Costa Blanca Nachrichten

Der verbotene Turm

Alter Wachturm von Torre de Horadada bleibt für Besucher und Behörden uneinnehmb­ar – Bürgermeis­ter droht mit Enteignung

- Marco Schicker Pilar de la Horadada

„Es ist doch unser Wahrzeiche­n, man könnte auf dem Gelände so viel Schönes machen und außerdem würden wir den Besitzern ja die Restaurier­ung bezahlen.“Die Enttäuschu­ng der Kulturstad­trätin von Pilar de Horadada, Trinidad Escarabaja­l (PSOE), ist groß, als wir sie am Montag beim Ortstermin an den wieder einmal verschloss­enen Toren des alten Turmes treffen. Die Küstenlini­e der Vega Baja ist mit historisch­en Baudenkmal­en wahrlich nicht gerade gesegnet. Die Bausünden der vergangene­n Jahrzehnte stampften fast alle alten Gemäuer ein und noch immer wird gebaut, neue Urbanisati­onen verstellen den Blick auf letzte Reste des steingewor­denen historisch­en Erbes.

Eine weithin sichtbare Ausnahme ist der alte Beobachtun­gsturm Torre de Horadada aus dem 16. Jahrhunder­t im gleichnami­gen Strandvier­tel von Pilar de la Horadada. Etwas vorgelager­t, auf einer Landspitze zwischen Strand und Hafen gelegen, just, wo die Costa Blanca zur Costa Cálida wird, leistete das von dem italienisc­hen Baumeister Antonelli 1591 im Auftrag von König Felipe II. errichtete Gebäude mit seiner kleinen Garnison wertvolle Dienste bis hinein ins 19. Jahrhunder­t: Als Frühwarnsy­stem gegen einfallend­e Piraten von der afrikanisc­hen Küste, meist Berber und nicht selten Nachfahren jener „Moros“, die man erst vor einem knappen Jahrhunder­t von der Halbinsel deportiert hatte.

Kein Kontakt mit Besitzern

Doch der Turm ist heute so unzugängli­ch wie anno dazumal, Einwohner und Touristen können ihn nur von außen begutachte­n, selbst für die Stadtregie­rung bleibt er uneinnehmb­ar, in den Zeitungen heißt er nur „der verbotene Turm“.

Seit 1995 ist er als BIC, also Kulturdenk­mal eingestuft, somit unter Denkmalsch­utz gestellt. Daher müsste er von den privaten Eignern eigentlich in Schuss gehalten und mindestens vier Tage im Monat öffentlich zugänglich gemacht werden. Aber die Besitzer weigern sich beharrlich. Mit uns vor Ort sind ein paar Medienleut­e und auch der Stadtrat für Infrastruk­tur Francisco Albaladejo von Podemos: „Wir wollen eigentlich alles im Guten regeln, denn der Gerichtswe­g würde wieder Jahre beanspruch­en. Aber wir bekommen keinen Kontakt, das ist nun schon der x-te Versuch“, sagt er. Die Ortspolize­i ist gekommen, sogar die Guardia Civil. Aber auch ihnen sind noch die Hände gebunden und sie belehren die „Medienmeut­e“, die Finger vom Gitter zu lassen.

Tote, Feste und Legenden

Der Turm gelangte im 19. Jahrhunder­t im Rahmen einer Auktion an den Grafen Roche, Enrique Fulgencio Fuster y López, geboren 1845, einer alten Familie aus Murcia entstammen­d. Dieser war Jesuit und Humanist, Industriel­ler und Winzer. Er widmete sein Leben dem Erhalt des spirituell­en und kulturelle­n Erbes der Region Murcia und soll einer dem Vatikan nahestehen­den Loge, einem Vorläufer des Opus Dei angehört haben. Zwei seiner Schwestern und ein Bruder wurden im Zuge der antikathol­ischen-anarchisti­schen Terrorakte umgebracht, eine seiner Töchter starb mit 16 Jahren an einer Krankheit im Torre de Horadada. Vorgänge, die in schaurigen Legenden von Gespenster­n immer noch im Dorf herumgeist­ern.

Die Anlage diente und dient als Sommersitz der Familie und wurde mehrfach umgebaut, mit einem großen Gebäude erweitert, zu Zeiten, als die Nähe zur Macht die Baugenehmi­gung ersetzte. Lange ist das noch nicht her. Alte Einwohner von Pilar berichten von großen Festen, Unmengen Personal und einem recht turbulente­n Treiben. Bis zum Ende der FrancoZeit genoss die Grafenfami­lie sogar einen Privatstra­nd.

Die Nachfahren – Eigentümer­in ist eine betagte Gräfin Roche und ihre Familie – hüllen sich in vollkommen­es Schweigen, und die Einwohner von Pilar müssen zusehen, wie die Gebäude jedes Jahr mehr verfallen. Nur selten im Jahr, „vielleicht zwei oder drei Wochen im Sommer“, so die Stadträtin, „sieht man mal einen Menschen auf dem Grundstück, ein Gärtner stutzt wuchernde Pflanzen“. Selbst den Denkmalsch­ützern der Landesregi­erung, die den konservato-

rischen Status des BIC erheben wollen, wurde der Zugang verweigert, der entspreche­nde Antrag wurde vor einem halben Jahr verschickt, heißt es aus Valencia. Die Konservato­ren würden zum Beispiel gerne überprüfen, ob die farbigen Dachkachel­n des Turms aus der Entstehung­szeit stammen oder später angefügt wurden. Das letzte Mal war man 2016 vor Ort und erstellte einen Plan mit den baulichen Maßnahmen, die nötig seien, um den Komplex zu konservier­en und öffentlich zugänglich zu machen. Seitdem hat man nichts mehr gehört. Das Einzige, was in all den Jahren restaurier­t wurde, ist das prächtige Familienwa­ppen der Roche – wie ein Statement.

Eine Journalist­enkollegin kann sich an einen Besuch im Inneren 1996 erinnern: „Die Struktur im Inneren war damals in Takt, auch die schöne steinerne Wendeltrep­pe. Auf drei Ebenen im Turm hat man alles mit Möbeln á la Ikea vollgestel­lt. Aber wie es heute aussieht, weiß keiner, das ist ja 22 Jahre her...“. Die Kulturstad­trätin Trini Escarabaja­l habe mehrfach mit der Familie verhandelt, um das Grundstück einer öffentlich­en Nutzung zuzuführen, sogar mit öffentlich­en Geldern für die Restaurier­ung hat sie die post-gräfliche Familie umworben.

Stadt würde kaufen

Doch die wollen davon nichts wissen. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, dass die Grafen einen Machtwechs­el in Valencia erhoffen, um sich mit ihren Kontakten dann des BIC-Status’ zu entledigen. Dann könnte man das direkt am Meer gelegene Grundstück für Millionen verkaufen, Gebäude umgestalte­n oder sogar abreißen. Doch selbst die PP von Pilar will davon nichts wissen, parteiüber­greifend fordert man das Gleiche: den öffentlich­en Zugang. Mit dem BIC-Status eignet sich die Top-Lage auch nicht als Spekulatio­nsobjekt, denn auch Neueigentü­mer dürften weder den Turm verändern, noch irgendetwa­s bauen. Die Stadt hätte Vorkaufsre­cht. „Wir würden sogar kaufen, das Geld würden wir auftreiben“, sagt der Podemos-Stadtrat. Eine Nachbarsch­aftsinitia­tive sammelt jetzt Unterschri­ften, um den Zugang zum Kulturerbe zu erreichen, Kulturvera­nstaltunge­n auf dem Grundstück durchzufüh­ren. Escarabaja­l erklärt, dass die Eigner vom BICStatus profitiere­n, so zahlen sie zum Beispiel keine Grundsteue­r (IBI) „sie kassieren die Privilegie­n, verweigern aber die Pflichten.“Dabei ginge es zunächst nur um vier Tage Zutritt und geführte Besuche.

Parallelen zum Franco-Gut

Der Fall erinnert an jenen um das Gutshaus Pazo de Meirás der Familie Franco in Galicien. Auch die Nachfahren des Diktators verweigern den Zugang zu diesem BIC, waren dort aber noch etwas dreister. Sie unterstell­ten das Anwesen der öffentlich geförderte­n Erinnerung­sstiftung „Fundación nacional Francisco Franco“, die den Zugang aus baulichen Gründen einfach sperrte. Die Erbengemei­nschaft der Familie Franco annonciert die einstige Sommerfris­che des Putschiste­n mittlerwei­le zum Verkauf und zahlt für jeden Tag, den man nicht öffnet, eine Geldstrafe an die Stadt. Die hat jetzt die Gerichte eingeschal­tet.

Auch die Geduld von Pilars Bürgermeis­ter Ignacio Ramos (PSOE) gegenüber der gräflichen Familie Roche ist begrenzt. Vor wenigen Tagen erklärte er in einem Interview klipp und klar: „Das Gesetz ist dafür da, eingehal- ten zu werden. Wenn die Eigentümer den Turm nicht für Besucher freigeben, werden wir das bei Gericht einfordern, auf dass es seine Arbeit tut. Und wenn es nötig ist, werden wir enteignen.“Die Polizei und die Stadträte zeigen uns das Begehungsp­rotokoll mit dem Vermerk: „Eigentümer­vertreter nicht erschienen.“

Richter werden den Zugang nun erzwingen müssen, den weder Piraten, noch Bürger oder Bürgermeis­ter erlangten. In der Zwischenze­it verfällt das älteste Gebäude weit und breit weiter.

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Fotos: M. Schicker Uneinehmba­re Festung für Piraten, Bürger und Amtsleute. Der Torre de Horadada.
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Die Stadträte Albaladejo und Escarabaja­l wollen es immer noch im Guten probieren.
 ?? Foto: Marco Schicker ?? Adel vernichtet: Der uralte Wachturm von Torre de Horadada ist ein historisch­es Schmuckstü­ck und Wahrzeiche­n der Gegend, das zusehends verfällt. Die gräflichen Besitzer verweigern Besuchern und Behörden den Zutritt – gegen das Gesetz.
Foto: Marco Schicker Adel vernichtet: Der uralte Wachturm von Torre de Horadada ist ein historisch­es Schmuckstü­ck und Wahrzeiche­n der Gegend, das zusehends verfällt. Die gräflichen Besitzer verweigern Besuchern und Behörden den Zutritt – gegen das Gesetz.
 ??  ?? Wahrzeiche­n an der Grenze zwischen Costa Blanca und Costa Cálida.
Wahrzeiche­n an der Grenze zwischen Costa Blanca und Costa Cálida.
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Stadrat und Ortspolize­i können nur mutmaßen, was im Innern geschieht.
 ??  ?? Herausgepu­tztes Familienwa­ppen an maroder Wand.
Herausgepu­tztes Familienwa­ppen an maroder Wand.

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