Kultur
Guardamar feiert Jubiläen zu Kunstsprache Esperanto – Ausstellung in Kulturhaus, Baum für deutschen Esperantisten
Rede der Hoffnung: Guardamar feiert Jubiläen zu Kunstsprache Esperanto – Baum für deutschen Esperantisten
Judeoespañol retten: Akademie RAE will Dependance in Israel
In einer Stadt im Osten stockt der Bau eines Turmes. Die Bauarbeiter streiten. Sie sprechen verschiedene Sprachen, Missverständnisse entstehen. Der Bau, ein Fiasko. 1867 schrieb der zehn Jahre alte Ludwik Zamenhof ein so handelndes Theaterstück. Der Titel: „Turm Babel“. Multi-Kulti erlebte der Junge jeden Tag. In Białystok sah er Polen, Juden, Russen, Weißrussen, Litauer und Deutsche. Ideal war das Miteinander nicht. Zumal Ressentiments wuchsen. Antisemitismus flammte auf. Als Arzt in Warschau kam Zamenhof die heilsame Idee: Eine Sprache, die kulturelle Konflikte beseitigen würde – das Esperanto.
Vom Wort für „Hoffnung“kam der Name. Zwei Jubiläen, 130 Jahre Esperanto und hundert nach Zamenhofs Tod feiern seine Nachfolger, die Esperantisten, im Moment. Weltweit – und in Guardamar.
Das derzeit nicht nur eine Ausstellung zum Esperanto bietet. Am Sonntag war die Sprache auch ein wichtiges Element des Baumfests. Die besondere Beziehung zu Zamenhofs Erfindung verdankt Guardamar einem Bauingenieur. Und einem Residenten aus Kassel.
Gemeinsame Vision
Der Reihe nach. Ingenieur Ricardo Cordoníu kam Ende des 19. Jahrhunderts wegen einer Notlage: Die Stadt versank im Sand. Der Wald, zuvor Schutzschild vor den Dünen, war abgeholzt worden. Für Notwendiges wie Kriegsschiffe. Der Sand rückte vor, schluckte die ersten Häuser. Jede Rettung schien zu spät. Nicht für Cordoníu. Hartnäckig erbat er beim König Geld. Für das er den genialen Planer Francisco Mira und eine große Zahl an Arbeitskräften verpflichtete.
Mit unbeschreiblicher Energie drängte Guardamar die Sandberge fort, errichtete unter der Erde Wälle und darüber einen neuen Wald. Dank des Megaprojekts wuchs zudem auch die Stadt – wirtschaftlich und an Bevölkerung. Nicht nur all dies hatte Codorníu – der „Apostel des Baumes“– gebracht. Auch das Esperanto. Das blühte in Europa, Codorníu war in Spanien unter den ersten Esperantisten. Als einer, der die Sprache beherrschte. Doch auch als überzeugter „Hoffender“.
Heute wie damals sagen Esperantisten: Zamenhofs Erfindung ist mehr als eine Sprache. „Esperanto ist eher eine gemeinsame Vision, die Pazifismus, Ökologie, Solidarität und Neugier auf die Welt vereint“, sagt Lola Pérez, aus Guardamar. Als Esperantistin erkennt man sie am grünen Stern auf dem Shirt genauso wie am Enthusiasmus in jedem ihrer Worte. Dabei kam Esperanto erst vor einem Jahr in ihr Leben. Als sie in Rente ging und endlich Zeit dafür hatte.
Geniale Wortbildung
Motiviert hätten sie die schnellen Fortschritte, die sie in der Sprache machte. Lebt doch die Sprache, die aus nur 16 grammatischen Regeln besteht, von ihrer Einfachheit und Logik. „70 Prozent macht Latein aus. Vorherrschend sind auch slawische und germanische Elemente“, erklärt Pérez. Zamenhof, Kenner neuer und alter Sprachen, kombinierte deren Vorteile. Und stattete das Esperanto mit einem Reichtum an Möglichkeiten zur Wortbildung aus. „Das ist das Geniale daran“, so Pérez. „Mit einfachen Mitteln können auch komplizierte Inhalte ausgedrückt werden.“
Für Esperanto biete Guardamar nicht zuletzt wegen seiner sprachlichen Eigenart nahrhaften Boden. Als südlichste Stadt der Zone des Valenciano ist das Nebeneinander der Regionalsprache und des Castellano hier tief verwurzelt. Wofür auch Lola Pérez steht, die in der Familie Valenciano spricht, in der Schule aber Spanisch unterrichtete.
Vielleicht ein Grund mehr, warum spanische Esperantisten in jedem September Guardamars Dünen aufsuchen, um dort in der Hoffnungssprache zu plaudern. Im Ort war das nicht bekannt. Bis Pérez dahinter kam. Akribisch jagt sie in ihrem neuen Leben als Esperantistin Informationen dieser Art. „Kurios ist auch die EsperantoTradition in Callosa de Segura. Jüdische Flüchtlinge brachten Esperanto im Zweiten Weltkrieg hin.“
Wieder ausgegraben
Den Esperantisten Guardamars hat Pérez neues Leben eingehaucht. Beim Fest im Wald war sie die Sprecherin der etwas angestaubten „Hoffenden“. Für neues Leben standen auch Bäume, die sie auf einem Areal pflanzten: Eine Olive
für das Esperanto, eine Kiefer für Zamenhof, eine Pinie für Codorníu. Die Siebenzahl vervollständigten die ins Esperanto übersetzten Autoren Hernández, Cervantes und Estellés – sowie Wolfgang Günther, der eine Zypresse erhielt.
Der deutsche Esperantist wohnte lange in Ciudad Quesada, wo er unter anderem den Namen für die heutige Calle Esperanto erwirkte. Sein Hemd mit dem grünen Stern fiel einst in Guardamar auf. Günther, der in Kassel Esperanto unterrichtet hatte, tat dies nun auch in der Dünenstadt, legte so die Basis für die heutige Esperanto-Gruppe.
„Wenn Codorníu das Esperanto herbrachte, hat es Günther wieder ausgegraben“, lobt Lola Pérez. Zwar schaffte es der Deutsche nicht zum Fest und zum Einsetzen seines Baumes, soll aber im Juni bei der Eröffnung des Platzes für Codorníu dabei sein.
Ein gescheiterter Versuch?
Dabei ist der Kontakt aus der Ferne ein Merkmal des Esperanto. Zamenhof sah es in einer Brückenfunktion für die Telegraphie, die gerade die Welt um ihn so klein erscheinen ließ. „Heute ruht die Hoffnung der Esperanto-Bewegung stark auf dem Internet“, erklärt Wolfgang Günther. Vor allem in der Entwicklung Afrikas und Asiens sehe er Chancen.
„Die sozial-ökologische Ader des Esperanto passt zu den Prinzipien der Vereinten Nationen: Frieden, Menschenrechte, Nachhaltige Entwicklung“. Auch in der EU könne Esperanto ein Wirrwarr entflechten: „Hier gibt es über 500 Übersetzungsrichtungen, mit Esperanto wären es 24.“Heutige Perspektiven bietet auch Guardamars Esperanto-Ausstellung. Codorníu widmet sie zwei Tafeln. Auf einer erzählt er in einem Text aus einem Kinderbuch die Rettung der Stadt vorm Sand. Und wie die Wiederherstellung der Natur der Schlüssel zum Überleben der Stadt wurde.
Was ja Zamenhofs Geist in sich trägt. Der kämpfte zwar nicht mit Sandbergen. Doch war er der „Mann, der Babel die Stirn bot“, heißt es auf der Ausstellung.
Wie Cordoníu baute Zamenhof auf bewährten Formeln auf. Transportierte in der Vision zudem den Respekt zu Mensch, Kultur und Natur – als Gegenmittel zur Welle der Verachtung. Doch Zamenhof scheiterte: Esperanto etablierte sich nicht, änderte auch nicht die Welt. Zamenhof erlebte nicht den Holocaust, dem fast alle seine Nachfahren als jüdische Polen zum Opfer fielen. Doch geblieben ist die Sprache, in die sich Sätze wie der folgende einfach und universell übersetzen lassen: „La espero mortas laste.“Die Hoffnung stirbt zuletzt.