Politik und Bürger aufrütteln
Menschenhandel boomt unter Corona – Genderforscherin plant Studie für Stadt Alicante
Alicante – sw. Der Sommerschlussverkauf an der Costa Blanca läuft. Im Sonderangebot gibt es alles. Auch Menschen: Ob als Lustobjekt, billige Arbeitskraft oder zum Betteln. Der Menschenhandel boomte in den letzten Jahren, gerade in Spanien. Doch die Pandemie gab der Ausbeutung von Frauen, Männern und Kindern Auftrieb. Am 30. Juli, dem internationalen Tag gegen den Menschenhandel, schlugen daher diverse NGOs, die mit Betroffenen in Kontakt stehen, Alarm.
Die Gewalt der Peiniger gegen Opfer habe im Lockdown zugenommen, warnen Hilfsorganisationen wie Educo, Manos Unidas und Save the Children. Zudem hätte Spaniens Strategie gegen Corona Opfer des Menschenhandels stärker isoliert. In Sozialen Netzwerken hätten Kriminelle noch mehr – gerade minderjährige – Opfer gelockt. Eine neue Kampagne „ También es trata“– „ auch das ist Menschenhandel“– der Hilfswerke Proyecto Esperanza und Sicar Cat zielte auf Formen ab, die vielen Bürgern nicht bekannt sind.
Von Porno zu Prostituierter
„ Die Politik in Spanien weist im Umgang mit Menschenhandel schwere Mängel auf, die den Zugang betroffener Frauen zu ihren Rechten erschweren“, mahnt für Sicar Rosa María Candón an. Was ist Menschenhandel? Laut Vereinten Nationen die „ Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch (...) Gewalt oder andere Formen der Nötigung (...) zum Zweck der Ausbeutung.“
Unter sexuelle Ausbeutung falle Prostitution – hier ist Spanien in
Europa das Land mit der höchsten Nachfrage –, zu der auch Pornografie zählt, wie die Nationalpolizei in Alicante erklärt. Neben sexueller Ausbeutung nennt die UN „ Zwangsarbeit, Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen“.
Alle genannten Formen sind in Spanien verbreitet, so Hilfswerke und Nationalpolizei übereinstimmend. Doch in Spanien fehle eine einheitliche Strategie gegen den Menschenhandel, mahnte die Gewerkschaft UGT zum Aktionstag am 30. Juli an, und bezog sich hier vor allem auf Ausbeutungsformen, die in Corona-Zeiten offensichtlich wurden, wie die sklavenartige Arbeit auf Feldern. Aber die Grundlage zum Menschenhandel biete auch die Gesellschaft.
Das sagen unterschiedliche Experten wie Pablo Domínguez vom kirchlichen Hilfswerk Asti aus Alicante. Einerseits toleriere man die Pornografie, wundere sich dann aber, dass immer mehr Jugendliche zu Prostituierten gingen. „ Vielen Schülern können wir kaum noch klarmachen, dass es sich bei einer sogenannten ‚ Hure‛ in erster Linie um eine Frau handelt, einen Menschen, der Respekt verdient.“
Ein weiterer Grund: Die Mentalität des Konsums und Wegwerfens: „ Das Prinzip wenden wir auch auf Beziehungen an. Werden Menschen ausgebeutet, fällt uns das kaum auf.“Gender-Forscherin Lydia Delicado von der Uni Alicante: „ Eine gerechte Gesellschaft würde den Menschenhandel nicht akzeptieren. Weil er gegen Rechte von Freiheit und Menschsein verstößt.“Für ihre Doktorarbeit über Menschenhandel in Alicante war Delicado drei Monate lang freiwillige Helferin der mobilen Einheit des Roten Kreuzes für Prostituierte.
Demnächst soll sie für die Stadt eine Studie zum Thema erstellen. Doch der Feind ist mächtig. Den Menschenhandel, so Delicado, bestärke der globale Kapitalismus „ mit mächtigem Marketing und gewaltigen Summen in der Sex-Industrie“. Nötig seien „ Strukturen, die Zuhälterei verfolgen und das Konsumieren von Frauen verhindern. Sowie neue Formen des Mannseins, die dies nicht als Freizeitaktivität ausleben“.
Auch für die Arbeit auf Feldern werden Menschen zur Ware