Aus für Anmache
Andalusische Kampagne gegen sexuelle Belästigung auf der Straße entzündet in ganz Spanien Debatte über Piropos
Eine andalusische Kampagne gegen sexuelle Belästigung auf der Straße entzweit Spanien. Der Streitpunkt: Sie will unter anderem Piropos – Komplimente, die Männer Frauen nachrufen – ausrotten. Sie werden als Form machistischer Gewalt gesehen. Doch Piropos haben auch viele Fürsprecher, die sie als Teil der Volkskultur verstehen.
„Obwohl wir sie oft gar nicht bemerken, sind die Tiere der Straßen-Fauna da draußen. Sie belauern uns jeden Tag, im Supermarkt, im Park und im Bus. Sie pfeifen uns hinterher und rufen uns Komplimente nach. Sie folgen uns und kommen immer näher. Die Eule, die einen nicht aus den Augen lässt, der Geier, der unablässig über einem kreist, der Eber, der Schweinereien grunzt, und die Krake, die grabschen will. Wir müssen alles tun, damit sie verschwinden.“
„Sei kein Tier“– die neue Kampagne der andalusischen Institute für die Frau und die Jugend, teilt Spanien in zwei Lager. In den Medien, in Familien, in Schulen, an Bartresen und einfach überall wird diskutiert, ob die Initiative schon lange dringend nötig war oder ein Auswuchs frustrierter Feministinnen ist, die Männer als Monster abstempeln und generell das Anbandeln verbieten.
Die Kampagne will der alltäglichen sexuellen Belästigung auf den Straßen ein Ende machen. Ein Video zeigt Männer mit Tiermasken, die eine Frau im Laufe ihres normalen Tagesablaufs blöd anmachen. Das geht soweit, dass die Krake im Bus ihren Po angrabscht.
Francisco Pizarro, Leiter des Andalusischen Instituts für Jugend, unterstreicht, dass die alltägliche sexuelle Belästigung auf den Straßen leider gesellschaftlich akzeptiert sei. „Für Grabschen gilt das vielleicht nicht“, sagt er. „Doch in verhüllt oder offen sexuellen Kom- mentaren, die Männer über Frauen machen, sieht zum Beispiel kaum einer einen Angriff.“Die Linie zwischen einem angenehmen Kompliment und einer Belästigung sei fein und für einen Jugendlichen oft nicht klar zu erkennen. „Deshalb ziehen wir vor, dass sie ganz auf Komplimente verzichten.“
Elena Ruiz vom andalusischen Institut der Frau meinte, dass solche machistischen Verhaltensweisen Frauen zu Sexualobjekten ma- chen und zu Delikten wie Beleidigungen, Angrabschen oder sogar Vergewaltigungen führen können. „Wir wollen diesen Machismus anprangern, der eher typisch für Tiere als für Menschen ist.“
Damit rief Ruiz zunächst die Tierschützer auf den Plan: Red Equo derechos de los animales (Netz Equo für Tierrechte) forderte die Institute auf, die Kampagne zurückzuziehen und sich zu entschuldigen. „Natürlich sind Kampagnen gegen sexuelle Belästigung auf der Straße notwendig“, sagte Verbandssprecher Francisco Sánchez. „Doch dabei muss man den Täter anprangern und ihn nicht hinter der Maske unschuldiger Tiere verstecken.“
Die meisten Kampagnen-Gegner aber brachen eine Lanze für die Piropos – also für Komplimente, die Männer Frauen auf der Straße nachrufen. So sagte der Chef der Ciudadanos-Partei Albert Rivera in einem Interview mit dem Radiosender Onda Cero: „Ich bin für Piropos.“Er verstehe nicht, wie man Komplimente verbieten könne, die doch jemanden positiv herausheben. „Und wenn so ein Spruch doch einmal beleidigend sein sollten, kann man das anzeigen und so eine Anzeige wird dann auch von allen – einschließlich den Männern – unterstützt.“
Wenn jemand liberal sei, müsse er beides verteidigen: die Rechte der Frauen und auch das Recht der Männer, alles zu tun, das kein Delikt sei, meinte Rivera. „Ich bin dagegen, einfach Dinge zu verbieten. Ich lebe doch in einem Rechtsstaat, wo nur grundsätzlich das
verboten sein sollte, was wirklich eine Straftat ist.“
Aus dem extrem rechten Spektrum kamen in YouTube zu flotter Marschmusik sogar Sprüche wie: „Ihr Linken habt doch so laut nach der sexuellen Freiheit geschrien und jetzt, wo die Gesellschaft so sexuell aufgeheizt ist, klagt ihr über die Konsequenzen.“
Der Rat der Franco-Nostalgiker: „Gebt zu forschen Männern doch eine Ohrfeige, wie das eure Großmutter schon gemacht hat.“Die Kampagne stelle die modernen Frauen als Dummchen hin, die sich nicht zu verteidigen wüssten.
Das linke Parteienbündnis Unidos Podemos will dagegen, das Piropos künftig sogar unter Strafe gestellt werden. „Diese und andere sexuelle Gewalt außerhalb der eigenen vier Wände wird zu wenig entdeckt und verfolgt“, erklärte die Sprecherin für Gleichstellungsfragen, Ángela Rodríguez.
Sollte Spanien solch ein Gesetz schaffen, würde es Belgien folgen, wo Piropos schon seit 2014 mit Geldstrafen zwischen 50 und 1.000 Euro belegt werden. In Portugal reicht der 2016 verabschiedete Strafgesetzbuch bei Piropo-Verstößen im Extremfall sogar bis zu Gefängnis, und in Frankreich ist eine entsprechende Gesetzesinitiative zur Zeit auf dem Weg.
Alba Gonzáles aus La Xara hat selbst schon oft unter zu aufdringlichen Piropos gelitten. Dennoch scheinen der Psychologin Geldund Haftstrafen übertrieben. „Strafen sollte man nur, wenn das Kompliment wirklich obszön ist“, meint sie. „Da müsste man jeden einzelnen Fall genau prüfen.“
Die 29-Jährige findet es in Ordnung, wenn jemand ihre schönen Augen lobt. „Doch wenn es dann um meinen Po geht, hört es auf“, sagt sie. Es sei ganz egal, wie man sich anziehe, gewisse Männer könnten sich einfach nicht zügeln. „Und doch fragt man sich immer: Bin ich etwa zu provokativ gekleidet?“– und suche die Schuld bei sich
Ihr sei bewusst, das viele Männer dächten, auch deftigere Komplimente schmeichelten den Frauen. „Doch das ist nicht so!“
Teil der Volkskultur
Paco Sotos, der ein kleines Bauunternehmen in La Xara leitet, kann die ganze Diskussion nicht verstehen. „Piropos, das ist doch Teil der Volkskultur“, meint er. „Ich habe Landarbeiter gesehen, die nicht einmal Lesen und Schreiben konnten, aber ein großes Talent fürs Komplimentemachen hatten. Da gab es wahre Künstler.“
Er sei seit seiner Jugend auf dem Bau und habe dabei festgestellt, dass gerade die Andalusier tolle Komplimente machten. „Ich weiß nicht warum, die drücken sich einfach gut aus“, sagt der Spanier.
Mit einem Kompliment zeichne man das Mädchen doch aus und zolle ihm Respekt. „Piropos ernten nur hübsche Mädchen, die anderen gehen leer aus“, stellt Sotos klar.
Er hat auch schon erlebt, dass Bauarbeiter sich mit einem zu vulgären Kompliment im Ton vergrif- fen. „Aber das sind dann Leute, die sich allgemein nicht zu benehmen wissen. Man muss eben immer gewisse Grenzen respektieren.“
Einen Zweck verfolgten ein Piropo oder ein anerkennender Pfiff nicht. „Man will nicht anbandeln. Das erkennt man schon daran, dass man ein Kompliment nur einer Frau macht, die in einer gewissen Distanz vorbeiläuft. Steht sie neben einem, hält man schön den Mund.“
Es sei einfach so, dass man eine hübsche Frau sieht und das dann ausdrücken möchte – vor allem wenn man mit anderen Männern zusammen sei. „Aber Piropos sind nicht nur Männersache“, sagt Sotos schmunzelnd. „Wenn mehrere Frauen zusammenstehen und es kommt ein toller Mann vorbei, kriegt er auch ein paar saftige Komplimente ab. Man hat schon immer gesagt, Frauen sind da schlimmer als Männer.“
Generell hat der Bauunternehmer aber festgestellt, dass immer weniger Komplimente gemacht werden. „Die Menschen haben sich geändert, Piropos sind aus der Mode gekommen“, meint er.