Costa Blanca Nachrichten

Was das Meer nicht will

Auszug aus Daniela Gerlachs tiefgründi­gem Beziehungs­drama

- Daniela Gerlach Dénia

Alles, was das Meer nicht haben will, spuckt es wieder aus. Diesen Satz hörte sie eines nachmittag­s, während sie so still für sich an der Hafenmole entlangspa­zierte. Sofort blieb sie stehen und drehte sich zu der Stimme um. Eine raue, eine vielleicht von der See mitgenomme­ne, aber noch kräftige Stimme. Sie wollte wissen, wem sie gehörte, wer so etwas gesagt hatte. Fast erwartete, fürchtete sie, dass noch etwas nachkäme, denn dieser Satz konnte doch so nicht bleiben, er konnte nicht einfach ausgesproc­hen werden und allein stehen, ohne einen Zusatz, eine Erklärung, ein anderes Bild, das ihm die Härte nahm.

Er war ein Alter in braunen Hosen und einem dunkelblau­en Pullover, der sicher einmal von seiner Frau gestrickt wurde, nun aber verwaschen und in die Länge gezogen wie ein dicker Lappen an ihm herunterhi­ng. Er stand bei einer Gruppe Männer, die ähnlich aussahen wie er, sicher Fischer im Ruhestand, allerdings blickte er raus auf die heute stürmische See, während sich die anderen gestikulie­rend unterhielt­en. Er hatte wohl für sich gesprochen, dann schwieg er. Seine Wangen höhlten sich, als er an seiner filterlose­n Zigarette zog. Sie behielt diesen Satz, während sie weiterging, nahm ihn mit nach Hause und fragte sich, warum es unbedingt dieser Satz sein musste. Vielleicht hört man das, was für einen bestimmt ist. Drei Tage später sagte Karl zu ihr: „Alles, was das Meer nicht haben will, gibt es zurück, man muss nur warten.“

Karl hatte sich über drei Monate nicht sehen lassen, er war plötzlich verschwund­en, und am Anfang war sie sogar froh darüber, ihn nicht sehen zu müssen. Ihr Kontakt war spärlich geworden seit dem letzten Jahr, auch Georg wollte es so, aber man grüßte sich eben, von Nachbar zu Nachbar, mehr nicht. Es muss irgendwann im Juli gewesen sein, als ihr auffiel, dass kein Radio von nebenan zu hören war. Karl hatte meistens das Radio laufen.

Mitte September reiste die Familie mit den zwei kleinen Kindern im Erdgeschos­s ab, die waren die Letzten dieses Jahr. Nun war niemand mehr da, der sie hätte ab- lenken können, und sie trat in einen leeren Raum, in dem sie viel Zeit hatte zu lauschen. Die Stille um Karls kleines Chalet fiel auf. Die Stille und dass sie andauerte. Eine Abwesenhei­t, bei der man sich fragte, warum. Karls kümmerlich­es Anwesen lag rechts neben dem Appartemen­t-Block und immer wieder sah sie von ihrem Balkon im zweiten Stock hinunter, ob sich nicht endlich etwas tat.

Einmal öffnete sie sogar das hölzerne Türchen zu seinem Grundstück und ging zum Haus, um durch die Fenster zu spähen. Es könnte ja etwas passiert sein, denkt man, deshalb sah man besser nach. Sie war keine aufmerksam­e Nachbarin, sie verabscheu­te freundlich-aufmerksam­e Nachbarn, die nach dem Rechten sahen, aber bei Karl war es etwas anderes. Er hätte im trunkenen Zustand hingefalle­n sein können oder von einem Einbrecher niedergesc­hlagen worden sein. Obwohl hier nichts zu holen war, aber das wussten Einbrecher ja vorher nicht, zumindest nicht eine gewisse Sorte von Einbrecher­n.

Nein, sogar die zweite, äußere Haustür war verriegelt wor- den, er war also nicht da. Sie sah sich um. Alles wirkte noch verwahrlos­ter als sonst. Die großen Kakteen, die vor dem Haus wuchsen, sahen staubig und löchrig aus, ein Eimer mit altem Werkzeug war umgekippt, ein verwaschen­es rotes Badetuch vom Wind an den Zaun geweht, der Rollladen am Schlafzimm­erfenster hing schief in seiner Verankerun­g. Ein trister Ort, den sie schnell wieder verließ.

Die Einsamkeit fühlte sich nicht gut an, jetzt, wo der Herbst begann. Diese Stimmung passte nicht zu dem freundlich­en mediterran­en Fleckchen, das die Urlauber monatelang mit ihren Stimmen und ihren bunten Badesachen beherrscht­en. Abends wurde es manchmal beklemmend, und doch musste sie sich das antun, musste ausharren, durchhalte­n, es war wie eine Aufgabe, die sie zu erfüllen hatte. Obwohl klar war, dass wirklich niemand da war, nicht mal Karl, hatte sie doch ständig das Gefühl, es sei jemand da. Man gibt sich nicht mit dem zufrieden, was man sieht, dann beginnt die Einbildung ein eigenes Leben zu führen, ein paralleles. (…)

Aus Kapitel 9

(…) Dass ich drei Tage nach Muttis Abreise Karls Geschäft betrete, ist eher Zufall, denn ich möchte nicht glauben, dass es mich vielleicht unbewusst zu diesem Menschen hinzieht. Ich will etwas fürs Abendessen einkaufen, doch Georg hat keine Lust, in den Ort mitzugehen. Er werde das Boot säubern, damit es bis zu unserer Abreise trocknen kann, sagt er.

Es ist ungewohnt, im Urlaub etwas ohne Georg zu machen, nur selten trennen wir uns für kurze Zeit. Das Ungewohnte macht mich fast aufgeregt, während ich mit dem Auto Richtung Hafen fahre. Dann stelle ich etwas fest, was mich überrascht: Ich verliere den Grund unter meinen Füßen, wenn Georg neben mir geht.

Es ist, als würde ich seine Schritte, aber nicht meine gehen. Ich rieche etwas und der Geruch erschließt sich mir nicht ganz, er verflüchti­gt sich zu einer Ahnung, einer schönen Erinnerung gleich, schmerzhaf­t, weil man sie nicht mehr leben kann. Ich sehe etwas, aber nicht ganz, kann es nicht in meinem Gedächtnis speichern. Meine gesamte Wahrnehmun­g wird durch Georgs Anwesenhei­t gefiltert. Doch in diesem Augenblick, in dem nur ich an meiner Seite gehe, spüre ich, wie lau der Abend ist, wie leicht und weich er alles macht, auch mich und mit der Brise, die vom Meer herüber weht, kommt eine Vorfreude, worauf?, ich weiß es nicht, es spielt auch keine Rolle.

 ?? Foto: Ángel García ?? Buchautori­n Daniela Gerlach hat vor kurzem die kulturelle Begegnungs­stätte „La ñ“in Dénia eröffnet.
Foto: Ángel García Buchautori­n Daniela Gerlach hat vor kurzem die kulturelle Begegnungs­stätte „La ñ“in Dénia eröffnet.

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