Trragödiie ohne Ende
Wieder Drama vor Lampedusa: Während Migranten und Seenotretter wiederholt auf See ausharren, werden EU-Länder sich nicht einig
Wieder hat sich Anfang der Woche eine Tragödie vor der italienischen Insel Lampedusa ereignet, wieder sah die EU lange weg, wieder griff letztendlich die spanische Hilfsorganisation Proactiva Open Arms ein. Retten konnte die NGO nur 20 von 50 Flüchtlingen, die auf einem viel zu kleinen Boot vor dem Eiland trieben. „ Was für eine Schande“, twitterte Open-ArmsGründer Òscar Camps, dessen Organisation auch deshalb immer wieder einschreiten muss, weil sich die EU-Staaten bei der Verteilung der Flüchtlinge nicht einig werden.
Erst am Dienstag berieten sich die EU-Innenminister in Luxemburg wieder einmal zum Thema. Es ging darum, neben Deutschland, Frankreich, Italien und Malta weitere Unterstützer des sogenannten Malta-Abkommens zu gewinnen, das die Verteilung für aus Seenot gerettete Flüchtlinge regelt (s. Kasten). Konkrete Zusagen, künftig Migranten zu übernehmen, oder feste Aufnahmequoten einzuführen, gab es nicht.
Auch aus einem Bericht der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass rund 40 Prozent der Seenotrettungseinsätze von privaten Seenotrettern wie Proactiva Open Arms, Sea Watch oder SOS Mediterranée bewältigt werden. Die 2015 gegründete Hilfsorganisation Pro Activa Open Arms hat ihren Sitz im katalanischen Badalona. Als Bilder des am Strand von Bodrum in der Türkei ertrunkenen kurdischen Jungen Aylan Kurdi um die Welt gingen, rief Òscar Camps die Organisation Pro Activa Open Arms ins Leben.
„ Ich denke, dass die EU sich stärker damit befassen sollte, Immigranten im Mittelmeer zu retten. Täglich sterben dort Menschen, und die EU unternimmt nichts“, unterstreicht Pau Pérez, Pressesprecher von Pro Activa Open Arms. In seinen Augen sollten die Migranten automatisch auf die EU-Staaten verteilt werden. Zudem sollte die EU für sichere Fluchtwege sorgen. Das Schiff der NGO, die „ Open Arms“, fährt unter spanischer Flagge.
Vor allem beim tragischen Rettungsversuch vor Malta Anfang August habe man eine schnellere Reaktion der spanischen Regierung mit Druckausübung auf Italien erwartet. Stattdessen hatten 160 Menschen drei Wochen lang unter „ äußerst kritischen Bedingungen“, wie Òscar Camps mehrfach twitterte, an Bord ausgeharrt, bis die „ Open Arms“letztlich doch in Lampedusa anlegen durfte.
Die Situation hatte Spannungen zwischen Pro Activa Open Arms und der spanischen Zentralregierung zur Folge. Diese hatte als Häfen Algeciras oder die Balearen vorgeschlagen. Camps hatte dies abgelehnt, da die Fahrt mit dem 45 Jahre alten Schiff zu gefährlich sei und es der Zustand der Migranten an Bord nicht zugelassen hätte. Spanien, Frankreich, Deutschland, Rumänien, Luxemburg und Portugal erklärten sich schließlich bereit, die Migranten aufzunehmen.
15 von ihnen kamen am 30. August mit dem spanischen Kriegsschiff „ Audaz“im Hafen von San Roque in Cádiz an. Von dort aus wurden sie in das Auffanglager Centro de Estancia Temporal de Campano (Ceti) in Chiclana de la Frontera gebracht, wo sie einige Tage blieben, um danach auf verschiedene Autonomieregionen aufgeteilt zu werden.
„ Die Migranten waren in einem recht guten Gesundheitszustand, als sie den Hafen von San Roque erreichten“, sagt der Pressespre
Bilder von aus dem Meer geretteten Flüchtlingen rufen nicht bei jedem Mitleid hervor
cher des Roten Kreuzes in Cádiz, Miguel Domingo, der am 30. August dabei war, als die Migranten nach der dreiwöchigen Odyssee Festland betraten. „ In der Regel sind die Geretteten sehr ausgelaugt und extrem unterkühlt. Im Fall der Open Arms war es anders, da ihre Rettung schon einige Wochen zurücklag.“Wie gehen die Helfer des Roten Kreuzes damit um, wenn sie Tote im Meer schwimmen sehen?
„ Auf solche Situationen sind wir vorbereitet. Wir müssen uns ja in erster Linie um die Überlebenden kümmern. Werden wir mit dem Tod konfrontiert, haben wir die Möglichkeit, psychologische Betreuung zu erhalten“, so Domingo.
„Freifahrtschein nach Europa“
Seit Jahresanfang hat das Rote Kreuz in Andalusien über 13.000 Gerettete betreut. „ Fast jede Woche kümmern wir uns um hunderte gerettete Flüchtlinge.“Die Organisation arbeitet eng mit der Küstenwache zusammen. Sobald diese einen Notruf erhält, erfährt auch das Rote Kreuz über das Koordinationszentrum in Sevilla davon.
Dieses wiederum benachrichtigt die Rotkreuz-Helfer, die das ganze Jahr rund um die Uhr einsatzbereit sind. „ Die Schiffe der Seenotrettung fahren strategische Häfen an, wie San Roque, Málaga, Motril oder Algeciras. Dort gibt es Container mit Duschen und ein Behandlungszimmer zur medizinischen Erstversorgung“, erklärt Domingo. Zunächst prüfen die Mitarbeiter den Gesundheitszustand der Flüchtlinge. „ Da einige stark unterkühlt sind, geben wir ihnen auch Decken“, sagt Domingo.
Danach nimmt die Guardia Civil ihre Daten auf, was bis zu 72 Stunden dauern kann. Im Anschluss daran wird entschieden, ob sie sich legal in Spanien aufhalten. Wenn nicht, kommen sie in ein Auffanglager, Centro de Internamiento de Extranjeros (CIE). Dann wird der Migrant möglicherweise auch in sein Ursprungsland zurückgeführt, sollte dieses ein Rückführungsabkommen mit Spanien haben. „ Viele kommen in Spielzeug-Schlauchbooten oder Holzbooten. Außer der Kleidung, die sie am Leib tragen, vielleicht einen Ausweis, andere Dokumente oder ein Mobiltelefon haben diese Menschen nichts bei sich,“sagt Domingo.
Bilder von aus dem Meer geretteten Flüchtlingen rufen nicht bei jedem Mitleid hervor, nicht jeder heißt die Arbeit solcher NGOs wie Proactiva Open Arms für gut. Die spanische Nachrichtenagentur EFE berichtete, die Sprecherin der rechtspopulistischen Partei Vox in Andalusien, Luz Belinda Rodríguez, werfe den Seenotrettern vor, im Mittelmeer einen Shuttle-Service für Migranten anzubieten. Die Mafias würden selbst die Notrufe absetzen, damit die Seenotretter die Migranten abholen.
Als Reaktion auf die Entscheidung von Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE), einen Teil der Migranten von der „ Open Arms“aufzunehmen, twitterte Vox: „ Es war abzusehen, dass uns Sánchez wieder einmal hinters Licht führt und sich den Forderungen von (George) Soros und den globalen Eliten beugt. Wir sollten nicht zulassen, dass Spanien Teil eines Immigrationsmodells wird, das Personen mit unseren Steuergeldern unterstützt, die nicht dazu bereit sind, sich zu integrieren.“
Der ungarische Multimillionär George Soros hatte 1979 mit seiner gemeinnützigen Stiftung Open Society Foundations begonnen, schwarze Studenten in Afrika zu unterstützen. Kritiker warfen ihm 2018 vor, die Immigrantenkarawane von Honduras in Richtung USA finanziert zu haben.
Die Gewerkschaft CGT Mar y Puertos kündigte an, die Kritikpunkte vonseiten der Rechtspopulisten zu untersucht, um herauszu