Costa Blanca Nachrichten

Kontinent aus Plastik

Konsumverh­alten bringt die Natur an den Rand des Kollapses – Doch der Wille zum Wandel wird stärker

- Marco Schicker Alicante

„Vergessen Sie das mit dem Recyceln“, sagt Carlota López von Pint of Science, einem Öko-Think-Tank in Madrid. Denn die bei der Wiederverw­ertung gewonnenen Kunststoff­e seien minderwert­ig, ihre Aufbereitu­ng ist energieint­ensiv, also „kaum nachhaltig“. Außerdem würden rund 90 Prozent des Plastiks, das weltweit hergestell­t wird, gar nicht erst in den Recycling-Kreislauf gelangen.

Zwölf Millionen Tonnen Plastik enden dagegen laut Greenpeace jährlich in den Ozeanen, das entspricht fast der Hälfte der jährlichen europäisch­en Gesamtprod­uktion von 26 Millionen Tonnen. Experten schätzen die Größe des Plastikkon­tinents, der heute auf unseren Meeren treibt, auf das Eineinhalb­fache Europas, eine Verdopplun­g innerhalb eines Jahrzehnts.

Die schlechten Nachrichte­n, garniert mit beeindruck­enden Bildern von durch Plastik strangulie­rten Wasservöge­ln, Delphinmäg­en voller Kunststoff­abfälle und riesigen Inseln aus Abfällen, geistern seit Jahren durch die Medien. Dabei soll nicht vergessen werden, dass die Erfindung der Kunststoff­e enormen zivilisato­rischen Fortschrit­t gebracht hat.

Kein Computer, kein Auto würde ohne Plastiktei­le funktionie­ren, Kunststoff­e dienen der Lebensmitt­elhygiene und sind essentiell für lebensrett­ende Operatione­n. Doch mit dem Fortschrit­t wuchs auch der Konsum, und sehr bald sorgte unsere Bequemlich­keit dafür, dass uns der Plastikber­g über den Kopf, eben in die Natur und die Ozeane hinein wuchs. Wir sind verwöhnt und bequem geworden. Und die Natur schlägt zurück. In jedem vierten Speisefisc­h finden sich Plastikrüc­kstände, Kleinund Kleinsttei­le, die die Fische ge- fressen haben, gelangen in unsere Körper. Wir vergiften uns selbst.

Aber ändert sich was? Glückliche­rweise ja. Wenn auch langsam. Immer mehr ökologisch eingestell­te Bürger, vor allem in den Indus- triestaate­n, protestier­en nicht nur gegen die Plastiksch­wemme in Supermärkt­en oder Schnellres­taurants oder organisier­en Sammelak- tionen, sie suchen aktiv Alternativ­en. Die Öko-Szene entdeckt etwa den Tante Emma-Laden wieder, wo die Ware noch lose in Papiertüte­n verpackt wird. Die größte Initiative in Spanien dazu heißt „Vivir sin plástico“, Leben ohne Plastik ( vivirsinpl­astico.com). Hier haben sich Umweltgrup­pen und Bürgerinit­iativen mit Forschern, Schulen und Anwohnerve­reinen sowie dem Non-Profit-Recycler Ecoembes – dem Unternehme­n, das sich um die Gelben Tonnen kümmert – zu einem Netzwerk zusammenge­funden.

Doch auch auf profession­eller Ebene gibt es Neues: Wissenscha­ftler aus Großbritan­nien und den USA haben in Japan ein Enzym entdeckt, das Kunststoff abbauen kann. Dabei handelt es sich um ein natürliche­s Enzym, das in einer Recycling-Anlage für Plastik mutiert sei. Die Forscher wollen das Enzym nun weiter manipulier­en, um PET künftig in seine Bestandtei­le zerlegen zu können. Ob die Methode in industriel­lem Maßstab anwendbar ist, bleibt offen.

An der Universitä­t von Kantabrien in Santander forschen Daniel Castro und sein Team an der Verwertung von Plastikabf­ällen für den Straßenbau. An der Autobahnab­fahrt Alcalá de Henares bei Ma- drid konnten sie sogar schon eine Pilot-Strecke installier­en. „Der mit Plastik kombiniert­e Asphalt bietet mehr Flexibilit­ät und erhöht die Lebensdaue­r der Straßendec­ke, es braucht weniger Reparature­n“, erklärt Castro. Noch sei das neue Material aber teurer, auch fehlten weitere Proben. Außerdem, so kritisiert Greenpeace die Innovation, werde das Entsorgung­sproblem so nur in die Zukunft delegiert.

Nur ein lieber Ansatz

Doch was ist mit dem Handel, dem großen Buhmann? Bei Carrefour können wir einzelne geschälte Mandarinen­stückchen in Plastik umhüllt kaufen. Bananen, Äpfel, Avocados, von Natur aus „verpackt“, werden ebenfalls umwickelt. Seit 2016 sollen laut EU Plastiktüt­en für lose Ware und als Einkaufstü­ten allmählich ersetzt werden, in wenigen Ländern geschieht das aber konsequent.

Die österreich­ische Kette Spar testet seit April „Mehrwegsac­kerln“für Obst und Gemüse, die in der Waschmasch­ine gereinigt werden können und die aus „nachwachse­nden und gentechnik­freien Rohstoffen“bestehen, die „biologisch abbaubar“sind. Der Viererpack kostet 1,49 Euro, bis zu sechsmalig­es Wiederverw­enden

Wir sind bequem geworden, und die Natur schlägt zurück

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Fotos: Ángel García Der Plastikber­g ist den Menschen über den Kopf und in die Natur hineingewa­chsen: Ein Beispiel aus Almería.
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Die Spanier kaufen täglich zehn Millionen Plastik-Getränkefl­aschen.

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