Wahlkampf in Katalonien:
Rajoy bereitet Wahlkampf in Barcelona vor – Proteste gegen Verhaftungen, aber auch Selbstkritik
Rajoy setzt auf „schweigende Mehrheit“
Barcelona/Madrid – dpa/
ck. Regierungschef Mariano Rajoy hat erstmals seit der Kontrollübernahme in Katalonien die Regionalhauptstadt Barcelona besucht. Dort hatten erst am Samstagabend hunderttausende Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung bei einer Großdemonstration Solidarität mit der abgesetzten Regionalregierung bekundet. Dabei forderten sie den Abzug der Madrider „Besatzungsmacht“und die Freilassung von acht abgesetzten Ministern, die nach dem Unabhängigkeitsbeschluss des Regionalparlaments von der Justiz vorgeladen und Anfang November in Untersuchungshaft genommen worden waren.
Die Teilnehmer trugen Schilder mit der Aufschrift „Freiheit für die politischen Gefangenen“oder „SOS Demokratie“. Zu der Großkundgebung hatten die Bürgerinitiative Katalanische Nationalversammlung (ANC) und der Kulturverein Ómnium Cultural aufgerufen. Die Chefs der beiden Organisationen sitzen ebenfalls in Untersuchungshaft. Nach Polizeiangaben gingen etwa 750.000 Menschen auf die Straße.
Derweil entging die katalanische Parlamentspräsidium Carme Forcadell der U-Haft. Der Oberste Gerichtshof (TS) setzte am Freitag sie und die anderen Präsidiumsmitglieder gegen Kaution auf freien Fuß. Sobald dieses Gericht die Zuständigkeit für die gesamte Untersuchung des Unabhängigkeitsbeschlusses übernimmt, könnten auch die vom Nationalen Strafgericht in Haft gesetzten acht Ex-Minister gegen Kaution freigelassen werden. Das würde ihnen die Möglichkeit geben, am Wahlkampf teilzunehmen, da einige von ihnen bei der von Rajoy angesetzten Landtagswahl am 21. Dezember kandidieren.
Rajoy nahm in Barcelona an einer Veranstaltung seiner konservativen Volkspartei (PP) teil, bei der die Kandidaten für die Wahl vorgestellt wurden. In seiner Rede forderte er die „schweigende Mehrheit“
69 Prozent der Katalanen befürworten die vorgezogene Wahl
auf, am 21. Dezember ihre Stimme abzugeben – und so ihrer Ablehnung einer Abspaltung der Region von Spanien Ausdruck zu verleihen, damit dort, wie Rajoy sagte, wieder Normalität einkehren könne.
Eine Mehrheit der Katalanen ist gegen die Unabhängigkeit, jedoch verschafft sie sich seit Monaten weniger Gehör als die Befürworter der Trennung. Laut einer von der Zeitung „El País“in Auftrag gegebenen Umfrage des Instituts Metroscopia begrüßt ein Großteil der Bevölkerung die Neuwahl: 76 Pro- zent der Spanier und 69 Prozent der Katalanen befürworten demnach den vorgezogenen Urnengang. 54 Prozent der Spanier erklärten zudem, sie seien zufrieden mit Rajoys Krisenmanagement. Colau trennt sich vom PSC Der Ex-Chef der katalanischen Regierung, Carles Puigdemont, bedankte sich per Videobotschaft bei den Demonstranten. Er hatte sich vor der Anklageerhebung zusammen mit vier weiteren Ministern nach Brüssel abgesetzt. Jedoch droht den fünf Katalanen die Auslieferung. Am Freitag, 17. November, wird ein Richter in Brüssel darüber entscheiden, wie es weitergeht. Belgien hat rechtlich gesehen zwei Monate Zeit, um über die Auslieferung zu befinden.
Auch Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, die gegen eine Abspaltung der Region ist, nahm an dem Protest teil. „Wir fordern die Freilassung der Inhaftierten, aber auch, dass die verantwortungslose Regionalregierung, die das Land ins Desaster geführt hat, dazu steht“, sagte sie. Damit spielt sie auf den „Verrat“von Parlamentspräsidentin Forcadell an, die sich vom umstrittenen Unabhängigkeitsbeschluss abwandte, um dem Gefängnis zu entgehen, und wohl auch auf die Flucht von Puigdemont nach Brüssel. Derweil wächst die Selbstkritik der Separatisten. Puigdemonts Mentor Artur Mas und der Fraktionssprecher der Republikanischen Linken, Joan Tardà, räumen inzwischen ein, dass der Unabhängigkeitsbeschluss vielleicht doch voreilig war.
Colau wollte weder die Unabhängigkeit noch die Zwangsverwaltung durch Artikel 155. Am Sonntag trennte sich ihre Partei Barcelona en Comú auf Geheiß der Basis vom sozialistischen Regierungspartner PSC, weil die dem 155 zugestimmt hatte. Teilnehmen an der Wahl will nun auch wieder die anarchistische CUP mit einer eigenen Liste.