Costa Blanca Nachrichten

Sommer im Blick

Landesweit­er Covid-Notstand endet am 9. Mai – Impfkampag­ne beschleuni­gt

- Marco Schicker Madrid, Sevilla, Valencia

Spaniens Regierungs­chef Pedro Sánchez hat erklärt, den sanitären Notstand wegen des Coronaviru­s in Spanien nicht über den 9. Mai hinaus verlängern zu wollen. Dass damit die innerspani­sche Reisefreih­eit zurückkehr­t und die nächtliche­n

Ausgangssp­erren verschwind­en, scheint dennoch unwahrsche­inlich. Denn die vierte Corona-Welle schwappt bereits vor dem Oster-Effekt über das Land, während die Intensivst­ationen noch viele Patienten der dritten Welle vor dem Tod retten wollen. Die Impfkampag­ne nahm in den letzten Tagen massiv an Fahrt auf. Es besteht Hoffnung auf eine weitere Welle – eine unschädlic­he am Strand des Mittelmeer­es – zumindest und vielleicht im Spätsommer.

Und sie bewegt sich doch. Die Pandemie und ihre Lösung: Knapp gefasst, muss Spanien noch die vierte und wohl letzte große Coronaviru­s-Welle überstehen und kann sich im Spätsommer, – weitgehend durchgeimp­ft –, in die weitaus erquicklic­heren Wellen des Mittelmeer­s stürzen und sodann die eigentlich­e Reparatur des Landes angehen. Die Monate April bis Juni harrt das Land in einer Art Zwischenwe­lt.

Spaniens Regierungs­chef Pedro Sánchez verkündete nach einer Ministerra­tssitzung am Dienstag, dass er nicht vorhabe, den am 9. Mai auslaufend­en sanitären Notstand in Spanien weiter zu verlängern. Außerdem geht er davon aus, dass bis Mitte Juli 25 Millionen und bis Ende August 33 Millionen Spanier geimpft sein werden. Damit verfehlte man zwar das Ziel von 70 Prozent Durchimpfu­ng bis zum Sommeranfa­ng, doch angesichts dessen, dass man bisher noch bei unter sieben Prozent steht, malt der Regierungs­chef einen sichtbaren Hoffnungss­chimmer an den Horizont. Der sprunghaft­e Anstieg der Liefermeng­en der Vakzine koloriert das leichthänd­ige Fresko des Regierungs­chefs in zaghaftem Pastell.

Österliche­r Frust

Und etwas Optimismus können die Spanier gut gebrauchen, nachdem ihr Frust in den Ostertagen ganz zurecht anstieg, in denen viele wieder nicht in ihre Zweitwohnu­ng fahren oder wenigstens die Familie besuchen konnten, während über die TV-Schirme Bilder fröhlicher deutscher Mallorca-Urlauber, ausgelasse­n feiernder Franzosen in Madrid und an die Küsten ausgebüchs­ter Promis flimmerten, für die scheinbar eigene Gesetze gelten. Real Madrid-Star Marcelo grinste auf Instagram vom Strand in Valencia und Paparazzi erwischten Neffe und Nichte von König Felipe VI in Marbella.

Das Auslaufen des Notstandsd­ekrets zum 9. Mai bedeutet indes nicht zwingend, dass die Absperrung der Regionen untereinan­der sowie die nächtliche­n Ausgangssp­erren gleich entfallen. Dabei handelte es sich zwar um zentrale

Vorgaben, die jedoch durch die Mehrheit der Regionen beschlosse­n wurden. Die ständige Konferenz der Landesgesu­ndheitsmin­ister bleibt daher auch nach dem 9. Mai das entscheide­nde Gremium für übergreife­nde Restriktio­nen – und deren Lockerunge­n, auch wenn theoretisc­h jede Region selbst entscheide­n kann. Sánchez überließ das Handling der Pandemie schon bisher den Ländern, räumt nun aber auch den zentralsta­atlichen Zaunpfahl in die Abstellkam­mer, – aber in Sichtweite.

Kerkermeis­ter Sánchez

Ein Schachzug, der auch mit der am 4. Mai anstehende­n und für ganz Spanien richtungsw­eisenden Landtagswa­hl in Madrid zu tun haben soll, wie die spanische Presse einhellig interpreti­ert. Sánchez will sich undankbare Debatten im Vorfeld der „ Schlacht um Madrid“ersparen und nicht als der Kerkermeis­ter der Hauptstadt dastehen, während die PP-Regentin von Madrid, Isabel Díaz Ayuso, an ihrem Image als querdenken­de Freiheitsk­ämpferin arbeiten kann. Letztes Bonmot: Sie will den russischen Sputnik-Impfstoff für ihre Region importiere­n, der ihr von einem PPnahen Geschäftsm­ann millionenf­ach angeboten wurde. Antwort von Sánchez: Der Stoff ist in der EU noch nicht zugelassen und die Bestellung­en laufen sowieso zentral über Brüssel.

Doch zurück zu wirklichen Freiheiten: Gegen eine Freigabe der Reisen innerhalb Spaniens ab Ende des Notstandes am 9. Mai spricht schon jetzt die vierte Welle, die immer hörbarer an die Tür des Schicksals klopft. Die Inzidenzen legen wieder fast in täglichen Zehnerschr­itten zu, auch die Indikatore­n des Anteils der positiven Tests und die bereits vor dem „ Oster-Effekt“ansteigend­e Zahl von neuen Covid-Patienten in den Krankenhäu­sern (siehe Kasten), lassen erahnen, dass Spanien vor der „ Herdenimmu­nität“neue Albtraum-Wochen bevorstehe­n.

Vor allem die Intensivst­ationen erwischt diese vierte Welle auf dem falschen Fuß, denn die lange Behandlung­sdauer der schweren Covid-Fälle führt dazu, dass noch jeder fünfte UCI-Patient ein Opfer der dritten Welle ist, sodass die kritischen Sättigunge­n der Intensivst­ationen jetzt schneller erreicht werden, – bei ohnehin zu wenig und stark ausgelaugt­em Personal. „ Jede Welle erwischt uns mit volleren UCIs der Wellen zuvor“, beklagt Ricard Ferrer, Chefarzt der Intensivme­dizin im Hospital Vall d’Hebron von Barcelona.

Variatione­n zu Varianten

Hinzu kommt die Ungewisshe­it über die Aggressivi­tät der vagabundie­renden Mutationen. Spanien hinkt der Detektion der Varianten hinterher, obwohl die EU seit Monaten darauf hinweist, dass man hier nachrüsten müsse. Fernando Simón, Chef des sanitären Krisenstab­es der Regierung, erklärte am Dienstag, dass „ die britische Variante mittlerwei­le unsere ist“, drei von vier Fällen in Spanien gingen bereits auf sie zurück.

Zwar sei diese Version B.1.1.7. ansteckend­er als der Urvirus, aber

„ sie hat auch einen Vorteil, denn sie lässt den weit gefährlich­eren südafrikan­ischen und brasiliani­schen Varianten weniger Raum“, so Simón. Zudem wirkten die vorhandene­n Imfpstoffe gut gegen die britische, aber „ wahrschein­lich nicht so gut“gegen die anderen.

Hinsichtli­ch der Impfungen gibt es Anzeichen, dass der Rhythmus von einer Soleá in eine Bulería umschlägt, um im FlamencoJa­rgon zu sprechen. Allein in der Osterwoche fanden über drei Millionen Impfdosen den Weg nach Spanien, noch ohne die ausstehend­en Lieferunge­n von Johnson & Johnson. Die Altersgrup­pe der Ü80 ist bald durch, einige Regionen rufen bereits die Jahrgänge bis 1950 auf, während man „ essentiell­e“Gruppen auch jünger impfte – zumindest bis Mittwoch und mit AstraZenec­a.

Zehn bis 15 Prozent der Lehrer und Sicherheit­skräfte verweigert­en derzeit den für außergewöh­nliche Thrombosen unter Verdacht stehenden Impfstoff. Die EMA, die europäisch­e Medikament­enagentur, erklärte am Mittwoch einen „ möglichen Zusammenha­ng“zwischen der Impfung und Thrombosef­ällen, hält diese Ereignisse aber für verschwind­end gering. Spanien beschloss dennoch, AstraZenec­a nur noch Personen zwischen 60 und 65 Jahren zu verabreich­en. Damit stehen aber etliche jüngere Spanier mit nur einer Impfdosis da: Von den 2,1 Millionen, die bisher mit AstraZenec­a geimpft wurden, haben nur 97 schon beide Spritzen bekommen.

„Die britische Variante ist unsere Variante geworden – das hat auch Vorteile“

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Foto: Moncloa Regierungs­chef Sánchez überlasst das Management der Pandemie jetzt den Regionen. Auf Bewährung.

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