Zeitzeugen beider Seiten
Wecken von Erinnerungen: Fernando Arcas Cubero hat in 55 Dörfern in Málaga Interviews geführt
Fernando Arcas Cubero ist Geschichtsprofessor an der Universität Málaga. In seinem Buch „Yo estaba allí“(dt.: Ich war dabei) schildert er, was sich zur Zeit der Franco-Diktatur und des beginnenden Spanischen Bürgerkriegs in Málaga abspielte. In Málaga selbst und in 55 Dörfern der Provinz hat er 200 Männer und Frauen interviewt, die ihre Perspektiven auf das Geschehene darlegten.
CSN: Ihr Vater hat die Zeit des Bürgerkriegs selbst miterlebt. Was hat er erzählt?
Fernando Arcas Cubero: Nie hat er über Erschießungen oder Tote berichtet. Mit 17 war er berittener Soldat. Was wirklich geschah, habe ich nie erfahren. Uns Kindern hat er immer nur heitere Anekdoten aus dieser Zeit erzählt.
Wie beurteilen Sie die spanische Erinnerungskultur?
Ungefähr seit 1993 gibt es ein großes Interesse daran, sich auch stärker mit der Geschichte der Republikaner zu beschäftigen und der Opfer zu gedenken. Auch die Institutionen haben begonnen, Projekte dieser Art zu unterstützen. Noch immer fehlen Kenntnisse über die damalige Kultur. Wenig ist darüber bekannt, was im Radio und in den Zeitungen berichtet wurde. Auch die Rolle der Frau zurzeit des Bürgerkrieges ist ein noch unerforschtes Gebiet. Das Ley de Memoría Histórica (dt.: Gesetz zur historischen Erinne- rung) aus dem Jahr 2007 hat diese Projekte möglich gemacht.
Welche Rolle spielen dabei Bürgerinitiativen?
Eine tragende, denn seit 1993 es ist einer Vereinigung in León zu verdanken, dass das Thema Guerra Civil nicht mehr als Tabuthema behandelt wird und Zeitzeugen ihr Schweigen brechen können. Auch viele Enkel und Enkelinnen dieser Generation haben es forciert, dass heute die Geschichte aufgearbeitet wird. Im Gegensatz zu ihren Eltern haben sie eine noch größere Distanz zu dem, was geschehen ist.
...und die Perspektive ausländischer Hispanisten?
Diese halte ich für sehr wichtig, da sie unvoreingenommen an das Thema herangehen. Selten ergreifen sie Partei und sind oftmals sehr sensibel mit diesen Themen umgegangen. Die US-amerikanische Schriftstellerin Gamel Woolsey etwa hat das hervorragende Buch „El otro reino de la muerte“(dt.: Das andere Königreich des Todes, bekannter unter dem Titel: „Málaga burning“, dt.: „Málaga in Flammen“) geschrieben.
Weshalb haben Sie die Methode des Interviews gewählt?
Es war mir wichtig, diese Zeitzeugen zu interviewen, da diese Generation der Personen, die den Bürgerkrieg in Málaga erlebt hat, allmählich ausstirbt. Mündliche Aussagen vermitteln die Traumata weitaus intensiver, da der Interviewer die Mimik und Körperhaltung beobachten und auch eine Veränderung der Stimmlage feststellen kann.
Waren die Interviewten bereit, offen zu reden?
In den meisten Fällen schon. Ein Mann, den wir in der Serranía de Ronda interviewten, verstummte aber plötzlich, als wir die Kamera einschalteten. Er war bereit, im Beisein seiner Familie über seine Erinnerungen zu reden, doch plötzlich verschlug es ihm die Sprache. Eine Frau wollte nicht über das Erlebte sprechen. Ihre Nachbarin erzählte uns, dass sie im Haus neben dem Mörder ihres Vaters gelebt hatte und auf den Boden spuckte, wenn ihr dieser auf der Straße begegnete.