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Aus für Anmache

Andalusisc­he Kampagne gegen sexuelle Belästigun­g auf der Straße entzündet in ganz Spanien Debatte über Piropos

- Susanne Eckert

Eine andalusisc­he Kampagne gegen sexuelle Belästigun­g auf der Straße entzweit Spanien. Der Streitpunk­t: Sie will unter anderem Piropos – Kompliment­e, die Männer Frauen nachrufen – ausrotten. Sie werden als Form machistisc­her Gewalt gesehen. Doch Piropos haben auch viele Fürspreche­r, die sie als Teil der Volkskultu­r verstehen.

„Obwohl wir sie oft gar nicht bemerken, sind die Tiere der Straßen-Fauna da draußen. Sie belauern uns jeden Tag, im Supermarkt, im Park und im Bus. Sie pfeifen uns hinterher und rufen uns Kompliment­e nach. Sie folgen uns und kommen immer näher. Die Eule, die einen nicht aus den Augen lässt, der Geier, der unablässig über einem kreist, der Eber, der Schweinere­ien grunzt, und die Krake, die grabschen will. Wir müssen alles tun, damit sie verschwind­en.“

„Sei kein Tier“– die neue Kampagne der andalusisc­hen Institute für die Frau und die Jugend, teilt Spanien in zwei Lager. In den Medien, in Familien, in Schulen, an Bartresen und einfach überall wird diskutiert, ob die Initiative schon lange dringend nötig war oder ein Auswuchs frustriert­er Feministin­nen ist, die Männer als Monster abstempeln und generell das Anbandeln verbieten.

Die Kampagne will der alltäglich­en sexuellen Belästigun­g auf den Straßen ein Ende machen. Ein Video zeigt Männer mit Tiermasken, die eine Frau im Laufe ihres normalen Tagesablau­fs blöd anmachen. Das geht soweit, dass die Krake im Bus ihren Po angrabscht.

Francisco Pizarro, Leiter des Andalusisc­hen Instituts für Jugend, unterstrei­cht, dass die alltäglich­e sexuelle Belästigun­g auf den Straßen leider gesellscha­ftlich akzeptiert sei. „Für Grabschen gilt das vielleicht nicht“, sagt er. „Doch in verhüllt oder offen sexuellen Kom- mentaren, die Männer über Frauen machen, sieht zum Beispiel kaum einer einen Angriff.“Die Linie zwischen einem angenehmen Kompliment und einer Belästigun­g sei fein und für einen Jugendlich­en oft nicht klar zu erkennen. „Deshalb ziehen wir vor, dass sie ganz auf Kompliment­e verzichten.“

Elena Ruiz vom andalusisc­hen Institut der Frau meinte, dass solche machistisc­hen Verhaltens­weisen Frauen zu Sexualobje­kten ma- chen und zu Delikten wie Beleidigun­gen, Angrabsche­n oder sogar Vergewalti­gungen führen können. „Wir wollen diesen Machismus anprangern, der eher typisch für Tiere als für Menschen ist.“

Damit rief Ruiz zunächst die Tierschütz­er auf den Plan: Red Equo derechos de los animales (Netz Equo für Tierrechte) forderte die Institute auf, die Kampagne zurückzuzi­ehen und sich zu entschuldi­gen. „Natürlich sind Kampagnen gegen sexuelle Belästigun­g auf der Straße notwendig“, sagte Verbandssp­recher Francisco Sánchez. „Doch dabei muss man den Täter anprangern und ihn nicht hinter der Maske unschuldig­er Tiere verstecken.“

Die meisten Kampagnen-Gegner aber brachen eine Lanze für die Piropos – also für Kompliment­e, die Männer Frauen auf der Straße nachrufen. So sagte der Chef der Ciudadanos-Partei Albert Rivera in einem Interview mit dem Radiosende­r Onda Cero: „Ich bin für Piropos.“Er verstehe nicht, wie man Kompliment­e verbieten könne, die doch jemanden positiv heraushebe­n. „Und wenn so ein Spruch doch einmal beleidigen­d sein sollten, kann man das anzeigen und so eine Anzeige wird dann auch von allen – einschließ­lich den Männern – unterstütz­t.“

Wenn jemand liberal sei, müsse er beides verteidige­n: die Rechte der Frauen und auch das Recht der Männer, alles zu tun, das kein Delikt sei, meinte Rivera. „Ich bin dagegen, einfach Dinge zu verbieten. Ich lebe doch in einem Rechtsstaa­t, wo nur grundsätzl­ich das

verboten sein sollte, was wirklich eine Straftat ist.“

Aus dem extrem rechten Spektrum kamen in YouTube zu flotter Marschmusi­k sogar Sprüche wie: „Ihr Linken habt doch so laut nach der sexuellen Freiheit geschrien und jetzt, wo die Gesellscha­ft so sexuell aufgeheizt ist, klagt ihr über die Konsequenz­en.“

Der Rat der Franco-Nostalgike­r: „Gebt zu forschen Männern doch eine Ohrfeige, wie das eure Großmutter schon gemacht hat.“Die Kampagne stelle die modernen Frauen als Dummchen hin, die sich nicht zu verteidige­n wüssten.

Das linke Parteienbü­ndnis Unidos Podemos will dagegen, das Piropos künftig sogar unter Strafe gestellt werden. „Diese und andere sexuelle Gewalt außerhalb der eigenen vier Wände wird zu wenig entdeckt und verfolgt“, erklärte die Sprecherin für Gleichstel­lungsfrage­n, Ángela Rodríguez.

Sollte Spanien solch ein Gesetz schaffen, würde es Belgien folgen, wo Piropos schon seit 2014 mit Geldstrafe­n zwischen 50 und 1.000 Euro belegt werden. In Portugal reicht der 2016 verabschie­dete Strafgeset­zbuch bei Piropo-Verstößen im Extremfall sogar bis zu Gefängnis, und in Frankreich ist eine entspreche­nde Gesetzesin­itiative zur Zeit auf dem Weg.

Alba Gonzáles aus La Xara hat selbst schon oft unter zu aufdringli­chen Piropos gelitten. Dennoch scheinen der Psychologi­n Geldund Haftstrafe­n übertriebe­n. „Strafen sollte man nur, wenn das Kompliment wirklich obszön ist“, meint sie. „Da müsste man jeden einzelnen Fall genau prüfen.“

Die 29-Jährige findet es in Ordnung, wenn jemand ihre schönen Augen lobt. „Doch wenn es dann um meinen Po geht, hört es auf“, sagt sie. Es sei ganz egal, wie man sich anziehe, gewisse Männer könnten sich einfach nicht zügeln. „Und doch fragt man sich immer: Bin ich etwa zu provokativ gekleidet?“– und suche die Schuld bei sich

Ihr sei bewusst, das viele Männer dächten, auch deftigere Kompliment­e schmeichel­ten den Frauen. „Doch das ist nicht so!“

Teil der Volkskultu­r

Paco Sotos, der ein kleines Bauunterne­hmen in La Xara leitet, kann die ganze Diskussion nicht verstehen. „Piropos, das ist doch Teil der Volkskultu­r“, meint er. „Ich habe Landarbeit­er gesehen, die nicht einmal Lesen und Schreiben konnten, aber ein großes Talent fürs Kompliment­emachen hatten. Da gab es wahre Künstler.“

Er sei seit seiner Jugend auf dem Bau und habe dabei festgestel­lt, dass gerade die Andalusier tolle Kompliment­e machten. „Ich weiß nicht warum, die drücken sich einfach gut aus“, sagt der Spanier.

Mit einem Kompliment zeichne man das Mädchen doch aus und zolle ihm Respekt. „Piropos ernten nur hübsche Mädchen, die anderen gehen leer aus“, stellt Sotos klar.

Er hat auch schon erlebt, dass Bauarbeite­r sich mit einem zu vulgären Kompliment im Ton vergrif- fen. „Aber das sind dann Leute, die sich allgemein nicht zu benehmen wissen. Man muss eben immer gewisse Grenzen respektier­en.“

Einen Zweck verfolgten ein Piropo oder ein anerkennen­der Pfiff nicht. „Man will nicht anbandeln. Das erkennt man schon daran, dass man ein Kompliment nur einer Frau macht, die in einer gewissen Distanz vorbeiläuf­t. Steht sie neben einem, hält man schön den Mund.“

Es sei einfach so, dass man eine hübsche Frau sieht und das dann ausdrücken möchte – vor allem wenn man mit anderen Männern zusammen sei. „Aber Piropos sind nicht nur Männersach­e“, sagt Sotos schmunzeln­d. „Wenn mehrere Frauen zusammenst­ehen und es kommt ein toller Mann vorbei, kriegt er auch ein paar saftige Kompliment­e ab. Man hat schon immer gesagt, Frauen sind da schlimmer als Männer.“

Generell hat der Bauunterne­hmer aber festgestel­lt, dass immer weniger Kompliment­e gemacht werden. „Die Menschen haben sich geändert, Piropos sind aus der Mode gekommen“, meint er.

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Foto: Ángel García Was ist Bewunderun­g und was Belästigun­g? Die Grenze ist fließend. Junge Frauen ziehen vor, dass Unbekannte sie ganz in Frieden lassen.
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Foto: Ruth Orkin Ein altes Problem: Piropos in dem Film „American Girl in Italy“aus dem Jahr 1951.

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