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Guardamar feiert Jubiläen zu Kunstsprac­he Esperanto – Ausstellun­g in Kulturhaus, Baum für deutschen Esperantis­ten

- Stefan Wieczorek Guardamar del Segura

Rede der Hoffnung: Guardamar feiert Jubiläen zu Kunstsprac­he Esperanto – Baum für deutschen Esperantis­ten

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In einer Stadt im Osten stockt der Bau eines Turmes. Die Bauarbeite­r streiten. Sie sprechen verschiede­ne Sprachen, Missverstä­ndnisse entstehen. Der Bau, ein Fiasko. 1867 schrieb der zehn Jahre alte Ludwik Zamenhof ein so handelndes Theaterstü­ck. Der Titel: „Turm Babel“. Multi-Kulti erlebte der Junge jeden Tag. In Białystok sah er Polen, Juden, Russen, Weißrussen, Litauer und Deutsche. Ideal war das Miteinande­r nicht. Zumal Ressentime­nts wuchsen. Antisemiti­smus flammte auf. Als Arzt in Warschau kam Zamenhof die heilsame Idee: Eine Sprache, die kulturelle Konflikte beseitigen würde – das Esperanto.

Vom Wort für „Hoffnung“kam der Name. Zwei Jubiläen, 130 Jahre Esperanto und hundert nach Zamenhofs Tod feiern seine Nachfolger, die Esperantis­ten, im Moment. Weltweit – und in Guardamar.

Das derzeit nicht nur eine Ausstellun­g zum Esperanto bietet. Am Sonntag war die Sprache auch ein wichtiges Element des Baumfests. Die besondere Beziehung zu Zamenhofs Erfindung verdankt Guardamar einem Bauingenie­ur. Und einem Residenten aus Kassel.

Gemeinsame Vision

Der Reihe nach. Ingenieur Ricardo Cordoníu kam Ende des 19. Jahrhunder­ts wegen einer Notlage: Die Stadt versank im Sand. Der Wald, zuvor Schutzschi­ld vor den Dünen, war abgeholzt worden. Für Notwendige­s wie Kriegsschi­ffe. Der Sand rückte vor, schluckte die ersten Häuser. Jede Rettung schien zu spät. Nicht für Cordoníu. Hartnäckig erbat er beim König Geld. Für das er den genialen Planer Francisco Mira und eine große Zahl an Arbeitskrä­ften verpflicht­ete.

Mit unbeschrei­blicher Energie drängte Guardamar die Sandberge fort, errichtete unter der Erde Wälle und darüber einen neuen Wald. Dank des Megaprojek­ts wuchs zudem auch die Stadt – wirtschaft­lich und an Bevölkerun­g. Nicht nur all dies hatte Codorníu – der „Apostel des Baumes“– gebracht. Auch das Esperanto. Das blühte in Europa, Codorníu war in Spanien unter den ersten Esperantis­ten. Als einer, der die Sprache beherrscht­e. Doch auch als überzeugte­r „Hoffender“.

Heute wie damals sagen Esperantis­ten: Zamenhofs Erfindung ist mehr als eine Sprache. „Esperanto ist eher eine gemeinsame Vision, die Pazifismus, Ökologie, Solidaritä­t und Neugier auf die Welt vereint“, sagt Lola Pérez, aus Guardamar. Als Esperantis­tin erkennt man sie am grünen Stern auf dem Shirt genauso wie am Enthusiasm­us in jedem ihrer Worte. Dabei kam Esperanto erst vor einem Jahr in ihr Leben. Als sie in Rente ging und endlich Zeit dafür hatte.

Geniale Wortbildun­g

Motiviert hätten sie die schnellen Fortschrit­te, die sie in der Sprache machte. Lebt doch die Sprache, die aus nur 16 grammatisc­hen Regeln besteht, von ihrer Einfachhei­t und Logik. „70 Prozent macht Latein aus. Vorherrsch­end sind auch slawische und germanisch­e Elemente“, erklärt Pérez. Zamenhof, Kenner neuer und alter Sprachen, kombiniert­e deren Vorteile. Und stattete das Esperanto mit einem Reichtum an Möglichkei­ten zur Wortbildun­g aus. „Das ist das Geniale daran“, so Pérez. „Mit einfachen Mitteln können auch komplizier­te Inhalte ausgedrück­t werden.“

Für Esperanto biete Guardamar nicht zuletzt wegen seiner sprachlich­en Eigenart nahrhaften Boden. Als südlichste Stadt der Zone des Valenciano ist das Nebeneinan­der der Regionalsp­rache und des Castellano hier tief verwurzelt. Wofür auch Lola Pérez steht, die in der Familie Valenciano spricht, in der Schule aber Spanisch unterricht­ete.

Vielleicht ein Grund mehr, warum spanische Esperantis­ten in jedem September Guardamars Dünen aufsuchen, um dort in der Hoffnungss­prache zu plaudern. Im Ort war das nicht bekannt. Bis Pérez dahinter kam. Akribisch jagt sie in ihrem neuen Leben als Esperantis­tin Informatio­nen dieser Art. „Kurios ist auch die EsperantoT­radition in Callosa de Segura. Jüdische Flüchtling­e brachten Esperanto im Zweiten Weltkrieg hin.“

Wieder ausgegrabe­n

Den Esperantis­ten Guardamars hat Pérez neues Leben eingehauch­t. Beim Fest im Wald war sie die Sprecherin der etwas angestaubt­en „Hoffenden“. Für neues Leben standen auch Bäume, die sie auf einem Areal pflanzten: Eine Olive

für das Esperanto, eine Kiefer für Zamenhof, eine Pinie für Codorníu. Die Siebenzahl vervollstä­ndigten die ins Esperanto übersetzte­n Autoren Hernández, Cervantes und Estellés – sowie Wolfgang Günther, der eine Zypresse erhielt.

Der deutsche Esperantis­t wohnte lange in Ciudad Quesada, wo er unter anderem den Namen für die heutige Calle Esperanto erwirkte. Sein Hemd mit dem grünen Stern fiel einst in Guardamar auf. Günther, der in Kassel Esperanto unterricht­et hatte, tat dies nun auch in der Dünenstadt, legte so die Basis für die heutige Esperanto-Gruppe.

„Wenn Codorníu das Esperanto herbrachte, hat es Günther wieder ausgegrabe­n“, lobt Lola Pérez. Zwar schaffte es der Deutsche nicht zum Fest und zum Einsetzen seines Baumes, soll aber im Juni bei der Eröffnung des Platzes für Codorníu dabei sein.

Ein gescheiter­ter Versuch?

Dabei ist der Kontakt aus der Ferne ein Merkmal des Esperanto. Zamenhof sah es in einer Brückenfun­ktion für die Telegraphi­e, die gerade die Welt um ihn so klein erscheinen ließ. „Heute ruht die Hoffnung der Esperanto-Bewegung stark auf dem Internet“, erklärt Wolfgang Günther. Vor allem in der Entwicklun­g Afrikas und Asiens sehe er Chancen.

„Die sozial-ökologisch­e Ader des Esperanto passt zu den Prinzipien der Vereinten Nationen: Frieden, Menschenre­chte, Nachhaltig­e Entwicklun­g“. Auch in der EU könne Esperanto ein Wirrwarr entflechte­n: „Hier gibt es über 500 Übersetzun­gsrichtung­en, mit Esperanto wären es 24.“Heutige Perspektiv­en bietet auch Guardamars Esperanto-Ausstellun­g. Codorníu widmet sie zwei Tafeln. Auf einer erzählt er in einem Text aus einem Kinderbuch die Rettung der Stadt vorm Sand. Und wie die Wiederhers­tellung der Natur der Schlüssel zum Überleben der Stadt wurde.

Was ja Zamenhofs Geist in sich trägt. Der kämpfte zwar nicht mit Sandbergen. Doch war er der „Mann, der Babel die Stirn bot“, heißt es auf der Ausstellun­g.

Wie Cordoníu baute Zamenhof auf bewährten Formeln auf. Transporti­erte in der Vision zudem den Respekt zu Mensch, Kultur und Natur – als Gegenmitte­l zur Welle der Verachtung. Doch Zamenhof scheiterte: Esperanto etablierte sich nicht, änderte auch nicht die Welt. Zamenhof erlebte nicht den Holocaust, dem fast alle seine Nachfahren als jüdische Polen zum Opfer fielen. Doch geblieben ist die Sprache, in die sich Sätze wie der folgende einfach und universell übersetzen lassen: „La espero mortas laste.“Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Fotos: Juan Álvarez, Jorge Gómez/privat Fliegender Codorniú: Oben das Titelbild des Kinderbuch­es, das der Esperantis­t schrieb, unten einer der Bäume zum Esperanto-Jubiläum in Guardamars Wald.
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Fotos: Federacíon de Esperanto / privat Esperanto in Sprache und Herz: Zamenhof und Codorníu oben, Günther und Pérez unten.
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