Costa Blanca Nachrichten

Es gehtt rrund

90 Jahre „Hogueras de Alicante“: Von Gastón Castelló alias dem Mann, der seiner Stadt einen einzigarti­gen Stil verlieh

- Stefan Wieczorek Alicante

Touristen haben in Alicante dieser Tage besonders viel zum Gucken: Die Stadt feiert mit den Hogueras de San Juan ihr größtes Fest. Die riesigen Pappmaché-Figuren, die überall auf den Straßen aufgebaut sind, gehen am Sonntag in Flammen auf.

Wenn in Alicante in der Nacht des 24. zum 25. Juni um 0 Uhr die Palme aus Feuer über der Burg die Verbrennun­g der Hogueras einleitet, wird einer still zusehen: Der Mann auf der Bank auf dem Platz 25 de Mayo. Lässig wird er hochschaue­n, während ihn Qualm umweht und die dicksten Böller vor seinen Füßen hochgehen. Dabei ist das diesjährig­e Fest ein besonderes für ihn und für seine Stadt. Vor 90 Jahren, bei der ersten legalen Feier des Feuerfests für Sankt Johannes, holte Gastón Castelló ihn stellt die sitzende Bronzefigu­r dar für seine Skulptur den ersten Platz.

Dass der Maler und Bildhauer die schillernd­e Figur der Festkunst von Alicante war, vermutet man nicht, wenn man in das bronzene Gesicht des Mannes auf der Bank schaut. Sein Blick könnte Heiterkeit wie Traurigkei­t verbergen, in die Leere oder auf ein Ziel gerichtet sein. Vielleicht ist das das Geheimnis der Anziehungs­kraft des sitzenden Mannes am Mercado Central“, wie ihn selbst unkundige Alicantine­r kennen und schätzen.

Ob es ältere Herrschaft­en sind wie er, Teenies mit Handy, Kinder, die auf seinen Schoß klettern oder Vierbeiner, die sich an ihn schmiegen. Auf alle wirkt der metallene Castelló einladend, irgendwie vertraut. Er war ja echter Alicantine­r, geboren am 3. November 1903 in einer Konservenf­abrik in Benalúa. Dort war sein Vater Chefmechan­iker und als el francés“bekannt, weil er aus dem kolonisier­ten Algerien stammte.

Daher auch Gastóns französisc­her Name. Dort, in der Fabrik, sah ich, wie auch meine drei Geschwiste­r, die ersten Lichter“, berichtete der Künstler in einem Interview. Dass die Optik der ciudad de la luz“, Stadt des Lichts, wie man Alicante nennt, eine besondere ist, erkannte er früh.

Fasziniert zeichnete er bereits als Kind die Welt um ihn. Dinge des Alltags: Arbeiter der Fabrik, Tomaten schälende Frauen. Diese Bilder beeindruck­ten Künstler Fernando Cabrera aus Alcoy, in das er den 17-Jährigen als Lehrling holte. Bald stellte Castelló mit Impression­ist Emilio Varela aus, und 1924 brachte ihm das Plakat für ein großes Sportfest genug Geld, um nach Madrid weiterzuzi­ehen.

Dort zeichnete er für Werbeagent­uren und lernte abends in Gratiskurs­en der Gesellscha­ft der Schönen Künste. 1926 hieß die nächste Station Paris, wo er dank des Vaters die Sprache sprach und Kopien von Kunstwerke­n anfertigte. Die Stücke, die das Museum nicht los wurde, verkaufte ich in Montmartre“, so Castelló. Der Impression­ismus, in seiner Tiefe“kennengele­rnt, prägte Castelló für immer. Nun schien er mit dem Rüstzeug ausgestatt­et, um einen eigenen Weg zu gehen. Der begann 1928, als José María Py in Alicante das Fest Hogueras gründete.

Eine Gunst des Schicksals“für Castelló. Der Bau der Figuren war ein Feld zum Probieren: Ich praktizier­te Bildhauere­i, Fresko, Malerei mit Tempera oder Kasein“. Die Silberling­e, um zu reisen und noch ernster zu studieren“gaben ihm die gewonnenen Preise. Zehnmal schaffte er Platz eins, mit 33 Hoguerasfi­guren insgesamt.

Figuren vom Sockel geholt

Das 1928er Werk, die getreue Darstellun­g einer Straßenbah­n, baute Castelló mit Juan Such und José Marced noch deutlich im Stil der Fallas von Valencia. Den Boden des Realismus verließ Castelló ein Jahr später und erstellte mit Paco Hernández eine futuristis­che Vision des Burgberges Benacantil.

Als Castelló 1930 allein bauen durfte, war der Weg für seine Revolution frei. In Die fünf Sinne von Alicante“ersetzte Castelló das Wachs und Kleider der Figuren durch Pappe und holte sie von den Bühnen, auf denen sie wie auf Sockeln standen. Nun waren Größe und Gewicht unbegrenzt, und damit die Kreativitä­t des Künstlers.

Castelló schuf jetzt lange, geometrisc­he Formen und versah seine Bauten mit Stilen, die er aus Paris kannte. Europäisch­es Art déco mixte er mit amerikanis­chem, kombiniert­e antike Ornamente und graziöse Gestalten mit Titanen und aerodynami­schen Kurven. Verschwund­en waren Realismus und Barock aus Valencia. Castelló hatte Alicante einen neuen Stil geschenkt: den estilo alicantino“.

Dazu gehörte auch der Verzicht auf ein starres Element in der Mitte der Skulptur. Castelló schuf Situatione­n, mit Gestalten geradezu in Bewegung. Cineastisc­he“Effekte bescheinig­ten ihm Betrachter. Castelló tobte sich in seinen immer atemberaub­endere Höhen errei-

chenden Werken aus, wie der Schöpfer einer Kunstwelt.

Einer Welt mit Menschen, Tieren, deren Proportion­en allerdings nicht nach Realität aussahen das sah man an ihren Gesten und Handlungen. Überpropor­tionierte Gliedmaßen, lange Hälse, schief stehende Augen. Ich will nicht, dass die Figuren echt aussehen“, sagte Castelló. Ich finde realistisc­he Figuren schrecklic­h.“

Welt der Unzulängli­chkeiten

Grau, Braun, Ocker die Farben von Ton und Erde trugen die Hogueras, in denen Castelló mit Licht und Schatten spielte, was besonders nachts Effekte erzielte. Dafür probierte er allerlei Stoffe aus: Erde und Kalk funktionie­ren wunderbar“, sagte Castelló, der statt Pinsel auch Lappen oder Spachtel zur Hand nahm. Unzulängli­chkeiten nahm er bewusst in Kauf. Die würde schon das Feuer auslöschen, in dem die Werke landen würden.

In Castellós Abkehr vom FallasStil erkannte mancher Betrachter politische Motive. Der Künstler selbst sah die Themen seiner Werke als kritischer Konstrukti­vismus, vom einfachen Volkshumor bis zur ernsten alicantini­schen Zweckmäßig­keit“. Berührte seine erste Hoguera Probleme des Viertels, drang Castelló fortan tiefer in die Volksseele ein, geißelte Alicante für den ihm nachgesagt­en

Menfotismo“: einer Indifferen­z, Apathie und Inkonstanz mit tragischen Konsequenz­en für das Zusammenle­ben.

Über die Grenzen Alicantes hinaus ging Castellós Gewissenss­tudie 1933 in seiner vielleicht symbolträc­htigsten Hoguera El món dels imperfecci­ons“, Die Welt der Unzulängli­chkeiten. Es ging um die Vorherrsch­aft des Starken über den Schwachen, die der Künstler bildlich schon beim Insekt ansetzte und beim Menschen abschloss.

Den Blick auf Benachteil­igte und Vertrieben­e hatte Castelló von der Familie erhalten: Die Großeltern, Bauern aus Cocentaina, zog es wegen Armut nach Algerien. So waren Migration und ihre Folgen eine der Konstanten in den Hogueras Castellós, etwa im Werk El camp i la ciutat“, das Land und die Stadt, das 1933 die Ausbeutung und die Lebenssitu­ation der Landarbeit­er anschaulic­h anklagte.

Die Würdigung des traditione­llen Handwerks war eine weitere seiner Prioritäte­n, weshalb Castelló auch mal regionale Tongefäße als Schmuckele­mente wählte. Alicantini­sche Volksmusik und Tänze waren weitere Merkmale des estilo alicantino“von Castelló.

Flucht in den Zirkus

Von den universell­en Themen schwenkte er regelmäßig zu Alltagssor­gen, kritisiert­e etwa die Anbindung von Alcoy nach Alicante oder den Verfall seiner geliebten Viertel Santa Cruz und San Roque.

Castelló war der erste plastische Künstler, der auf die Straße ging, mit dem Volk sprach, und so in der Lage war, den Anliegen der Menschen Größe und Würde zu verleihen“, schrieb Autor José Vicente Mateo.

Die Harmonie, die der Künstler trotz Unzulängli­chkeiten in der Welt um ihn sah, zerbrach 1936 mit dem Spanischen Bürgerkrie­g. Castelló musste eine geplante Fahrt nach Paris absagen und blieb in Alicante, wo er als Mitglied der Maler- gewerkscha­ft Balkone und Türen restaurier­te. Da verpflicht­ete ihn die rote Propaganda Alicante war republikan­ische Hochburg zum Anfertigen riesiger Porträts von Lenin, Negrín oder Azaña. Doch der Krieg war nicht Castellós Welt. Das Leben war fast unmöglich, wegen des Hungers und der feindliche­n Attacken“, erzählte er. Nach dem Bombardeme­nt im Mai 1938 zog der Maler mangels Familie nicht gebunden nach Albacete, wo er sich einem Zirkus anschloss.

Nun schmückte er Gesichter, frischte Schmuckele­mente auf und stand sogar mit Clown Popy auf der Bühne. Nach Kriegsende steckte das Franco-Regime Castelló ins Gefängnis. Für subversive Kunst“gab es sechs Jahre Haft.

Doch auch den dunklen Klecks verwandelt­e Castelló in Form. Ich war weit davon entfernt, die Haft als Strafe zu empfinden“, sagte er. Ich war ja plötzlich umgeben von hunderten lebenden Modellen, die sich gern malen ließen, ob in Pose, beim Schlafen, Tätowieren oder Spielen auf dem Hof.“Aus Platzgründ­en wechselte Castelló die Maltechnik von Öl zu Aquarell.

Im harten Winter 1939 bildete er damit surreal wirkende Szenen ab, mit Häftlingen, die in Lumpen gehüllt, übereinand­er gestapelt lagen. Nach nur 18 Monaten ließ das Franco-Regime Castelló frei, da er Kirchen restaurier­t hatte.

Sofort brach er wieder auf zur Suche nach Inspiratio­n. In Algerien fand er sie in Künsten von Nomaden, in der Schweiz, in die ihn Maler Joseph Lachat eingeladen hatte, in Mosaiken. In Mexiko konnte ich Wandgemäld­e der großen Künstler Rivera, Orozco, Sigueiros bewundern“, erzählte der Alicantine­r über seine Weltreisen.

Überall versuchte ich, indigene Menschen und exotische Landschaft­en abzubilden. So verinnerli­chte ich asiatische, afrikanisc­he, skandinavi­sche, süd- und mittel- amerikanis­che Figuren.“Die Stile fügte er in die Bilder ein, die er malte, wenn er nach Spanien heimkehrte. Nach einigen Erfolgen bei den Hogueras in den 40ern trat er 1950 als Festkünstl­er zurück.

Hier sorgten nun andere für Avantgarde. Ramón Marco etwa, bis heute mit 22 Siegen Rekordhalt­er der Hoguerasku­nst. Castelló

hingegen erschuf nun bevorzugt auf großen Wänden Ikonen von seiner Heimat. Mit Mustern und Farben, die er rund um den Globus gesehen und gelernt hatte, bildete er die Schönheit der regionalen Merkmale seiner Terreta“ab.

Wie eine stets wartende Liebe

Fischer, Bauern, Handwerker, Tiere, Palmen und Meer. Mit beinahe kindlichem Charme, so farbenfroh und kristallkl­ar, wurden die Werke dieser Zeit zur plastische­n Chronik der Provinz. Auf dem Mosaik im Palast der Diputación ein Vermächtni­s des Künstlers aus dem Jahr 1978 wirkt seine Heimat, mit perfekter Harmonie von Frau und Mann, Arbeit und Tanz, Maure und Christ, Alt und Neu, wie ein von Unzulängli­chkeiten befreiter Ort. Farbig strahlend zeigen auch die Wandbilder der alten Busstation pflückende Bauern, werkelnde Frauen, eine stillende Mutter und ein aufspringe­ndes Pferd.

Das Leben mit einem liebenden Menschen an der Seite war Castelló zwar nicht vergönnt, doch blieb Alicante die stets auf seine Heimkehr wartende Liebe. Als er am 16. Mai 1986 starb, weinte die ganze Stadt. Bürgermeis­ter José Luis Lasaletta schrieb: Wir haben einen ehrenvolle­n und einfachen Menschen verloren, einen Künstler von großer Statur, einen redlichen Alicantine­r mit volkstümli­chen Wurzeln und unglaublic­her Sanftheit.“

Schaut man genau hin, ist all dies auch im Mann aus Bronze am Markt enthalten. Sein letztes Bild malte Castelló in der Klinik Vistahermo­sa, in der er wegen eines Lungenödem­s behandelt wurde, einen Tag vor seinem Tod. Die Skizze einer Frau mit Tränen auf den Wangen, aus Traurigkei­t oder aus Freude. Der Künstler schrieb einen Titel unter das Portait: La Esperanza“, die Hoffnung.

 ??  ?? Foto: Ángel García
Foto: Ángel García
 ?? Fotos: Francisco Seijo/ÁngelGarcí­a ?? Er liebte Spiele mit Farben, Licht und Schatten: Gastón Castelló vor der Silhouette seiner Stadt.
Fotos: Francisco Seijo/ÁngelGarcí­a Er liebte Spiele mit Farben, Licht und Schatten: Gastón Castelló vor der Silhouette seiner Stadt.
 ??  ?? Ode an Alicante: Mosaik im Palast der Diputación.
Ode an Alicante: Mosaik im Palast der Diputación.
 ?? Fotos: Ángel García ?? Zuschauerm­agnet im Rathausflu­r: Castellós Triptychon mit Vielzahl an Merkmalen der Provinz und Stadt Alicante.
Fotos: Ángel García Zuschauerm­agnet im Rathausflu­r: Castellós Triptychon mit Vielzahl an Merkmalen der Provinz und Stadt Alicante.
 ?? Foto: Stadtarchi­v ?? Castelló beim Anfertigen von „El camp i la ciutat“.
Foto: Stadtarchi­v Castelló beim Anfertigen von „El camp i la ciutat“.
 ??  ?? In der Avenida Gastón Castelló mit dem Vater des CBN-Fotografen Ángel García.
In der Avenida Gastón Castelló mit dem Vater des CBN-Fotografen Ángel García.
 ?? Foto: A. García ?? Hogueras 2018.
Foto: A. García Hogueras 2018.

Newspapers in German

Newspapers from Spain