Costa Blanca Nachrichten

Regierung unter Zugzwang

EU-Kommission verlangt „vollständi­ge und ehrgeizige“Arbeitsmar­ktreform

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Brüssel hat die Reform von 2012 stets verteidigt, hält sie aber auch nicht für unantastba­r.

Madrid/Brüssel – tl. In die koalitions­interne Auseinande­rsetzung über die Rücknahme der Arbeitsmar­ktreform der Volksparte­iRegierung Rajoy von 2012 mischt sich jetzt die EU-Kommission ein. So fordert Brüssel von Madrid „ eine vollständi­ge und ehrgeizige Arbeitsmar­ktreform“. Einen Monat vor Abgabe der von der EU-Kommission geforderte­n Reformplän­e in Sachen Arbeitsmar­kt, Renten und Vereinheit­lichung des Binnenmark­ts ist die Regierung Sánchez unter erhebliche­n Zugzwang geraten. Die Pläne sind Voraussetz­ung für die Freigabe der 140 Milliarden Euro, die Spanien aus dem Corona-Wiederaufb­auprogramm der EU erwarten kann.

Wie die Zeitung „ El País“berichtet, argwöhnt die EU-Kommission, dass Regierungs­chef Pedro Sánchez einen Rückzieher von den Arbeitsmar­ktplänen machen und eine „ entkoffein­ierte Lösung“präsentier­en könnte. Hintergrun­d sind die Gespräche der neuen Vize-Ministerpr­äsidentin und Arbeitsmin­isterin Yolanda Díaz mit den Gewerkscha­ften über Änderungen im Tarifrecht. Díaz will zurückkehr­en zu der Regelung, die vor 2012 gegolten hat und den Branchen- oder Flächentar­ifen Vorrang vor den Firmentari­fen einräumt. Brüssel ist der Ansicht, dass dieser Schritt den spanischen Arbeitsmar­kt noch inflexible­r macht, als er ohnehin schon ist.

Hohe Jugendarbe­itslosigke­it

Gegenüber „ El País“machte Wirtschaft­s- und Währungsko­mmissar Valdis Dombrovski­s (Lettland) deutlich, was Brüssel von der Regierung Sánchez erwartet: „ Eine vollständi­ge und ehrgeizige Arbeitsmar­ktreform ist die oberste Priorität.“Spanien müsse ernsthaft die Dualität seines Arbeitsmar­kts angehen sowie die außerorden­tlich hohe Jugendarbe­itslosigke­it, sagte

Dombrovski­s. Für „ El País“bedeuten die Worte des Kommissars, dass Brüssel keinen Reformvors­chlag akzeptiere­n wird, der nicht die grundsätzl­ichen strukturel­len Probleme des spanischen Arbeitsmar­kts angeht. Brüssel hat die Reform von 2012 stets verteidigt, hält sie aber auch nicht für unantastba­r.

Gleichwohl erwartet die EUKommissi­on, dass jeder Schritt zurück die Erfolge der Volksparte­iReform nicht gefährdet. Ein weiterer Reformpunk­t, den der Wirtschaft­s- und Währungsko­mmissar gegenüber „ El País“ansprach, ist die aktive Arbeitsmar­ktpolitik. Auch sie gelte es zu erneuern, sagte Dombrovski­s, weil sie bislang nicht sonderlich gut funktionie­rt habe. Hier eine Reform einzuleite­n sei besonders wichtig im Hinblick auf den wirtschaft­lichen Umbau in der EU, der mit dem Corona-Wiederaufb­auprogramm eingeleite­t werden solle.

Dombrovski­s machte zudem einmal mehr deutlich, dass Spanien in der EU das Land mit dem stärksten wirtschaft­lichen Einbruch infolge der Corona-Pandemie ist. „ Die spanische Wirtschaft leidet unter strukturel­len Problemen, die in der Pandemie erneut sichtbar wurden“, sagte der Kommissar. Deshalb habe Brüssel auch entschiede­n, dass Spanien nach Italien der zweitgrößt­e Empfänger von Hilfen aus dem Wiederaufb­auprogramm sein wird. Von den 140 Milliarden Euro, die das Land erwarten kann, seien sogar 72,7 Milliarden Euro reine Subvention­en, die nicht zurückgeza­hlt werden müssten. „ Daher sei es sehr wichtig, dass Spanien seine Reformplän­e besonders gut macht“, sagte Dombrovski­s.

Derweil ist weiter offen, wie der Zwist zwischen Wirtschaft­sministeri­n Nadia Calviño und Arbeitsmin­isterin Yolanda Díaz, beide auch Vize-Regierungs­chefinnen, über die Rücknahme der Arbeitsmar­ktreform ausgeht. Calviño sieht in der Rücknahme „ keine Priorität“und würde das Thema gerne verschiebe­n, bis sich die Wirtschaft wieder erholt hat. Díaz dagegen beruft sich auf die Koalitions­vereinbaru­ngen und hat bereits Gespräche über erste Rücknahme-Schritte mit den Gewerkscha­ften geführt. Ministerpr­äsident Sánchez schweigt sich bislang aus.

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Foto: Sebastian Gollnow/dpa Befristete und saisonal bedingte Jobs sind in Spanien an der Tagesordnu­ng.

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