Grund zur Sorge
Knapp 1.800 neue Fälle an einem Tag – Immer wieder Nachtleben im Fokus
1.772 Neuinfizierte binnen 24 Stunden bieten Grund zur Sorge – auch wenn Ministerpräsident Pedro Sánchez betont, dass die Maßnahmen zur Früherkennung und Vorbeugung greifen. Immer wieder machen Diskotheken und Pubs
Schlagzeilen, doch auch Treffen mit Freunden und der Familie sorgen ständig für neue Corona-Ausbrüche. Immer neue Reisewarnungen – zuletzt eine Quarantäneanordnung aus der Schweiz – tun ihr übriges, um Spanien den Sommer zu vermiesen. Valencia ist bisher relativ glimpflich davongekommen, neue Infektionsherde lassen aber auch hier die Gesundheitsbehörden aufhorchen. In Murcia ist die Gemeinde Mazarrón besonders stark betroffen.
Madrid – fin/mar/ste. Die jüngsten Coronavirus-Entwicklungen in Spanien geben Anlass zur Sorge – auch wenn die Verläufe milder sind – 60 Prozent verlaufen symptomfrei –, viel mehr getestet wird und die Sterberate mit 0,5 Prozent sehr niedrig scheint. Am Mittwoch hat das Gesundheitsministerium 1.772 neue CoronavirusFälle innerhalb von 24 Stunden gemeldet, weit mehr als die Hälfte davon kommen aus den Regionen Madrid (539) und Aragón (614).
Ministerpräsident Pedro Sánchez trat am Dienstag vor die Presse und versuchte, die Gemüter zu beruhigen. „ Wir sind wesentlich besser vorbereitet, um auf die neuen Ausbrüche zu reagieren“, meinte Sánchez. Das Nationale Gesundheitssystem (SNS) sei in der Lage, neuen Ausbrüchen vorzubeugen und weitere Ansteckungen zu verhindern. Aber: „ Ich weiß, dass die Zahlen in der Bevölkerung Angst hervorrufen.“
Die kleine Region Aragón hat angesichts weiter steigender Zahlen neue Einschränkungen für Bars und Restaurants beschlossen und Menschenansammlungen mit über zehn Personen verboten. In Katalonien flacht die Kurve insgesamt zwar etwas ab, dennoch bleibt die Lage in einzelnen Gebieten wie Sabadell oder Figueres (Girona) angespannt.
Sorgen bereitet auch die Region Madrid, die bei der ersten Welle am schlimmsten betroffen war. Von mindestens 22 neuen Ausbrüchen ist die Rede, Tendenz steigend. Binnen einer Woche hat die Region 1.800 neue PCR-Tests positiv ausgewertet, das sind Zahlen, die denen von März sehr ähneln.
In Navarra entspannt sich die Lage zunehmend, am Mittwoch meldete die nordspanische Region nur noch 70 neue Fälle. Das Auswärtige Amt hat am Freitag eine Reisewarnung für Katalonien, Aragón und Navarra veröffentlicht. Das Robert-Koch-Institut hat die drei Regionen außerdem in die Liste der Coronavirus-Risikogebiete aufgenommen. Das bedeutet für Rückreisende aus den betroffenen Gebieten, dass sie in Deutschland eine 14-tägige Quarantäne antreten müssen – es sei denn, sie können einen aktuellen, negativen Covid-19-Test vorweisen. Die Schweiz führt ab 8. August eine zehntägige Quarantänepflicht für Rückkehrer aus Spanien ein. Ausgenommen sind Reisende, die auf den Balearen oder Kanaren waren.
Angesichts von immer mehr EU-Ländern, die Reisewarnungen für ganz Spanien oder einzelne Regionen ausrufen, ist der Unmut groß. Spanien fürchtet nun, seine Urlauber auch im Juli und August zu verlieren – an Griechenland und die Türkei. Die Fluggesellschaft Jet2.com etwa will 30.000 Urlauber zusätzlich in die beiden Länder fliegen. Auch TUI hat weitere Pakete für Griechenland geschnürt.
Spanien selbst hält zumindest die Reisewarnungen für das ganze Land für unangemessen. „ Das ist eine Form von touristischem Protektionismus“, sagte der Europaabgeordnete Jordi Cañas als Reaktion auf die Quarantänepflicht für Briten und die Warnung vor Katalonien-Reisen in Frankreich. Es brodelt unter der Oberfläche: Die Vermutung, die Länder wollten von ihren steigenden Fallzahlen ablenken und die eigene (Tourismus-) Wirtschaft stärken, liegt nah.
Den Aufreger der Woche lieferte eine Diskothek in Torremolinos an der Costa del Sol. Bilder zeigen eine Menge dicht an dicht und einen DJ, der Alkohol in die Masse spuckt und aus derselben Flasche gleich mehrere Gäste bedient – von Mund zu Mund, quasi. Die Diskothek musste daraufhin schließen, doch das Nachtleben bleibt großes Sorgenkind der Behörden. Mindestens 1.100 Fälle aus 30 Ausbrüchen gehen spanienweit auf Diskotheken und Pubs zurück – Fälle, die zudem extrem schwierig zurückzuverfolgen sind.
Hoffnung, schnell herauszufinden, wer mit einem positiv Getesteten in Kontakt war, weckt die App „ Radar Covid“, die derzeit getestet wird. Sie soll warnen, wenn direkter Kontakt zu einem Infizierten bestanden hat. Laut den Entwicklern könnte die App doppelt so viele Kontakte ausmachen wie ein menschlicher CoronavirusFahnder. Selbst wenn nur ein geringer Teil der Bevölkerung die App nutzen würde, könnte sich die Ausbreitung des Coronavirus deutlich reduzieren, sind sie überzeugt. Spätestens ab 15. September soll die App erhältlich sein.
Valencia nicht außen vor
In der Aufregung um rasant steigende Coronavirus-Fälle im Norden und in Andalusien stand Valencia lange Zeit im Schatten. Noch immer ist die Lage in der Region deutlich ruhiger als in anderen, doch auch hier werden in immer mehr Orten Infektionsherde registriert. Die letzte Aktualisierung am Mittwoch spricht von 13 neuen Ausbrüchen, die meisten davon in der Provinz Valencia sowie im Ballungsgebiet rund um die Landeshauptstadt. Seit dem 2. Mai sei die Anzahl der Neuinfektionen nicht mehr so hoch gewiesen wie jetzt, meldet das Landesgesundheitsministerium.
Sorgenkind Gandía scheint allerdings aus dem Gröbsten heraus zu sein, am Wochenende erteilte die Landesregierung die Erlaubnis, das Nachtleben in der Gemeinde wieder zu erlauben. Die Provinz Alicante ist insgesamt von den Ausbrüchen weniger betroffen. In die Schlagzeilen geriet zuletzt Orihuela: Angeblich sei auch eine Bar betroffen und geschlossen worden. Diese Nachricht stellte sich als Falschmeldung heraus, Schuld war eine Verwechslung mit einem gleichnamigen Lokal in Galicien. Neue kleine Ausbrüche meldet die Landesregierung unter anderem aus Altea, Gandía und Sant Joan d’Alacant. 135 neue Infizierte binnen 24 Stunden verzeichnete die Landesregierung am Dienstag, 89 am Mittwoch.
Als Ursprung für die meisten neuen Ausbrüche machen die Corona-Fahnder Treffen mit Familie oder Freunden aus. Landesgesundheitsministerin Ana Barceló appellierte einmal mehr an die Vernunft der Bürger: „ Bei Familientreffen sind nur diejenigen von der Maskenpflicht befreit, die im selben Haushalt wohnen. Auch bei privaten Feiern müssen wir Hände waschen, Abstand halten und Schutzmasken tragen. Das müssen wir für uns selbst tun und für diejenigen, die wir am meisten lieben“, so Barceló.
In Murcia ist Mazarrón besonders von neuen Ausbrüchen betroffen. 53 Arbeiter eines Landwirtschaftsbetriebs hatten sich angesteckt, die Landesregierung schloss den Betrieb vorübergehend. In Lorca haben sich mindestens 36 Menschen in zwei Diskotheken angesteckt. Insgesamt nimmt die Zahl der neuen CoronaInfektionen in Murcia ab, am Mittwoch meldeten die Behörden 48 neue Fälle binnen 24 Stunden.
„Das ist eine Form von touristischem Protektionismus“