Zurück zur Realpolitik mit der Türkei
Dirk Ippen, Verleger der Ippen-Gruppe, zu der auch die Costa Blanca Nachrichten gehören, in seiner Kolumne zur Beziehung zwischen Deutschland und Türkei:
Vor Jahren waren wir als Urlauber einige Tage Gast bei türkischen Freunden. In Antalya hatten sie gerade eine kleine Pension eröffnet. Als Deutsche wurden wir hoch geehrt. Alle jüngeren Menschen, die man traf, schienen eine große Sehnsucht nach diesem bewunderten Land zu haben. Über der Hauptstraße des Ortes hing ein großes Spruchband: „Ne mutlu Türküm diyene“– „Glücklich derjenige, der sich als Türke bezeichnet“. Ich dachte mir fast beschämt, dass wohl niemand bei uns öffentlich so sein Glück, Deutscher zu sein, kundgetan hätte.
Dazu wurde mir klar, dieses türkische Volk hat zwar eine positive Einstellung zu uns, ist aber zugleich äußerst selbstbewusst. Mit einem solchen Volk und seinen Repräsentanten muss man vorsichtig umgehen. Ebenso mit den gut drei Millionen türkischstämmigen Mitbürgern, die friedlich bei uns in Deutschland leben.
So war ich unglücklich über den Beschluss des Deutschen Bundestages vor einigen Monaten, in dem offiziell festgestellt wurde, dass die Türkei 1917 einen Völkermord an den Armeniern begangen hatte. Warum mussten wir das ohne Not gerade jetzt verkünden? Es gibt doch mehr als genügend aktuelle Gründe, die Politik unter dem Erdogan-Regime seit dem (angeblichen?) Umsturzversuch zu verurteilen.
Unklug aber ist es trotzdem, dass einige Städte den Auftritt türkischer Politiker in öffentlichen Versammlungen mit vorgeschobenen Begründungen untersagen. Die von Erdogan geplante Umwandlung der Türkischen Republik in ein Präsidialsystem wird von vielen Türken hierzulande gottlob abgelehnt. In öffentliche Diskussionen darüber sollten wir Deutschen uns aktiv einschalten, anstatt Versammlungen zu verbieten. Wir als „gebrannte Kinder“können überzeugend darlegen, wie gefährlich dieser Weg ist. Auftritts- oder gar Einreiseverbote für türkische Politiker sind vor allem Wasser auf die Mühlen von Erdogan zum Stimmenfang auf dem verhängnisvollen Weg der Verfassungsänderung.
Das Bismarck-Wort von der Realpolitik ist als deutsches Fremdwort in die Sprachen der Welt eingegangen. Es besagt, dass Politik immer nur die Kunst des Möglichen ist. Wenn die Türkei am 14. April wirklich den Weg in ein Präsidialsystem wählt, folgt sie einem gefährlichen Trend. Den sehen wir auch in Polen und Ungarn. Wenn wir all diese Länder ausgrenzen, dann sind wir bald mehr von Feinden statt von Freunden umgeben. Ein Trauma der jüngeren deutschen Geschichte könnte zurückkehren. Noch aber ist in der Türkei nicht alles verloren. Noch ist die Türkei, trotz allem Schlimmen, was dort geschieht, ein Verfassungsstaat. Auch für unsere eigene Sicherheit ist es geboten, um die Seele des türkischen Volkes zu kämpfen, dem wir viel zu verdanken haben. In den Hitlerjahren haben freiheitlich denkende deutsche Professoren Zuflucht gefunden in der Türkei. An der Universität von Ankara konnten sie lehren, was in Deutschland verboten war. Realpolitik mit der heutigen Türkei heißt leider auch, wir können uns die Welt ja nicht so malen, wie wir sie gerne hätten.