Der verbotene Turm
Alter Wachturm von Torre de Horadada bleibt für Besucher und Behörden uneinnehmbar – Bürgermeister droht mit Enteignung
„Es ist doch unser Wahrzeichen, man könnte auf dem Gelände so viel Schönes machen und außerdem würden wir den Besitzern ja die Restaurierung bezahlen.“Die Enttäuschung der Kulturstadträtin von Pilar de Horadada, Trinidad Escarabajal (PSOE), ist groß, als wir sie am Montag beim Ortstermin an den wieder einmal verschlossenen Toren des alten Turmes treffen. Die Küstenlinie der Vega Baja ist mit historischen Baudenkmalen wahrlich nicht gerade gesegnet. Die Bausünden der vergangenen Jahrzehnte stampften fast alle alten Gemäuer ein und noch immer wird gebaut, neue Urbanisationen verstellen den Blick auf letzte Reste des steingewordenen historischen Erbes.
Eine weithin sichtbare Ausnahme ist der alte Beobachtungsturm Torre de Horadada aus dem 16. Jahrhundert im gleichnamigen Strandviertel von Pilar de la Horadada. Etwas vorgelagert, auf einer Landspitze zwischen Strand und Hafen gelegen, just, wo die Costa Blanca zur Costa Cálida wird, leistete das von dem italienischen Baumeister Antonelli 1591 im Auftrag von König Felipe II. errichtete Gebäude mit seiner kleinen Garnison wertvolle Dienste bis hinein ins 19. Jahrhundert: Als Frühwarnsystem gegen einfallende Piraten von der afrikanischen Küste, meist Berber und nicht selten Nachfahren jener „Moros“, die man erst vor einem knappen Jahrhundert von der Halbinsel deportiert hatte.
Kein Kontakt mit Besitzern
Doch der Turm ist heute so unzugänglich wie anno dazumal, Einwohner und Touristen können ihn nur von außen begutachten, selbst für die Stadtregierung bleibt er uneinnehmbar, in den Zeitungen heißt er nur „der verbotene Turm“.
Seit 1995 ist er als BIC, also Kulturdenkmal eingestuft, somit unter Denkmalschutz gestellt. Daher müsste er von den privaten Eignern eigentlich in Schuss gehalten und mindestens vier Tage im Monat öffentlich zugänglich gemacht werden. Aber die Besitzer weigern sich beharrlich. Mit uns vor Ort sind ein paar Medienleute und auch der Stadtrat für Infrastruktur Francisco Albaladejo von Podemos: „Wir wollen eigentlich alles im Guten regeln, denn der Gerichtsweg würde wieder Jahre beanspruchen. Aber wir bekommen keinen Kontakt, das ist nun schon der x-te Versuch“, sagt er. Die Ortspolizei ist gekommen, sogar die Guardia Civil. Aber auch ihnen sind noch die Hände gebunden und sie belehren die „Medienmeute“, die Finger vom Gitter zu lassen.
Tote, Feste und Legenden
Der Turm gelangte im 19. Jahrhundert im Rahmen einer Auktion an den Grafen Roche, Enrique Fulgencio Fuster y López, geboren 1845, einer alten Familie aus Murcia entstammend. Dieser war Jesuit und Humanist, Industrieller und Winzer. Er widmete sein Leben dem Erhalt des spirituellen und kulturellen Erbes der Region Murcia und soll einer dem Vatikan nahestehenden Loge, einem Vorläufer des Opus Dei angehört haben. Zwei seiner Schwestern und ein Bruder wurden im Zuge der antikatholischen-anarchistischen Terrorakte umgebracht, eine seiner Töchter starb mit 16 Jahren an einer Krankheit im Torre de Horadada. Vorgänge, die in schaurigen Legenden von Gespenstern immer noch im Dorf herumgeistern.
Die Anlage diente und dient als Sommersitz der Familie und wurde mehrfach umgebaut, mit einem großen Gebäude erweitert, zu Zeiten, als die Nähe zur Macht die Baugenehmigung ersetzte. Lange ist das noch nicht her. Alte Einwohner von Pilar berichten von großen Festen, Unmengen Personal und einem recht turbulenten Treiben. Bis zum Ende der FrancoZeit genoss die Grafenfamilie sogar einen Privatstrand.
Die Nachfahren – Eigentümerin ist eine betagte Gräfin Roche und ihre Familie – hüllen sich in vollkommenes Schweigen, und die Einwohner von Pilar müssen zusehen, wie die Gebäude jedes Jahr mehr verfallen. Nur selten im Jahr, „vielleicht zwei oder drei Wochen im Sommer“, so die Stadträtin, „sieht man mal einen Menschen auf dem Grundstück, ein Gärtner stutzt wuchernde Pflanzen“. Selbst den Denkmalschützern der Landesregierung, die den konservato-
rischen Status des BIC erheben wollen, wurde der Zugang verweigert, der entsprechende Antrag wurde vor einem halben Jahr verschickt, heißt es aus Valencia. Die Konservatoren würden zum Beispiel gerne überprüfen, ob die farbigen Dachkacheln des Turms aus der Entstehungszeit stammen oder später angefügt wurden. Das letzte Mal war man 2016 vor Ort und erstellte einen Plan mit den baulichen Maßnahmen, die nötig seien, um den Komplex zu konservieren und öffentlich zugänglich zu machen. Seitdem hat man nichts mehr gehört. Das Einzige, was in all den Jahren restauriert wurde, ist das prächtige Familienwappen der Roche – wie ein Statement.
Eine Journalistenkollegin kann sich an einen Besuch im Inneren 1996 erinnern: „Die Struktur im Inneren war damals in Takt, auch die schöne steinerne Wendeltreppe. Auf drei Ebenen im Turm hat man alles mit Möbeln á la Ikea vollgestellt. Aber wie es heute aussieht, weiß keiner, das ist ja 22 Jahre her...“. Die Kulturstadträtin Trini Escarabajal habe mehrfach mit der Familie verhandelt, um das Grundstück einer öffentlichen Nutzung zuzuführen, sogar mit öffentlichen Geldern für die Restaurierung hat sie die post-gräfliche Familie umworben.
Stadt würde kaufen
Doch die wollen davon nichts wissen. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, dass die Grafen einen Machtwechsel in Valencia erhoffen, um sich mit ihren Kontakten dann des BIC-Status’ zu entledigen. Dann könnte man das direkt am Meer gelegene Grundstück für Millionen verkaufen, Gebäude umgestalten oder sogar abreißen. Doch selbst die PP von Pilar will davon nichts wissen, parteiübergreifend fordert man das Gleiche: den öffentlichen Zugang. Mit dem BIC-Status eignet sich die Top-Lage auch nicht als Spekulationsobjekt, denn auch Neueigentümer dürften weder den Turm verändern, noch irgendetwas bauen. Die Stadt hätte Vorkaufsrecht. „Wir würden sogar kaufen, das Geld würden wir auftreiben“, sagt der Podemos-Stadtrat. Eine Nachbarschaftsinitiative sammelt jetzt Unterschriften, um den Zugang zum Kulturerbe zu erreichen, Kulturveranstaltungen auf dem Grundstück durchzuführen. Escarabajal erklärt, dass die Eigner vom BICStatus profitieren, so zahlen sie zum Beispiel keine Grundsteuer (IBI) „sie kassieren die Privilegien, verweigern aber die Pflichten.“Dabei ginge es zunächst nur um vier Tage Zutritt und geführte Besuche.
Parallelen zum Franco-Gut
Der Fall erinnert an jenen um das Gutshaus Pazo de Meirás der Familie Franco in Galicien. Auch die Nachfahren des Diktators verweigern den Zugang zu diesem BIC, waren dort aber noch etwas dreister. Sie unterstellten das Anwesen der öffentlich geförderten Erinnerungsstiftung „Fundación nacional Francisco Franco“, die den Zugang aus baulichen Gründen einfach sperrte. Die Erbengemeinschaft der Familie Franco annonciert die einstige Sommerfrische des Putschisten mittlerweile zum Verkauf und zahlt für jeden Tag, den man nicht öffnet, eine Geldstrafe an die Stadt. Die hat jetzt die Gerichte eingeschaltet.
Auch die Geduld von Pilars Bürgermeister Ignacio Ramos (PSOE) gegenüber der gräflichen Familie Roche ist begrenzt. Vor wenigen Tagen erklärte er in einem Interview klipp und klar: „Das Gesetz ist dafür da, eingehal- ten zu werden. Wenn die Eigentümer den Turm nicht für Besucher freigeben, werden wir das bei Gericht einfordern, auf dass es seine Arbeit tut. Und wenn es nötig ist, werden wir enteignen.“Die Polizei und die Stadträte zeigen uns das Begehungsprotokoll mit dem Vermerk: „Eigentümervertreter nicht erschienen.“
Richter werden den Zugang nun erzwingen müssen, den weder Piraten, noch Bürger oder Bürgermeister erlangten. In der Zwischenzeit verfällt das älteste Gebäude weit und breit weiter.