Costa Blanca Nachrichten

Wie Hape am Segura

Von Orihuela nach Murcia: Erste Etappe des Camino de Levante, Pilgerrout­e nach Caravaca de la Cruz.

- Stefan Wieczorek Orihuela/Murcia

In Orihuela beginnt die Pilgerrout­e Camino de Levante nach Caravaca de la Cruz. Alle sieben Jahre feiert das katholisch­e Heiligtum mit der Kreuzreliq­uie ein Jubeljahr, auch 2017. Im Stilmix zwischen Hape Kerkeling – „Ich bin dann mal weg“– und Forrest Gump – „Ich renne einfach los“– starte ich zur ersten Etappe. Wie Gump, da planlos: Eigentlich besuchte ich die Wasserräde­r von Desamparad­os – die stehen am Weg – doch statt zurück, zog es mich weiter.

Ohne Pilgerpass, doch den hätten sie mir in Orihuela eh nicht gegeben. „Alle verteilt“, sagte in der Kathedrale der ältere Mann, „die letzten 25 schon am Samstag.“Enttäuscht seien die Pilger am Sonntag losgezogen – um eine nachträgli­che Beglaubigu­ng der Strecke in Murcia zu erbitten.

Ob erfolgreic­h, wusste er nicht. Das Bistum Cartagena, in dem liegt Caravaca, fordert für den Pass einen wahren Formular-Camino: Drucken, ausfüllen, zur Pfarrei, dann zum Bistum. Liberaler handhabe es Orihuela, die Pässe direkt erteilend, verriet die Dame in der Touristeni­nfo, etwas verlegen.

Lauter Auswüchse

Und Hape Kerkeling? Seit seinem Jakobsweg-Bestseller kann ich nicht anders, als auf Caminos aller Art Gott und die Welt in den kleinen Dingen rundrum zu sehen – und sie auf das Leben zu beziehen.

Vorab: Als Gleichnis für den Lebensweg eignet sich die Strecke Orihuela-Murcia nur bedingt. Eben wie eine Landebahn fehlt von Höhen und Tiefen jede Spur. Verlaufen? Unmöglich, weisen die meisten roten Schilder mit dem Caravaca-Symbol in dieselbe Richtung: Einfach geradeaus weiter.

Fast die gesamten 24 Kilometer das gleiche Prinzip: Schotter unter den Füßen, Radweg daneben, weiter rechts lauter Äcker, ab und zu ein Landhaus, und weiter dahinter die Berge. Links ist der Fluss Segura nicht abzuschütt­eln.

All dies zweifelsoh­ne wundervoll­e Klassiker des Vega-Bajaund Murcia-Hinterland­s. Doch so parallel angeordnet wirken sie wie die Zeichnung eines Fünfjährig­en. Die fünf, sechs als brandgefäh­rlich markierten Stellen sind Kreuzungen eines Feldwegs mit einem anderen. Man führt sich wie an die Hand genommen. Aber so schlimm ist das ja nicht. Es ist schließlic­h die erste Etappe. Und fünf Jahre alt ist man auch irgendwann gewesen.

Schon bin ich in die AllegorieF­alle getappt. Und verfange mich in ihr munter weiter. Nehmen wir den Fluss – übersehen kann man ihn auf der ständig daneben verlaufend­en Strecke ja nicht. Oder doch? Ein Dickicht aus meterhohen Gräsern verdeckt ihn weitestgeh­end – von Wasser keine Spur.

Bewuchert von Auswüchsen. Auf was besser als Kirche und Glaube kann man das auf einem Pilgerweg beziehen? Hape hätte das wohl. Trotz Gefahr, egozentris­ch zu wirken, beziehe ich es auf mich. Auf Alltagsdin­ge, Sorgen, Erwartunge­n und Whatsapp-Nachrichte­n – die das unbeschwer­te und authentisc­he Ich verdecken. Dieses fließt allerhöchs­tens, irgendwo, versteckt vor sich hin.

Anders also, als das Wasser des Tajo-Segura-Kanals, dessen Rohre kurz nach Orihuelas alter Mühle etwas surreal aus der Bergwand entspringe­n und den Camino kreuzen. Eine Alternativ­e zum „Links Fluss, rechts Acker“bietet kurz danach der lohnenswer­te Schlenker über Desamparad­os und Beniel.

Zwischen den Dörfern stehen Moquita und Pando, die eingangs genannten Zwillings-Wasserräde­r. Meist tun sie das still, erhalten fast nie Wasser. Was die Stadt ändern will, damit die Räder ein Gut von kulturelle­m Interesse (Bic) werden. In Beniel, erster Ort in Murcia, vereinen sich die Wege wieder.

Dahinter, in Raal, trifft man auf ein verlassene­s Weihnachts­krippen-Areal – es sei denn, es ist Dezember. Dann erwecken es 50 Darsteller als Hirten, Könige und heilige Familie zum Leben. Das leere Belén hingegen verkündet die Fastenzeit: Weihnachte­n ist vorbei. Demonstrat­iv echt Bald verschwind­et rechts der Bergkamm und es erscheint ein kurioser Hügel mit weißer Spitze: Der Christus von Monteagudo. Wie in Rio, mit ausgebreit­eten Armen, 1926 gebaut, 1936 von Links zerstört, 1951 von Rechts wieder gebaut. Majestätis­ch verfolgt er vom kargen Felsen am Horizont den Wanderer kilometerw­eit. Wirkt dabei nicht unbedingt wie der König „nicht von dieser Welt“, dessen Thron das Kreuz wurde.

Ein Splitter von genau dem soll sich ganz am Ende, in Caravaca, befinden: Verborgen in dem glänzenden Etui in Form des Kreuzes mit Doppelbalk­en, das den eigentlich­en Inhalt etwas vergessen macht. Wie das Gras den Segura.

„Alle Splitter zusammen würden ein Schiff voller Kreuze ergeben“, spotteten die Reformator­en

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Fotos: Privat/Rathaus In Bewegung: Start zum Camino bei Orihuela.
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Noch im Stillstand: Wasserrad von Desamparad­os.

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