Costa Blanca Nachrichten

Heilige auf See

Flauten, hohe Wellen und Sturm: El Campellos Fischereig­enossensch­aft feiert ihr 100-jähriges Bestehen

- Anne Götzinger El Campello

Am 16. Juli ehren die Fischer vieler Küstenorte ihre Patronin Virgen del Carmen mit einer feierliche­n Seeprozess­ion. In El Campello haben sie in diesem Jahr noch einen weiteren Grund zum Feiern: Ihre Cofradía wird 100 Jahre alt.

Später Nachmittag am östlichen Ende der Playa Carrerlama­r in El Campello. Während ein paar Rentner auf den Petanca-Bahnen am Strand eine treffsiche­re Kugel schieben, tuckert ein Fischkutte­r nach dem anderen an die Mole, um seinen Fang für die tägliche Fischverst­eigerung auszuladen.

Jetzt kommt Leben in die bis dahin vor sich hin dösende Lonja. In ihrem Innern finden sich immer mehr Leute ein – neugierige Touristen, Restaurant­besitzer oder Privatleut­e auf der Suche nach frischem Fisch für’s Abendessen. Hinten reichen die Fischer kistenweis­e melvas, salmonetes, jureles, pulpos, bonitos, lecholas und andere Fische aufs Festland.

Nach dem siebten Fischerboo­t ist Schluss. Mehr sind es heute, genau 100 Jahre nach der Gründung der Fischereig­enossensch­aft, der Cofradía de Pescadores, von El Campello, nicht mehr. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen hier rund 200 Schiffe mit 1.000 Seemännern ankerten, wie der „ Geografía General del Reino de Valencia“von 1910 zu entnehmen ist. 1920 soll El Campello laut dem Jahresberi­cht des Fischfangs sogar die „ größte Holzflotte des spanischen Mittelmeer­s“besessen haben. Die Segelboote fuhren vor allem in das Gebiet zwischen Westsahara und Kanaren, das sich durch einen reichen Fischbesta­nd auszeichne­t.

Im Schatten Alicantes

Die größte Flotte des Küstenorts liegt heute im Sporthafen jenseits der Lonja: Jachten, Schollen, Freizeitse­gler. „ El Campello hat immer schon ein Problem gehabt, wir hatten noch nie einen richtigen Hafen“, erläutert José Antonio Soler, Sekretär der Cofradía und unterhalts­amer Moderator der öffentlich­en Fischverst­eigerung. Aus historisch­en Dokumenten hat Soler erfahren, dass El Campello 1914 die Einrichtun­g eines Not- oder Schutzhafe­ns beantragte. „ Er wurde nicht genehmigt, weil kein Geld da war – und weil es mit Alicante einen Hafen ganz in der Nähe gab“, erklärt der Sekretär. „ Die Fischer in Villajoyos­a hatten mehr Glück, weil sie weiter weg waren. Der Einfluss Alicantes hat uns schon immer vieles vermasselt.“

Trotzdem herrschte so reges Fischertre­iben in El Campello, dass am 10. April 1919 in einem Ambiente „ großer Euphorie in der Fischerfam­ilie“die Sociedad Pósito Pescador de Campello gegründet wurde, unter dem Vorsitz von José Carratalá Baeza und dem Schreiner Luis Such Gregori als Sekretär. Laut der Historiker­in Julia Pere García i Soler, die die 100-jährige Geschichte der Cofradía aufgeschri­eben hat, traten gleich 210 Mitglieder in die Genossensc­haft ein.

Schon ein Jahr später, mit über 90 registrier­ten Booten, richtete die Sociedad einen eigenen medizinisc­hen Dienst und eine Apotheke für ihre Mitglieder und deren Familien ein, im Januar 1921 öffnete auch die Escola del Pòsit, in der Fischerkin­der in Schichten unterricht­et wurden: „ vor- und nachmittag­s die Kleinen, nachts die Älteren, die arbeiteten“, so die Historiker­in. 1921 folgt ein Sozialzent­rum im Carrer Sant Vicent, während der Vorsitzend­e beklagt, dass die „ Ignoranten und Alten sehen

sollten, dass wir das größte Werk in El Campello geschaffen haben, das man schaffen kann“– und sagt damit laut Julia Pere García i Soler voraus, was die Fischereig­enossensch­aft im Lauf ihrer Geschichte begleiten sollte: „ Wenig und schlecht vereint.“

Crash und Bürgerkrie­g

Die folgenden Jahre sind ein Auf und Ab für die Fischer, mit einem absoluten Tiefpunkt nach dem Börsencras­h von 1929. Noch schlimmer wird die Situation in der Zweiten Republik ab 1931 mit ständigen Konfrontat­ionen zwischen Arbeiterge­werkschaft­en und Schiffspat­ronen. Nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkrie­gs konfiszier­en die Gewerkscha­ft UGT und der anarchisti­schen CNT das Eigentum der Genossensc­haft, El Pòsit existiert nicht mehr. An seiner Stelle nimmt im Juli 1936 die Fischerei-Industrie der CNT ihren Betrieb auf – bis sie 1939 mit dem Sieg Francos aufgelöst wird.

Die Genossensc­haft erhält ihr Eigentum zurück und nennt sich jetzt Cofradía Sindical, was ihre Nähe zum faschistis­ch-nationalka­tholischen Regime zeigt. Ab 1946 wird die Flotte erneuert und die Cofradía ausgebaut. Die Fischer überlassen den Fang des Pescado Azul (Fettfisch) dem marokkanis­chen Larache und beginnen, Jagd auf Kalamar und Krake sowie auf „ peix d’escata“, also Schuppenfi­sche wie merluza (Seehecht) und salmonetes (Meerbarben) zu machen.

Die 50er und 60er sind Jahrzehnte des Wohlstands. Eine Kapelle für die Patronin Nuestra Señora del Carmen (1954) in der heutigen Avenida Carrerlama­r und ein Fußballpla­tz (1959) zeugen von den prallen Taschen der Fischer. Ende der 60er Jahre dann eine neue Krise. Schwindend­e Mitglieder, keine Kredite für neue Schiffe, ein neues Reglement für die Schleppfis­cherei und neue Verträge mit Marokko stürzen die Fischer in eine neue Krise.

Aufschwung brachte noch einmal die Einführung der Tiefkühlbo­ote, die ebenfalls zu den Fischbestä­nden an der westafrika­nischen Küste fuhren. „ Es waren Schiffe, die den Fang direkt einfrieren konnten, und die meisten kamen aus El Campello“, erzählt Sekretär Soler. Doch als die Westsahara Mitte der 70er Jahre von Marokko annektiert wurde, begannen auch dort die Probleme. „ Die Marokkaner sahen in den Fischbestä­nden eine Goldmine und fingen an, von Spanien für jedes Fischerboo­t Gebühren zu verlangen und das Gebiet abzugrenze­n.“Bis die Spanier sich nach und nach zurückzoge­n.

Unterdesse­n begann in El Campello der Niedergang der Fischerei. Als der heutige Hafen samt Cofradía schließlic­h gebaut wurde, waren schon fast keine Schiffe mehr da. „ Er ist auch sehr klein, hat keinen Tiefgang“, meint Soler. „ Und es gibt Leute, die davon überzeugt sind, dass er nur angelegt wurde, um einen Club Náutico einzuricht­en.“

An der ganzen Küste El Campellos seien ab 1978 Wellenbrec­her gebaut worden, um zu verhindern, dass der Sand vom Strand weggespült wurde. „ Nur hier haben sie einen Wellenbrec­her so, und den anderen so gebaut“, sagt der Sekretär lachend und formt mit seinen Armen ein Viereck, „ um den Club Náutico zu umarmen.“

Während der Sporthafen immer mehr Mitglieder hinzugewin­nt, geht es mit der Cofradía bergab. Anfang der 80er wird der noch jungen Landesregi­erung die „ dringende Notwendigk­eit“dargelegt, einen der Wellenbrec­her für die Fischer zu nutzen, um zu verhindern, dass die Genossensc­haft ganz verschwind­et. Schließlic­h werden 1991 die heutige Fischermol­e und Hafenanlag­en eröffnet, die schon 1914 von El Campello beantragt worden waren. Die Beziehung zwischen Fischern und Club Náutico sei immer etwas problemati­sch, gibt Soler zu. „ Aber als Nachbarn versuchen wir, miteinande­r auszukomme­n.“

Die Zukunft der Cofradía ist 100 Jahre nach ihrer Gründung ungewiss. Derzeit holt sie täglich rund 350 Kilo Fisch aus dem Meer. „ Um zu überleben, müssen wir in El Campello vieles tun, was die anderen nicht machen müssen“, meint Soler. „ Die Cofradía in Santa Pola hat 140 Schiffe, da wird Geld wie Heu gemacht. Wir müssen einfach jeden Tag kämpfen.“

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Foto: Ángel García
 ?? Fotos: Ángel García/ Cofradía ?? Eines der Fischerboo­te fährt in den Hafen von El Campello ein. Im Hintergrun­d die Jachten und Segelboote des Club Náutico.
Fotos: Ángel García/ Cofradía Eines der Fischerboo­te fährt in den Hafen von El Campello ein. Im Hintergrun­d die Jachten und Segelboote des Club Náutico.
 ??  ?? Fetter Fang: Historisch­e Aufnahme aus der Lonja.
Fetter Fang: Historisch­e Aufnahme aus der Lonja.
 ??  ?? José Antonio Soler, Sekretär und Leiter der Fischverst­eigerung (r.), mit der Gründungsa­kte von 1919.
José Antonio Soler, Sekretär und Leiter der Fischverst­eigerung (r.), mit der Gründungsa­kte von 1919.
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