Kontinent aus Plastik
Konsumverhalten bringt die Natur an den Rand des Kollapses – Doch der Wille zum Wandel wird stärker
„Vergessen Sie das mit dem Recyceln“, sagt Carlota López von Pint of Science, einem Öko-Think-Tank in Madrid. Denn die bei der Wiederverwertung gewonnenen Kunststoffe seien minderwertig, ihre Aufbereitung ist energieintensiv, also „kaum nachhaltig“. Außerdem würden rund 90 Prozent des Plastiks, das weltweit hergestellt wird, gar nicht erst in den Recycling-Kreislauf gelangen.
Zwölf Millionen Tonnen Plastik enden dagegen laut Greenpeace jährlich in den Ozeanen, das entspricht fast der Hälfte der jährlichen europäischen Gesamtproduktion von 26 Millionen Tonnen. Experten schätzen die Größe des Plastikkontinents, der heute auf unseren Meeren treibt, auf das Eineinhalbfache Europas, eine Verdopplung innerhalb eines Jahrzehnts.
Die schlechten Nachrichten, garniert mit beeindruckenden Bildern von durch Plastik strangulierten Wasservögeln, Delphinmägen voller Kunststoffabfälle und riesigen Inseln aus Abfällen, geistern seit Jahren durch die Medien. Dabei soll nicht vergessen werden, dass die Erfindung der Kunststoffe enormen zivilisatorischen Fortschritt gebracht hat.
Kein Computer, kein Auto würde ohne Plastikteile funktionieren, Kunststoffe dienen der Lebensmittelhygiene und sind essentiell für lebensrettende Operationen. Doch mit dem Fortschritt wuchs auch der Konsum, und sehr bald sorgte unsere Bequemlichkeit dafür, dass uns der Plastikberg über den Kopf, eben in die Natur und die Ozeane hinein wuchs. Wir sind verwöhnt und bequem geworden. Und die Natur schlägt zurück. In jedem vierten Speisefisch finden sich Plastikrückstände, Kleinund Kleinstteile, die die Fische ge- fressen haben, gelangen in unsere Körper. Wir vergiften uns selbst.
Aber ändert sich was? Glücklicherweise ja. Wenn auch langsam. Immer mehr ökologisch eingestellte Bürger, vor allem in den Indus- triestaaten, protestieren nicht nur gegen die Plastikschwemme in Supermärkten oder Schnellrestaurants oder organisieren Sammelak- tionen, sie suchen aktiv Alternativen. Die Öko-Szene entdeckt etwa den Tante Emma-Laden wieder, wo die Ware noch lose in Papiertüten verpackt wird. Die größte Initiative in Spanien dazu heißt „Vivir sin plástico“, Leben ohne Plastik ( vivirsinplastico.com). Hier haben sich Umweltgruppen und Bürgerinitiativen mit Forschern, Schulen und Anwohnervereinen sowie dem Non-Profit-Recycler Ecoembes – dem Unternehmen, das sich um die Gelben Tonnen kümmert – zu einem Netzwerk zusammengefunden.
Doch auch auf professioneller Ebene gibt es Neues: Wissenschaftler aus Großbritannien und den USA haben in Japan ein Enzym entdeckt, das Kunststoff abbauen kann. Dabei handelt es sich um ein natürliches Enzym, das in einer Recycling-Anlage für Plastik mutiert sei. Die Forscher wollen das Enzym nun weiter manipulieren, um PET künftig in seine Bestandteile zerlegen zu können. Ob die Methode in industriellem Maßstab anwendbar ist, bleibt offen.
An der Universität von Kantabrien in Santander forschen Daniel Castro und sein Team an der Verwertung von Plastikabfällen für den Straßenbau. An der Autobahnabfahrt Alcalá de Henares bei Ma- drid konnten sie sogar schon eine Pilot-Strecke installieren. „Der mit Plastik kombinierte Asphalt bietet mehr Flexibilität und erhöht die Lebensdauer der Straßendecke, es braucht weniger Reparaturen“, erklärt Castro. Noch sei das neue Material aber teurer, auch fehlten weitere Proben. Außerdem, so kritisiert Greenpeace die Innovation, werde das Entsorgungsproblem so nur in die Zukunft delegiert.
Nur ein lieber Ansatz
Doch was ist mit dem Handel, dem großen Buhmann? Bei Carrefour können wir einzelne geschälte Mandarinenstückchen in Plastik umhüllt kaufen. Bananen, Äpfel, Avocados, von Natur aus „verpackt“, werden ebenfalls umwickelt. Seit 2016 sollen laut EU Plastiktüten für lose Ware und als Einkaufstüten allmählich ersetzt werden, in wenigen Ländern geschieht das aber konsequent.
Die österreichische Kette Spar testet seit April „Mehrwegsackerln“für Obst und Gemüse, die in der Waschmaschine gereinigt werden können und die aus „nachwachsenden und gentechnikfreien Rohstoffen“bestehen, die „biologisch abbaubar“sind. Der Viererpack kostet 1,49 Euro, bis zu sechsmaliges Wiederverwenden
Wir sind bequem geworden, und die Natur schlägt zurück