Liebe Leser,
diese Woche liefen in spanischen Medien
Berichte über Leute, die alles kommen sehen. Vor Jahren fürchteten sie in weiser Voraussicht, dass einmal ein fieses Virus die
Menschheit heimsuchen würde. Sie flüchteten freiwillig in Quarantäne und übten sich in der Enthaltsamkeit bei vielen Dingen, die ein Leben lebenswert machen. Diese Menschen tauchen natürlich nicht in der Liste der über 28.000 Covid-19-Opfer in Spanien auf.
Die leben noch, auch wenn die Furcht vor einem Virus ihnen ihr Leben geraubt hat.
Diese Woche erreichten die Redaktionen einige Zuschriften, in dem Tenor „ Ist Spanien noch sicher?“oder „ Kann ich meinen Urlaub verbringen oder soll ich stornieren?“oder „ Kann ich sicher sein, dass ich nach meinem Urlaub wieder zurück über die Grenze komme?“Die Redaktion kann diese Fragen nicht beantworten, denn sie kann nicht in die Zukunft schauen. Nichts aber hindert Spanienurlauber daran, die tollste Zeit ihres Lebens hier zu verbringen. Erfüllen sich die Erwartungen nicht, liegt das mit großer Wahrscheinlichkeit eher an den Betroffenen selbst und ihrer Einstellung, als am Virus. In aller Konsequenz ist es nicht immer so einfach zu lernen, mit dem Virus zu leben – und auch leben zu lassen.
Lassen Sie mich kurz von einem italienischen Pizzabäcker erzählen, dem die Coronavirus-Krise seine berufliche Existenz genommen hat.
Nun bietet er sich Gartengesellschaften und Privatpersonen als Pizzabäcker an und tischt überall, wo man ihn mag, tischgroße Pizzen auf. Im Schlepptau hat er seine Frau mit zwei kleinen Kindern und ein drittes ist auf dem Weg. Aus eigener Kraft kann er keins kleiden, das aber trübt weder Elan noch Vitalität der Familie, noch seine Leidenschaft fürs Pizzabacken. Nichts macht ihm mehr Freude, als im Schweiße seines mehligen Angesichts zu erzählen, was einen guten italienischen Pizzateig ausmacht. Glauben Sie wirklich, dieser Mann hat Zeit, sich Gedanken über die Ausbreitung des Virus zu machen? Der lebt nur im Hier und Jetzt.
Dieses Leben im Hier und Jetzt fand man in Spanien vor Corona sehr oft. Es schlug sich in der Wertschätzung der kleinen Freuden und Momente nieder. Stattdessen lässt man nun Vorsicht walten. Man kann es nicht mehr ignorieren, dass eine unsichtbare Bedrohung in der Luft liegt. Das dämpft die Lebenslust, macht zahm und bequem. Während der Quarantäne hat man gelernt, dass man auf vieles verzichten kann. Auch auf materielle und kommerzielle Dinge. Man stellt schnell fest, dass man den Besuch eines Fußballspiels, eines Konzerts oder eines Restaurants nicht unbedingt zu seinem Glück braucht. Was aber, wenn all das aus dem Leben verschwindet? Derzeit stehen in Spanien angeblich 40.000 Bars und Restaurants vor dem Aus. Wenn die Entwicklung so weitergeht, machen bis Jahresende 65.000 zu. Das hat dann nichts mehr mit dem Verzicht zu tun, sondern mit dem Verlust einer gewissen Lebensart und Qualität. So viel zum Thema, mit dem Virus zu leben – und leben zu lassen.