weiß ich nichts. Ich hatte mich in Spanien mit Fingerabdruck angemeldet, deswegen kam eine Ausreise nicht in Frage. Auch Osman hatte sich hier in Spanien angemeldet, ob er zurück muss, weiß ich nicht. Hier fehlte ihnen die Perspektive. Zudem löste sich die Organisation Rafar auf, eine der Helferinnen verschwand mit dem Geld. Aber ich sage gleich: Ich will niemanden kritisieren. Ich danke allen. Viele waren wie Engel für mich.
Hat Spanien in der Flüchtlingskrise versagt?
Das kann ich nicht sagen, denn das C.A.R. Mislata, das ja zum Staat gehört, hat mir sehr geholfen. Ich glaube nur, die Hilfe ist in anderen Ländern zeitlich nicht begrenzt. In Mislata lief sie nach sechs Monaten aus, ich konnte nur noch um drei Monate verlängern. Ich die Tarjeta Roja (Roter Asylbewerberausweis, Anm. d. Red.) und damit die Arbeitserlaubnis. Nur steht da fälschlicherweise, dass ich Syrer sei. Am schlimmsten ist aber, keine Arbeit zu finden. Dabei gibt es hier so viele Firmen, so viel Tourismus.
Haben Sie Osman kennengelernt, den achtjährigen Afghanen mit Zerebralparese?
Ja, er ist mit seiner Familie in Mislata. Ihm geht es jetzt ganz gut. Schlimmer dran ist dort Anastasia, ein kleines Mädchen, die aber nicht, wie Osman, im Fernsehen war. Ihre Mutter kämpft um sie, bisher hat sie es geschafft.
Wie klappte das Zusammenleben in Mislata?
Im C.A.R. waren Syrer, Iraker, Afghanen aber auch viele Ukrainer, Pakistanis, auch Menschen aus Venezuela. Probleme gab es schon. Ich wurde mit rassistischen Äußerungen beschimpft und einmal auch sexuell angegangen, zweimal wechselte ich das Zimmer. Auch ein Lehrer wurde ausfallend, fragte mich: Wie können Sie sich trauen zuzugeben, Kurde zu sein? Ich sagte ihm: Hier kann ich es, denn wir sind jetzt in Europa, und wir sind frei.
Und auf der Flucht? Gaben Sie sich als Kurde zu erkennen?
Ich sprach meist Englisch. Mein Arabisch ist etwa so wie mein Spanisch. Mein Gesicht verdeckte ich vor der Mafia, deren Banden überall waren. Sie versperrten Wege, sagten, es seien ihre, und wir mussten bezahlen. Selbst in Frankreich waren sie, ohne Moral, ohne Menschlichkeit. Wer die Leute sind, weiß ich nicht. Sie müssen irgendeine Hilfe bekommen.
Verstehen Sie eigentlich die Ängste vor den Flüchtlingen?
Schon, das ist das Recht der Menschen. Aber bei vielen kommen die richtigen Informationen nicht an. Darüber, wer wir sind, wo die Gefahr liegt. Man sagt ja: Schuld kennt keine Nation. Manche wissen nicht, dass der IS in Mossul den Christen, die er dort massiv bedrohte, erlaubte zu leben – wenn sie zahlten. Kurden allerdings wurden sofort getötet, nur weil wir für den IS keine echten Muslime sind.
Wollen Sie in den Irak zurück?
Um meine Familie zu sehen, dafür würde ich sterben. Ich bin wirklich traurig, doch bei uns gibt es ein Sprichwort: Die Trauer kann Berge zerbrechen. Daher halte ich es aus und probiere es hier weiter.