Bandoleros und Migueletes
Dörfer im Hinterland inszenieren sich, um Besucher anzulocken – Im Oktober verwandelt sich El Burgo in ein Räubernest
Wiltrud Schwetje El Burgo
Ein markerschütternder Knall hallt durch die Dorfgassen und fährt direkt in die Glieder der ahnungslosen Barbesucher. Das Trommelfell vibriert, der Arm zuckt, das Kaffeeglas zittert in der Hand. Spätestens jetzt sind auch die größten Schlafmützen von El Burgo wach.
Schuld sind die Bandoleros, die sich immer Mitte Oktober in der kleinen Ortschaft im Herzen des künftigen Nationalparks Sierra de las Nieves zusammenrotten. Diesen Räubern, Wegelagerern oder Outlaws wie auch immer man sie bezeichnen möchte die im 19. Jahrhundert in der bergigen, dicht bewaldeten Landschaft der Serranía de Ronda ihr Unwesen trieben, fühlen sich die heutigen Dorfbewohner nach wie vor verbunden. Was daran liegen mag, dass ihre romantisch umwobene Geschichte viel Stoff hergibt, um im 21. Jahrhundert Besucher in das verschlafene Nest zu locken, aber auch daran, dass der letzte andalusische Bandolero, der sich durch seine Taten in den Geschichtsbüchern verewigen konnte, ein Anwohner von El Burgo war.
Juan José Mingolla Gallardo, besser bekannt als Pasos Largos“, ist im März 1934 im Gebiet Sierra Blanquilla nach einer intensiven Verfolgungsjagd von Guardia-Civil-Beamten niedergestreckt worden. In den Legenden, die sich um sein unangepasstes Leben ranken, wird er als mitfühlend, großherzig und freigiebig erinnert. Kein Zweifel, Pasos Largos“war der Obrigkeit und der Guardia Civil ein Dorn im Auge, aber bei der Bevölkerung durchaus beliebt. So beliebt, das ihm im Dorf sogar eine Skulptur gewidmet wurde. Ihm und allen anderen Bandoleros und Schmugglern der Serranía de Ronda zu Ehren reisen die Anwohner von El Burgo deshalb bei der Recreación Histórica Pasión Bandolera in die Vergangenheit zurück und verwandeln ihr Dorf drei Tage lang in eine Theaterbühne, in der historische Begebenheiten nachgespielt werden. Dabei werden sowohl das Alltagsleben dieser Epoche als auch die Abenteuer der Bandoleros in Szene gesetzt. An Authentizität mangelt es nicht.
Schön, stolz und verwegen
Verwegen schauen sie aus, diese Männer mit ihren derben, typisch andalusischen Stiefeln, den farbenprächtigen Bauchschärpen und Westen, die bunte Tücher ums Haupt geschlungen haben und mit furchteinflößenden Messern und Gewehren bis an die Zähne bewaffnet sind.
Ihre Frauen stehen ihnen in nichts nach: Schön und stolz, von einer leicht verruchten Aura umgeben, flanieren sie in ihren langen Röcken und enganliegenden Blusen, die ihre weiblichen Formen bestens zur Geltung bringen, durch die Straßen und bestätigen einmal mehr die Redensart, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau zu finden ist. Aber auch die rechtschaffeneren Bürger, einige Großgrundbesitzer, Vertreter
der Obrigkeit und der „ Migueletes“, die als Vorgänger der Guardia Civil gelten, sind in authentische Kleidung und Uniformen gehüllt. Die Gattinnen dieser Männer kommen in weniger gewagten Outfits daher, ihre adretten Blumenkleider und Samttäschchen oder die einfacheren Arbeitsklamotten und Milchkannen erzählen, welcher sozialen Schicht sie in dieser Zeitreise angehören.
Schon seit acht Jahren verwandelt sich El Burgo, einem auf den ersten Blick eher unscheinbar wirkenden Dorf an der Straße zwischen Yunquera und Ronda, am zweiten Wochenende im Oktober in ein wahrhaftiges Freilufttheater. „ Unser Dorf hatte mal 3.000 Einwohner, jetzt sind es nur noch knapp 1.800“, erzählt Agustín Pozo Florido, der sich in seinem normalen Leben in El Burgo als PSOE-Politiker betätigt und beim Bandoleros-Spektaktel 2018 eine der Hauptrollen übernommen hat.
Von diesem „ Landfluchtphänomen“können auch andere Ortschaften im andalusischen Landesinneren ein Lied singen. Das Bandoleros-Fest sei eine gute Gelegenheit, den Ort von seiner romantischen und traditionellen Seite zu präsentieren, ihn ein wenig mehr ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken und für mehr Leben zu sorgen, fährt Pozo Florido fort. Es gebe 23 Vereine und Organisationen in El Burgo, viele davon würden sich bei diesem Fest einbringen und etwas auf die Beine stellen.
In jedem Jahr wird in El Burgo eine andere historische Begebenheit in Szene gesetzt, gerne geht es dabei um die fleißigen und mutigen Frauen der Bandolero-Epoche. Wie um die tragische Geschichte von Agustina, die wegen der Bösartigkeit einiger Großgrundbesitzer gezwungen wird, ihr Leben als friedliche Bäuerin und Mutter aufzugeben und zur Anführerin einer Bandolero-Bande zu werden. Texte von bis zu sechzehn Kapiteln müssen sich die Laienschauspieler für ihre Rollen draufschaffen.
Schon Monate vorher wird mit den Proben und der Planung begonnen, um den Charme des Dorfs ins rechte Licht zu rücken.
Und Charme hat dieser Ort, an dem viele Urlauber wohl eher vorbeibrausen auf dem Weg ins geschichtsschwangere und weitaus bekanntere Ronda, reichlich zu bieten. Die hübschen Gassen mit ihrem Kopfsteinpflaster, die uralten Reste einer arabischen Burg, die freundlichen Menschen, dazu ein herrlicher Himmel und der wunderbare Blick auf die umliegenden Gebirgszüge – das allein lohnt einen Besuch. Aber wenn die Dorfbewohner ihre BandoleroKlamotten aus dem Kleiderschrank holen, dann pulsiert in El Burgo das Leben längst vergangener Zeiten, in denen Bandoleros noch Helden waren, der Aberglaube noch in den Köpfen der Menschen herumspukte und sich einige Frauen mit Hexerei und dem „ Bösen Blick“auskannten.
Wie der Fuchs im Hühnerstall
In diesem Jahr wird das Historienspektakel in El Burgo vom 11. bis 13. Oktober organisiert. Die ersten Auftritte haben die Bandoleros am Freitag gegen 19 Uhr. Abends sei besonders viel los, verrät Pozo Florido. Aber auch tagsüber kommen Besucher auf ihre Kosten, sowohl was die kulturellen Highlights als auch die kulinarischen Verlockungen angeht. An Ständen werden unter vielen anderen Produkten auch Käse und Olivenöl aus der Region angeboten. In den Küchen von Bars und Restaurants werden lokale Spezialitäten gebrutzelt und geköchelt. Tagsüber ab zirka 13 Uhr sind die Laienschauspieler im Einsatz.
Besonders amüsant wird es, wenn sich die modernen „ Migueletes“dazugesellen, die bei der Recreación Histórica Pasión Bandolera 2018 im Dutzendpack grinsend über die Hauptstraße marschierten und sich zwischen den Bandoleros so wohlfühlten wie der Fuchs im Hühnerstall.