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90 Jahre „Hogueras de Alicante“: Von Gastón Castelló alias dem Mann, der seiner Stadt einen einzigartigen Stil verlieh
Touristen haben in Alicante dieser Tage besonders viel zum Gucken: Die Stadt feiert mit den Hogueras de San Juan ihr größtes Fest. Die riesigen Pappmaché-Figuren, die überall auf den Straßen aufgebaut sind, gehen am Sonntag in Flammen auf.
Wenn in Alicante in der Nacht des 24. zum 25. Juni um 0 Uhr die Palme aus Feuer über der Burg die Verbrennung der Hogueras einleitet, wird einer still zusehen: Der Mann auf der Bank auf dem Platz 25 de Mayo. Lässig wird er hochschauen, während ihn Qualm umweht und die dicksten Böller vor seinen Füßen hochgehen. Dabei ist das diesjährige Fest ein besonderes für ihn und für seine Stadt. Vor 90 Jahren, bei der ersten legalen Feier des Feuerfests für Sankt Johannes, holte Gastón Castelló ihn stellt die sitzende Bronzefigur dar für seine Skulptur den ersten Platz.
Dass der Maler und Bildhauer die schillernde Figur der Festkunst von Alicante war, vermutet man nicht, wenn man in das bronzene Gesicht des Mannes auf der Bank schaut. Sein Blick könnte Heiterkeit wie Traurigkeit verbergen, in die Leere oder auf ein Ziel gerichtet sein. Vielleicht ist das das Geheimnis der Anziehungskraft des sitzenden Mannes am Mercado Central“, wie ihn selbst unkundige Alicantiner kennen und schätzen.
Ob es ältere Herrschaften sind wie er, Teenies mit Handy, Kinder, die auf seinen Schoß klettern oder Vierbeiner, die sich an ihn schmiegen. Auf alle wirkt der metallene Castelló einladend, irgendwie vertraut. Er war ja echter Alicantiner, geboren am 3. November 1903 in einer Konservenfabrik in Benalúa. Dort war sein Vater Chefmechaniker und als el francés“bekannt, weil er aus dem kolonisierten Algerien stammte.
Daher auch Gastóns französischer Name. Dort, in der Fabrik, sah ich, wie auch meine drei Geschwister, die ersten Lichter“, berichtete der Künstler in einem Interview. Dass die Optik der ciudad de la luz“, Stadt des Lichts, wie man Alicante nennt, eine besondere ist, erkannte er früh.
Fasziniert zeichnete er bereits als Kind die Welt um ihn. Dinge des Alltags: Arbeiter der Fabrik, Tomaten schälende Frauen. Diese Bilder beeindruckten Künstler Fernando Cabrera aus Alcoy, in das er den 17-Jährigen als Lehrling holte. Bald stellte Castelló mit Impressionist Emilio Varela aus, und 1924 brachte ihm das Plakat für ein großes Sportfest genug Geld, um nach Madrid weiterzuziehen.
Dort zeichnete er für Werbeagenturen und lernte abends in Gratiskursen der Gesellschaft der Schönen Künste. 1926 hieß die nächste Station Paris, wo er dank des Vaters die Sprache sprach und Kopien von Kunstwerken anfertigte. Die Stücke, die das Museum nicht los wurde, verkaufte ich in Montmartre“, so Castelló. Der Impressionismus, in seiner Tiefe“kennengelernt, prägte Castelló für immer. Nun schien er mit dem Rüstzeug ausgestattet, um einen eigenen Weg zu gehen. Der begann 1928, als José María Py in Alicante das Fest Hogueras gründete.
Eine Gunst des Schicksals“für Castelló. Der Bau der Figuren war ein Feld zum Probieren: Ich praktizierte Bildhauerei, Fresko, Malerei mit Tempera oder Kasein“. Die Silberlinge, um zu reisen und noch ernster zu studieren“gaben ihm die gewonnenen Preise. Zehnmal schaffte er Platz eins, mit 33 Hoguerasfiguren insgesamt.
Figuren vom Sockel geholt
Das 1928er Werk, die getreue Darstellung einer Straßenbahn, baute Castelló mit Juan Such und José Marced noch deutlich im Stil der Fallas von Valencia. Den Boden des Realismus verließ Castelló ein Jahr später und erstellte mit Paco Hernández eine futuristische Vision des Burgberges Benacantil.
Als Castelló 1930 allein bauen durfte, war der Weg für seine Revolution frei. In Die fünf Sinne von Alicante“ersetzte Castelló das Wachs und Kleider der Figuren durch Pappe und holte sie von den Bühnen, auf denen sie wie auf Sockeln standen. Nun waren Größe und Gewicht unbegrenzt, und damit die Kreativität des Künstlers.
Castelló schuf jetzt lange, geometrische Formen und versah seine Bauten mit Stilen, die er aus Paris kannte. Europäisches Art déco mixte er mit amerikanischem, kombinierte antike Ornamente und graziöse Gestalten mit Titanen und aerodynamischen Kurven. Verschwunden waren Realismus und Barock aus Valencia. Castelló hatte Alicante einen neuen Stil geschenkt: den estilo alicantino“.
Dazu gehörte auch der Verzicht auf ein starres Element in der Mitte der Skulptur. Castelló schuf Situationen, mit Gestalten geradezu in Bewegung. Cineastische“Effekte bescheinigten ihm Betrachter. Castelló tobte sich in seinen immer atemberaubendere Höhen errei-
chenden Werken aus, wie der Schöpfer einer Kunstwelt.
Einer Welt mit Menschen, Tieren, deren Proportionen allerdings nicht nach Realität aussahen das sah man an ihren Gesten und Handlungen. Überproportionierte Gliedmaßen, lange Hälse, schief stehende Augen. Ich will nicht, dass die Figuren echt aussehen“, sagte Castelló. Ich finde realistische Figuren schrecklich.“
Welt der Unzulänglichkeiten
Grau, Braun, Ocker die Farben von Ton und Erde trugen die Hogueras, in denen Castelló mit Licht und Schatten spielte, was besonders nachts Effekte erzielte. Dafür probierte er allerlei Stoffe aus: Erde und Kalk funktionieren wunderbar“, sagte Castelló, der statt Pinsel auch Lappen oder Spachtel zur Hand nahm. Unzulänglichkeiten nahm er bewusst in Kauf. Die würde schon das Feuer auslöschen, in dem die Werke landen würden.
In Castellós Abkehr vom FallasStil erkannte mancher Betrachter politische Motive. Der Künstler selbst sah die Themen seiner Werke als kritischer Konstruktivismus, vom einfachen Volkshumor bis zur ernsten alicantinischen Zweckmäßigkeit“. Berührte seine erste Hoguera Probleme des Viertels, drang Castelló fortan tiefer in die Volksseele ein, geißelte Alicante für den ihm nachgesagten
Menfotismo“: einer Indifferenz, Apathie und Inkonstanz mit tragischen Konsequenzen für das Zusammenleben.
Über die Grenzen Alicantes hinaus ging Castellós Gewissensstudie 1933 in seiner vielleicht symbolträchtigsten Hoguera El món dels imperfeccions“, Die Welt der Unzulänglichkeiten. Es ging um die Vorherrschaft des Starken über den Schwachen, die der Künstler bildlich schon beim Insekt ansetzte und beim Menschen abschloss.
Den Blick auf Benachteiligte und Vertriebene hatte Castelló von der Familie erhalten: Die Großeltern, Bauern aus Cocentaina, zog es wegen Armut nach Algerien. So waren Migration und ihre Folgen eine der Konstanten in den Hogueras Castellós, etwa im Werk El camp i la ciutat“, das Land und die Stadt, das 1933 die Ausbeutung und die Lebenssituation der Landarbeiter anschaulich anklagte.
Die Würdigung des traditionellen Handwerks war eine weitere seiner Prioritäten, weshalb Castelló auch mal regionale Tongefäße als Schmuckelemente wählte. Alicantinische Volksmusik und Tänze waren weitere Merkmale des estilo alicantino“von Castelló.
Flucht in den Zirkus
Von den universellen Themen schwenkte er regelmäßig zu Alltagssorgen, kritisierte etwa die Anbindung von Alcoy nach Alicante oder den Verfall seiner geliebten Viertel Santa Cruz und San Roque.
Castelló war der erste plastische Künstler, der auf die Straße ging, mit dem Volk sprach, und so in der Lage war, den Anliegen der Menschen Größe und Würde zu verleihen“, schrieb Autor José Vicente Mateo.
Die Harmonie, die der Künstler trotz Unzulänglichkeiten in der Welt um ihn sah, zerbrach 1936 mit dem Spanischen Bürgerkrieg. Castelló musste eine geplante Fahrt nach Paris absagen und blieb in Alicante, wo er als Mitglied der Maler- gewerkschaft Balkone und Türen restaurierte. Da verpflichtete ihn die rote Propaganda Alicante war republikanische Hochburg zum Anfertigen riesiger Porträts von Lenin, Negrín oder Azaña. Doch der Krieg war nicht Castellós Welt. Das Leben war fast unmöglich, wegen des Hungers und der feindlichen Attacken“, erzählte er. Nach dem Bombardement im Mai 1938 zog der Maler mangels Familie nicht gebunden nach Albacete, wo er sich einem Zirkus anschloss.
Nun schmückte er Gesichter, frischte Schmuckelemente auf und stand sogar mit Clown Popy auf der Bühne. Nach Kriegsende steckte das Franco-Regime Castelló ins Gefängnis. Für subversive Kunst“gab es sechs Jahre Haft.
Doch auch den dunklen Klecks verwandelte Castelló in Form. Ich war weit davon entfernt, die Haft als Strafe zu empfinden“, sagte er. Ich war ja plötzlich umgeben von hunderten lebenden Modellen, die sich gern malen ließen, ob in Pose, beim Schlafen, Tätowieren oder Spielen auf dem Hof.“Aus Platzgründen wechselte Castelló die Maltechnik von Öl zu Aquarell.
Im harten Winter 1939 bildete er damit surreal wirkende Szenen ab, mit Häftlingen, die in Lumpen gehüllt, übereinander gestapelt lagen. Nach nur 18 Monaten ließ das Franco-Regime Castelló frei, da er Kirchen restauriert hatte.
Sofort brach er wieder auf zur Suche nach Inspiration. In Algerien fand er sie in Künsten von Nomaden, in der Schweiz, in die ihn Maler Joseph Lachat eingeladen hatte, in Mosaiken. In Mexiko konnte ich Wandgemälde der großen Künstler Rivera, Orozco, Sigueiros bewundern“, erzählte der Alicantiner über seine Weltreisen.
Überall versuchte ich, indigene Menschen und exotische Landschaften abzubilden. So verinnerlichte ich asiatische, afrikanische, skandinavische, süd- und mittel- amerikanische Figuren.“Die Stile fügte er in die Bilder ein, die er malte, wenn er nach Spanien heimkehrte. Nach einigen Erfolgen bei den Hogueras in den 40ern trat er 1950 als Festkünstler zurück.
Hier sorgten nun andere für Avantgarde. Ramón Marco etwa, bis heute mit 22 Siegen Rekordhalter der Hogueraskunst. Castelló
hingegen erschuf nun bevorzugt auf großen Wänden Ikonen von seiner Heimat. Mit Mustern und Farben, die er rund um den Globus gesehen und gelernt hatte, bildete er die Schönheit der regionalen Merkmale seiner Terreta“ab.
Wie eine stets wartende Liebe
Fischer, Bauern, Handwerker, Tiere, Palmen und Meer. Mit beinahe kindlichem Charme, so farbenfroh und kristallklar, wurden die Werke dieser Zeit zur plastischen Chronik der Provinz. Auf dem Mosaik im Palast der Diputación ein Vermächtnis des Künstlers aus dem Jahr 1978 wirkt seine Heimat, mit perfekter Harmonie von Frau und Mann, Arbeit und Tanz, Maure und Christ, Alt und Neu, wie ein von Unzulänglichkeiten befreiter Ort. Farbig strahlend zeigen auch die Wandbilder der alten Busstation pflückende Bauern, werkelnde Frauen, eine stillende Mutter und ein aufspringendes Pferd.
Das Leben mit einem liebenden Menschen an der Seite war Castelló zwar nicht vergönnt, doch blieb Alicante die stets auf seine Heimkehr wartende Liebe. Als er am 16. Mai 1986 starb, weinte die ganze Stadt. Bürgermeister José Luis Lasaletta schrieb: Wir haben einen ehrenvollen und einfachen Menschen verloren, einen Künstler von großer Statur, einen redlichen Alicantiner mit volkstümlichen Wurzeln und unglaublicher Sanftheit.“
Schaut man genau hin, ist all dies auch im Mann aus Bronze am Markt enthalten. Sein letztes Bild malte Castelló in der Klinik Vistahermosa, in der er wegen eines Lungenödems behandelt wurde, einen Tag vor seinem Tod. Die Skizze einer Frau mit Tränen auf den Wangen, aus Traurigkeit oder aus Freude. Der Künstler schrieb einen Titel unter das Portait: La Esperanza“, die Hoffnung.