Künstliche Beatmung
Die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise sind erst in Ansätzen erkennbar
Madrid – tl. Läden sind zu, Hotels geschlossen, Fabriken stehen still. Wie ein Meteorit hat die Coronavirus-Pandemie Spaniens Wirtschaft getroffen: urplötzlich und urgewaltig. Die Folgen, die der Einschlag in Einzelnen haben wird, sind noch gar ich absehbar. Viel wird davon abhängen, ob das Land, das sich gerade von der Immobilien- und Finanzkrise gesundet wähnte, schon wieder fit genug ist für das, was kommen wird. Auch wird es entscheidend sein, wann es hierzulande gelingt, Corona zu stoppen. Wie auch immer: Die Angst vor einer schweren Rezession ist zurück – berechtigterweise.
Kaum hatte die Regierung vor zwei Wochen den Ausnahmezustand über das Land verhängt, schon rieben sich die Spekulanten die Hände. Die Risikoprämie, die Spanien leisten muss, um sich auf den Finanzmärkten Geld zu beschaffen, stieg ebenso sprunghaft in die Höhe wie die Zahl der Infizierten mit Sars-CoV-2. Kurze Zeit schien es, als würde Corona auch eine neue Finanzkrise in Ländern wie Spanien und Italien entfachen können. Die Europäische Zentralbank (EZB) ließ daraufhin den Anleihekauf aufleben und beendete die Spekulationen. 750 Milliarden Euro sind ein einschüchterndes Argument. Für den spanischen Finanzsektor wäre es das Schlimmste, wenn sich die Situation der Jahre 2008 bis 2012 wiederholen würde.
Die EZB-Intervention zeigt: Es wird alles Geld in die Hand genommen, um zu vermeiden, dass es Wirtschaft und Finanzbranche in der Euro-Zone ergeht wie den Gesundheitssystemen in Spanien oder Italien, beide sind im Begriff zu kollabieren. Auch die Regierung Sánchez kündigte ein Sofortprogramm von bis zu 200 Milliarden an. Die Hälfte soll klein- und mittelständischen Unternehmen zugute kommen und über kurzfristige Liquiditätsprobleme hinweghelfen. Stundungen von Steuern und Sozialabgaben sind weitere Hilfen.
Zudem lockerte die EZB den Knebel für die Banken in der Euro-Zone. Davon profitieren gerade die spanischen Institute. So wurde die Zwangsbildung von Rücklagen zur Abmilderung von Kreditausfällen gelockert. Die spanischen Banken selbst meldeten sich mit einer Forderung an ihre Regierung zu Wort. Man möge für 80 Prozent der Kredite bürgen, die an für von der Coronavirus-Krise betroffene Unternehmen vergeben werden. Staatliche Bürgschaften werden wohl kommen. In welcher Höhe und zu welchem Zweck, das wird noch verhandelt.
Höhere Neuverschuldung
Die Europäische Kommission wiederum will nicht mehr auf die Einhaltung des Stabilitätspakts beharren. Die Staaten können sich wegen der Coronavirus-Krise also eine deutlich höhere Neuverschuldung erlauben als die drei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Noch gar nicht konkret beziffert sind zudem die Krisen-Beiträge von Europäischer Investitionsbank (EIB) und EuroStabilitätsmechanismus (ESM).
Allein der ESM könnte wohl gut 400 Milliarden Euro beisteuern. Spanien und Italien stehen bereits in Kontakt, um gemeinsam in Brüssel und mit den Euro-Partnern für dessen schnelle Aktivierung zu plädieren.
Doch all die gewaltigen Milliardensummen der Institutionen werden kaum reichen, um einen längeren wirtschaftlichen Stillstand in den Mitgliedsländern schadlos zu überbrücken. „ Eine Volkswirtschaft auf diese Weise über Monate künstlich zu beatmen, damit sie anschließend wieder volle Fahrt aufnehmen kann, bedeutet eine gewaltige finanzielle und fiskalische Anstrengung“, zitiert die Zeitung „ El País“vom Sonntag einen hohen Regierungsbeamten. „ Und Länder wie Spanien befinden sich hier in einer delikaten Ausgangslage.“Aber wenn nicht gehandelt werde, laufe man Gefahr, „ dass der Schaden dauerhaft bleibt“.
Trotz der Bazooka-Maßnahmen, wie die EZB ihre monetäre Anti-Krisenpolitik selbst martialisch bezeichnet, gehen die Euro
Hüter in Frankfurt von einer Rezession um die minus zehn Prozent in der Euro-Zone aus. Das ifo-Institut in München zeichnet am Montag allein für Deutschland ein Szenario, das im schlimmsten Fall einen Wirtschaftseinbruch von 20 Prozent prognostiziert. So wundert es nicht, dass sich auch Experten in Spanien wenig optimistisch äußern und eine Zukunft in Schwarz malen. Allen voran Banco-deEspaña-Gouverneur Pablo Fernández de Cos: „ Das Coronavirus bedeutet eine nie dagewesene Störung für die Wirtschaft“, sagte der Zentralbank-Chef. Die notwendigen Einschränkungen in Spanien und anderen europäischen Ländern hätten zu einer abrupten Unterbrechung der wirtschaftlichen Aktivität geführt.
Hernández de Cos räumte indes ein, dass es derzeit noch keine Indikatoren gebe, die es erlauben würden, die Intensität der wirtschaftlichen Störung zu präzisieren. „ Auf kurze Sicht wird sie aber sehr ausgeprägt sein“, ist er sich sicher. Die Pandemie selbst, so der
Zentralbank-Chef weiter, werde eine vorübergehende Episode sein. „ Wie lange jedoch die Folgen andauern werden, hängt entscheidend vom Erfolg der Maßnahmen ab, um Neuansteckungen mit dem Coronavirus zu reduzieren.“
Dass Spanien in die Rezession rutschen wird, gilt indes als ausgemacht. Dazu gibt es einfache Rechenbeispiele. So haben ausländische Urlauber im vergangenen Jahr 72 Milliarden Euro in Spanien ausgegeben. Spanier wiederum trugen als Touristen 24 Milliarden ins Ausland. Macht noch immer ein Saldo im Plus von 48 Milliarden Euro. Was wiederum vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bedeuten. Läuft der Tourismus ein ganzes Jahr auf Null, verliert das BIP vier Prozentpunkte. Ein halbes Jahr auf halber Flamme wären immer noch ein Verlust von einem Prozent Wachstum.
Anderes Beispiel: Die Ausgaben spanischer Haushalte für Gaststätten-Besuche, Freizeit oder Veranstaltungen steuern jährlich in der Regel mehr als zehn Prozent zum BIP bei. Reduzieren sich diese Ausgaben für die Dauer von drei Monaten um die Hälfte, würde das Wachstum etwa einen weiteren Prozentpunkt einbüßen. Vor Corona rechnete die Regierung Sánchez mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung für 2020 von 1,6 Prozent. Schon allein mit den genannten zwei Beispielen würde das BIP in diesem Jahr um 0,4 Prozentpunkte schrumpfen.
Ostergeschäft ist futsch
Nimmt man den Tourismus mit seinem 15-prozentigen Anteil am BIP insgesamt, dürfte die Rechnung noch schlechter ausfallen. Mit der von der Regierung in der vergangenen Woche angeordneten Schließung aller Hotels und Pensionen ist der Fremdenverkehr nun endgültig zum Erliegen gekommen. Das Ostergeschäft ist schon mal futsch. Dauert die CoronaEpidemie über den Sommer an, kann die Branche die Saison komplett abschreiben. Doch selbst eine kürzere Dauer wird nicht dazu führen, dass aus den beiden wichtigsten Ländern Großbritannien und Deutschland Urlauber in gewohnten Massen nach Spanien strömen. Dort wird Corona möglicherweise noch länger anhalten
Die von der Regierung geäußerte Hoffnung, dass sich die wirtschaftliche Aktivität nach Corona im gleichen Tempo erholt, wie sie eingestellt wurde, ist jedenfalls illusorisch. Doch wie schwer die Rezession in Spanien tatsächlich ausfällt, darauf wollen sich die Experten – ähnlich wie ZentralbankChef Hernández de Cos – noch nicht festlegen. „ Das Fehlen von Vertrauen, der Verlust von Arbeitsplätzen, die Zerstörung von Unternehmen sowie die Kette an Verzögerungen bei den Zahlungen an Lieferanten werden dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Erholung keinesfalls mit 100 Prozent des Vorkrisenzustands ausfallen wird“, sagt beispielsweise der angesehene Ökonom und „ El País“Kolumnist José Carlos Díaz.
Die Ratingagentur S&P wiederum orientiert sich am CoronaVerlauf. Vorausgesetzt, die Coronavirus-Krise erreicht erst im Sommer ihren Höhepunkt, gibt S&P das Jahr für verloren. Demzufolge werde die Wirtschaft in diesem Jahr um 1,8 Prozentpunkte schrumpfen. Dabei handelt es sich sogar um eine noch optimistische Erwartung. Erste Schätzungen des Wirtschaftsministeriums beispielsweise gehen für das erste Quartal 2020 von minus zwölf Prozent aus. Was bereits eine schwere Hypothek für den restlichen Jahresverlauf darstellt.
Eine andere Rechnung macht der Volkswirtschaftler Rafael Doménech von der Großbank BBVA auf: Das BIP einer Woche betrage zwei Prozent der Jahresleistung. Wenn die Wirtschaft auch nur zu einem Viertel stillstehe, bedeute das einen Verlust von zwei Prozentpunkten Wachstum für jeden Monat mit reduzierter Aktivität. Und je länger die Krise dauere, umso mehr Unternehmen würden kaputtgehen. Zu einer schnellen Erholung 1:1, so Doménech gegenüber „ El País“, werde es daher nur schwerlich kommen.
Doch während darüber räsoniert wird, wie tief Spanien in die Rezession rutscht, ist der Aderlass auf dem Arbeitsmarkt bereits messbar. Laut „ El País“sind zwischen Montag und Donnerstag der ersten Woche des Ausnahmezustands insgesamt 410.000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Die Zeitung beruft sich auf Regierungsangaben. Damit wäre das Plus an Beschäftigung, das zwischen Februar 2019 und Februar 2020 geschaffen wurde, mit einem Schlag zunichte gemacht. Die Befürchtungen des Dachverbands der kleinen und mittelständischen Betriebe (Cepyme), dass Corona rund 300.000 Arbeitsplätze kosten werde, sind also längst Makulatur.
Der rapide Abbau von Beschäftigung im Zuge der Corona-Krise ist vor allem auf die hohe Zahl an befristeten Arbeitsverhältnissen zurückzuführen. Verträge, die auslaufen, werden nun nicht verlängert. So beträgt der Anteil der Zeitverträge auf dem Arbeitsmarkt in Spanien laut Eurostat (Stand 2018) 26,8 Prozent – Spitzenwert in der EU. Und wieder einmal trifft es vor allem junge Leute. 75 Prozent finden sich hierzulande in einem befristeten Arbeitsverhältnis.
Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts 40db im Auftrag von „ El País“ergab, dass die Hälfte der Spanier fürchtet, in der Coronavirus-Krise den Arbeitsplatz verlieren zu können.
Eine Mehrheit rechnet zudem damit, dass die Firma, in der man arbeitet, schließen wird. Dass auch Gehaltskürzung zu erwarten seien, glauben 60 Prozent der Befragten. Ebenfalls 60 Prozent halten es allerdings für unwahrscheinlich, dass sie nach der Krise gänzlich ohne Job bleiben werden. Daraus spricht laut Umfrage die Erwartung, dass es sich um eine temporär begrenzte Krise handele. Ferner gaben 40 Prozent an, wegen der Coronavirus-Krise eine geplante Anschaffung vertagt zu haben.
Bedrückt ist derzeit auch die Stimmung unter den rund 3,2 Millionen Selbstständigen in Spanien. Sie wissen nicht, wie sie die Krise überstehen oder an die zugesagte Hilfe der Regierung kommen sollen. Beispiel ERTE: Ob das temporäre Ausstellungsverfahren, das die Regierung in Anlehnung an das deutsche Kurzarbeitergeld aufgelegt hat, auch Selbständige in Anspruch nehmen können, scheint vielen nicht klar zu sein. Die Regierung sagt zwar Ja, die Veröffentlichung des Dekrets im Staatsanzeiger BOE dagegen sei weniger deutlich in der Frage, klagen viele und fühlen sich verunsichert.
Zu guter Letzt taucht in der Coronavirus-Krise eine Wunschvorstellung auf, die bereits in der Euro-Krise debattiert wurde: EuroBons. Nur dass sie diesmal Corona-Bons heißen würden. Bei dieser Art Anleihe würden EU-Staaten gemeinsam Schulden am Kapitalmarkt aufnehmen, die aufgenommenen Mittel unter sich aufteilen und gesamtschuldnerisch für die Rückzahlung und Zinsen dieser Schulden haften. Vor allem mit
Deutschland waren Euro-Bons nicht zu machen. „ Solange ich lebe, wird es keine Euro-Bons geben“, würgte Kanzlerin Angela Merkel damals die Debatte ab und zog sich den Zorn vor allem der Länder im Süden Europas zu.
In Spanien häuften sich zuletzt die Stimmen, die für eine Wiederbelebung der Idee warben. „ Das Optimalste wären Corona-Bons, die es erlauben würden, Schulden zu vergemeinschaften“, sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Nadia Calviño gegenüber „ El País“. Auch der Banco-de-España-Gouverneur sprach sich dafür aus, „ Schulden zu vergemeinschaften“. Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Banken-Dachverband, Think Tanks und Ökonomen unterschiedlichster ideologischer Ausprägung stießen in das gleiche Horn.
Sánchez ist gewarnt
Der größte Fehler von José Luis Rodríguez Zapatero war, die Immobilien- und Finanzkrise unterschätzt zu haben. Pedro Sánchez ist also gewarnt. Wie Spanien aus der Coronavirus-Krise kommt, hängt nicht unerheblich davon ab, wie es dem Regierungschef gelingt, seine Kollegen in Europa auf eine solidarische Linien zu bringen. Die Chancen, dass sich Deutschland für Corona-Bons erweichen lässt, stehen diesmal besser. Anders als in der Euro-Krise sind das Land und seine Wirtschaft ebenso stark vom Coronavirus betroffen wie Spanien, Italien oder Frankreich. Und Merkel hat bekanntlich schon so manchen Meinungsumschwung vollzogen.
Für den spanischen Finanzsektor wäre es das Schlimmste, wenn sich die Situation von 2008 bis 2012 wiederholen würde