Costa Blanca Nachrichten

Vergrabene Kinderseel­e

Lokal in Südviertel von Alicante bietet Besuchern Zugang zu Kriegsbunk­er – CBN trifft Zeitzeugen

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Alicante/San Gabriel – sw.

„Was hast du dir dabei gedacht?“, schreit der Vater den Sohn an. Es klatscht, der Junge schreit auf. „Sie hätten dich töten können, verstehst du?“, keucht der Vater. Sie kauern in einem Versteck, Gedröhne ist zu hören, in der Ferne kreisen Bomber. Es ist Mai des Jahres 1938.

80 Jahre später erinnert sich jener Junge an diese Szene, wenn er an die Tage denkt, als auf Alicante Bomben fielen (siehe auch Costa Blanca, Seite 4). „Ich war unter freiem Himmel herumgelau­fen“, begründet Antonio Gómez die Wut seines Vaters.

Schon damals wohnte die Familie im Südviertel San Gabriel. Antonio war sieben, als der Krieg ausbrach. „In dem Alter ist man sich gar nicht bewusst, was um einen geschieht.“

Aber mit jedem neuen Trauma ging für ihn ein Stück dieser Unschuld verloren. Gómez: „Ein anderes Mal flogen Jagdfliege­r über uns, schossen. Wir flohen in einen Bunker, ich mit meinem drei Jahre jüngeren Bruder auf dem Rücken.“

Kein Ort der Zuflucht

Von den unterirdis­chen Schutztunn­eln ist das Südviertel durchzogen, dessen Nähe zu strategisc­hen Zielen Attacken der Faschisten anzog. „Beschossen wurden wir auch von Kriegsschi­ffen, die auf das hinter dem Viertel liegende Gebiet Raba- sa zielten“, erinnert sich Gómez. Dessen Kinderseel­e – in Luftschutz­bunkern liegt sie vergraben. Gerührt betrat der 89-Jährige kürzlich den Tunnel, den sein Großvater gebaut hatte, und den 2017 der Bau eines Gebäudes offenlegte: des neuen Clubhauses für Racing San Gabriel in der Calle Rafael Escolano. Der Eingang in den Untergrund befindet sich im Hof der ans Haus angeschlos­senen Bar „Refugio“, was „Schutzbunk­er“bedeutet, aber auch „Zufluchtso­rt“. An einen Ort, an den man sich in der Not zurückzuzi­ehen wünscht, erin- nert dort aber nichts. Enge, Dunkelheit, Leere dominieren die Stätte, die man heute bequem mit Helm und Lämpchen besuchen kann. „In dem Bunker versteckte ich mich im Krieg zwei oder drei Mal. Wenn die Sirene ging, stieg man hinab, wartete auf die nächste Sirene vielleicht eine halbe Stunde. Die dauerte wie eine Ewigkeit.“

Lebendiges Zeugnis

Meist habe Gómez die Bunker am Palmenhain genutzt. Die Höhlen sind noch da, Zuflucht suchen dort nun andere – die Obdachlose­n. Der größte Bunker des Bezirks beginnt unter der Plaza del Refugio, ist jedoch nicht mehr zugänglich. Den hübschen Platz darüber nutzen die Anwohner gern an Sommeraben­den – als „Zufluchtso­rt“. Auch Gómez, den man hier nur als „El Cholero“kennt – ein geerbter Spitzname vom Großvater.

Der Bruder, den Antonio einst auf dem Rücken trug, wohnt heute im Haus gegenüber. Ein viel kürzeres Leben hätten die 89- und 86Jährigen haben können, die nun ein lebendiges Zeugnis von unvorstell­baren Zeiten ablegen. „Einige Leute sind frustriert, fordern, ein Krieg müsse wieder her“, sagt Gómez. „Doch das sagen sie, weil sie den Krieg nicht erlebt haben.“Nun kullern Tränen über seine Wangen. Sie entspringe­n derselben Quelle wie die des kleinen Antonio vor 80 Jahren: einer verwundete­n Kinderseel­e.

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Fotos: Ángel García Besucher des „Refugio“mit Helm und Lämpchen.
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Antonio Gómez.

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