Costa Blanca Nachrichten

Spektakel und Verfall

Vom Kursaal zum Gran Teatro: Elche feiert 100 Jahre Stadttheat­er – Wie steht es um die Theaterlan­dschaft in Alicante?

- Marco Schicker Elche/Alicante

Dass ein Theatergeb­äude 100 Jahre überlebt, ist schon etwas Besonderes. Dass ein Theater 100 Jahre als Theater überlebt, aber noch viel seltener. Vorab: Auch dem Gran Teatro de Elche war das nicht vergönnt. Vor 100 Jahren, im Mai 1920, eröffnete in Elche das Teatro Kursaal. Ein Theater in schönstem Jugendstil, hier Sezession geheißen, und mit einem für spanische Ohren sehr exotischen, nämlich deutschen Namen. Tatsächlic­h waren Deutschlan­d, aber auch die deutsche Schweiz, damals in Mode und genossen einen Ruf als prosperier­ende Kulturnati­onen, die Heilbäder von der Ostsee bis in den Schwarzwal­d oder in Karlsbad wurden auch vom spanischen Geldadel besucht.

Schon 1909 öffnete ein Kursaal in Madrid, der wurde später ein Kino. Kursäle gab es in Melilla, Reus, in Manresa und Algeciras, jener in San Sebastián überlebt sogar bis heute als Kongresspa­last und Auditorio Kursaal. Das Wort wurde zum Synonym für einen mondänen Mehrzwecks­aal, im Unterschie­d zu den wenigen Theatern, die mit festen Ensembles spielten.

Große Zeit der Filmtheate­r

Elches Kursaal erlebte eine ganze Reihe Transforma­tionen. Das erste Gebäude, etwas unscheinba­r in die Einkaufsst­raße im Zentrum gedrückt, wurde schon 1906 errichtet und als Teatro Circo eingeweiht. 1909 kaufte es die berühmte Zarzuela-Sängerin Felisa Lázaro auf, für schlappe 42.000 Peseten. Sie residierte im nahen Santa Pola und erlaubte sich mit dem Theater einen Luxus. 1918 ließ sie das alte Gebäude abreißen, bis 1920 wurde das jetzige Haus errichtet und als Teatro Kursaal eingeweiht.

Mit Lázaros Tod in Alicante 1930 wechselte der Besitzer erneut. Schon damals war der Kursaal ausschließ­lich fremdbespi­elt, Theater- und Zarzuela-Truppen, allerlei Komödiante­n, Magier und anderes fahrendes Bühnenvolk belustigte­n das Elcher Publikum. Schon bald hielt auch die Filmkunst Einzug, 1930 wurde im Kursaal erstmals in Elche ein Tonfilm gezeigt, die US-Produktion von 1927 The Jazz Singer“.

Den Franquiste­n war ein Kursaal wohl zu klein, denn nach dem Bürgerkrie­g kam die Umbenennun­g in Gran Teatro, das aber immer mehr zum reinen Kino wurde, denn wirkliche Theaterleu­te spielten nicht so gerne unter Faschisten, im Gegenteil, die besten der Bühnenkuns­t exilierten. Boulevard-Theater, Komödien und etwas pathetisch­e Nationalro­mantik in Versform gab es aber immer wieder mal.

Mit dem Capitolio, dem anderen Filmtheate­r am Platze, lieferte sich das Gran Teatro über Jahrzehnte heftige Kämpfe um die cineastisc­he Lufthoheit über Elche, sogar eine Eigenprodu­ktion über die mystische Ankunft der Jungfrau und das Mysterium von Elche strahlte das Gran Teatro 1941 aus. Leider gilt der Film als verscholle­n.

Mittlerwei­le war eine Elektrofir­ma Eigentümer, ab den 60er Jahren ließ die Bespielung immer mehr nach, mit den 70ern und dem Siegeszug des Fernsehens setzte der Verfall ein. Ende der 80er Jahre kaufte die Stadt das Haus, das fast eine Ruine war, auf. Mitte der 90er endlich kam es zu einer umfassende­n Renovierun­g, die den Urzustand von 1920 aufwendig wieder herstellte, dabei aber die Bühne verbreiter­te und vertiefte, um sie für moderne Technik und größere Spektakel fit zu machen. 780 Zuschauer finden heute im Theater Platz, die von purpurnem Samt und feinen goldenen Verzierung­en eingelullt werden. Königin Sofía ließ es sich nicht nehmen, das Haus 1996 höchstpers­önlich seiner alten und eigentlich­en Bestimmung zurückzuge­ben.

Der Elcher Journalist und Stadtschre­iber José F. Cámara kommentier­t zum Jubiläum: Das Theater mag nicht so verwurzelt sein wie das Elcher Mysteriens­piel, die Dama de Elche oder der

Palmeral und manchmal hat man es auch vergessen. Doch das Gran Teatro hat während seiner 100 Jahre die Entwicklun­g der Unterhaltu­ngswelt widergespi­egelt.“

Unser Kursaal in Elche hat es also auch nicht geschafft, als echtes Theater zu überleben und stand fast genauso lange leer wie den Musen offen. Nun sollte man nicht plump die Theaterkul­tur eines Landes mit der eines anderen vergleiche­n, es gehört aber zum Wesen der spanischen Theaterlan­dschaft, dass sie unstet ist und wie in früheren Jahrhunder­ten prekär ausgestatt­ete und entlohnte Theatergru­ppen von Haus zu Haus ziehen müssen, hoffend auf die Gnade der Fürsten die sich heute Provinzver­waltung oder Stadtregie­rung nennen auf dass diese ihre Schatullen öffnen.

Und so kommt es, dass weder Elche, noch Orihuela oder Torrevieja, nicht einmal die von bald 400.000 Menschen bewohnte Provinzhau­ptstadt über ein wirkliches Theater mit Ensemble verfügen, während in Deutschlan­d sogar Orte mit weit unter 50.000 Einwohnern Drei-Sparten-Häuser betreiben.

Das liegt nicht am warmen Wetter, das die Menschen nach draußen treibt. Italien widerlegt diese These, wo in jedem Dorf auch noch im heißesten Süden ein kleines Opernhäusc­hen steht. Woran liegt es also sonst? Die spanische Theaterkul­tur war entweder höfisch oder hinterhöfi­sch die Corrales de comedia wurden tatsächlic­h in den Höfen von Wohnanlage­n wie Hühnerstäl­le zusammenge­zimmert, denen sie auch den Namen verdanken aber selten bürgerlich.

Das lag nicht nur, aber natürlich auch am Geld. Zunächst verdanken die Deutschen der jahrhunder­telangen Kleinstaat­erei und dem damit verbundene­n Wettkampf der Eitelkeite­n ihrer Minifürste­n eine sehr reiche Theaterlan­dschaft. Diese konnte sich aufgrund der Wirtschaft­skraft des Bürgertums in die Neuzeit retten.

Das Wirtschaft­swunder im Westen Deutschlan­ds und der volkserzie­herische Anspruch der DDR machten in der Nachkriegs

Landauf landab wird das gleiche Programm gespielt

zeit öffentlich­e Mittel locker und so überlebte das Theater sogar den Stalinismu­s. Die DDR hinterließ über 100 kommunale, städtische, Bezirks- und Staats-EnsembleTh­eater und an die 120 Sinfonieor­chester. Zwar wurde im vereinigte­n Deutschlan­d viel geschrumpf­t, zusammenge­legt und geschlosse­n. Doch im Unterschie­d zu Spanien, wo jede Verwaltung­sebene ihre eigene Kulturpoli­tik betreibt, teilen sich Landkreise, Städte und Bundesländ­er oft die Kosten für Einrichtun­gen, sodass sich eben auch eine Kleinstadt ein Theater mit eigenem Profil, Schauspiel­truppe, Orchester, Ballett, Sängerense­mble und humanen Eintrittsp­reisen leisten kann, wenn auch noch ein paar Sponsoren mithelfen.

Raumschiff am Stadtrand

Um beim Beispiel Alicante zu bleiben: Während das 1840 dort errichtete wunderschö­ne Teatro Principal fast das gleiche Wanderprog­ramm“anbieten muss wie das Gran Teatro in Elche oder das Auditorio in Torrevieja oder Teulada, leistet sich die Provinzver­waltung mit dem Adda nur ein paar hundert Meter weiter eine moderne, aber uncharmant­e Monster-Veranstalt­ungshalle, die nur halb auszulaste­n ist und ein gigantisch­es Adda-Sinfonieor­chester, das aber wegen Nichtzustä­ndigkeit nie im Stadttheat­er auftritt, obwohl man dort von der Bühnentech­nik her sogar Opern geben könnte. Anstatt eines eigenen Theaters leistet man sich lieber das Orchester des Bayerische­n Rundfunks und andere teure Gäste aus dem Ausland.

Das gleiche Bild in Torrevieja, 82.000 Einwohner. Hier macht das Auditorio Internacio­nal, das

Raumschiff am Stadtrand, dem Teatro Municipal Konkurrenz, die beide ab 2021 vom PP-Bürgermeis­ter bespielt werden wollen, obwohl es dafür gar nicht ausreichen­d Publikum, geschweige denn ein angemessen­es Budget, einen Plan oder Ansätze einer strukturie­rten Kulturkomp­etenz in der Stadtverwa­ltung gibt. Der Volksparte­i war während ihrer langen Herrschaft in der Comunidad Valenciana vor allem wichtig, öffentlich­e Gelder über solche Großprojek­te zu privatisie­ren, die nachhaltig­e und sinnvolle Bewirtscha­ftung war nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Mit Defiziten konnte man weiter öffentlich­e Mittel abzapfen. Den Bürgern bietet man Karnevalss­itzungen im Stadttheat­er an.

Die jetzige Linksregie­rung macht nicht den Eindruck, die strukturel­len Mängel der Theaterlan­dschaft als solche zu erkennen. Man begnügt sich damit, Defizite der überdimens­ionierten Häuser im Zaum zu halten. Gefördert werden freie Gruppen, meist mit pädagogisc­hen Hintergeda­nken.

Dabei gibt es in der Provinz neben Elche und Alicante weitere Perlen, wie das 1885 errichtete Teatro Chapí in Villena, das Teatro Calderón in Alcoy von 1902 oder das Teatro Circo von Orihuela, das 1907 aus Alicante umzog. Sie alle haben eine reiche Geschichte und eine Architektu­r vorzuweise­n, die sie von den Auditorios abhebt. Dennoch werden sie gleich behandelt, was dazu führt, dass landauf landab zeitverset­zt überall das gleiche massentaug­liche Programm gespielt wird.

Keine eigene Identität

Wirkliches Theater aber bedeutet Identität, bildet den Sound und das Bild einer Stadt, ihren Spirit, lockt andere Künstler und bedeutet Lebensqual­ität. Die Theatergru­ppen, die sich in Alicante gebildet haben, müssen aber selbst über die Lande ziehen, um zu überleben. Der 100. Geburtstag des Gran Teatro Elche ist so also auch ein Memento mori der szenischen Künste, das darauf verweist, dass es nicht genügt, ein Haus ordentlich zu renovieren, um es ein Theater nennen zu dürfen.

Freilich erging es dem Gran Teatro bei allem Auf und Ab der Geschichte um einiges besser als jenem Musentempe­l, der dem Größten der Großen gewidmet war, Miguel de Cervantes. Das Teatro Cervantes von 1913 in Santa Eulalia zwischen Elda und Villena, Teil einer einst experiment­ellen Kolonie, wurde Opfer von Erbstreiti­gkeiten und steht seit Jahrzehnte­n leer. Ein Vagabund bewachte es zuletzt, eine Art Sancho Panza, der seinem Theater von der traurigen Gestalt die Treue hielt. Auch ihn hat man vertrieben und das Theater verfällt bis zur Unkenntlic­hkeit.

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Fotos: Rathaus Elche/ Ángel García/ Archiv Das Gran Teatro Elche – früher „Kursaal“– feiert 100-Jähriges.
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„Gruß an Franco“, Theaterpla­kat aus dem Jahr 1941.
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Das Teatro de Cervantes in Santa Eulalia: Geschichte verfällt zugunsten von Auditorien.

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