Dem Virus die Zähne ziehen
Spanien will sich mit eigenen Covid-Impfstoffen von Global Playern und EU-Bestellchaos abkoppeln
Madrid – mar. Spanien zieht aus dem EU-Desaster um die Beschaffung der Covid-Impfstoffe Konsequenzen und entwickelt, unter staatlicher Aufsicht, drei eigene Impfstoffe gegen das Coronavirus. Die Zulassung soll noch in diesem Jahr erfolgen. Die Forschungen finden unter den Fittichen des staatlichen CSIC, dem Consejo Superior de Investigaciones Científicas, statt, der mehrere hoch angesehene Institute und Labore betreibt. Denn: „ Wir brauchen mehr und bessere Impfstoffe“, auch wenn die erste Durchimpfung mit den verfügbaren Mitteln erreicht sei, und: „ wir wollen sie aus eigener, nationaler Produktion“, heißt es aus dem CSIC.
Drei Projekte in „ vorklinischer“Phase laufen in Spanien derzeit und dafür sind mehrere kluge Köpfe aus der Pensionierung in ihre früheren Labore zurückgekehrt. Labore übrigens, die nach der Finanzkrise im Rausch einer verfehlten Sparpolitik teilweise fast zu Tode geschrumpft wurden. Alle drei spanischen Vakzin-Projekte eint, dass sie nicht nur versuchen sollen, die Symptome der Covid-19-Erkrankung zu lindern und so schwere Verläufe und Todesfälle einzudämmen, sondern sie sollen „ die Übertragung des Virus durch geimpfte Personen unterbinden“.
Virus mit Spray entwaffnen
„ Sterilisierende Vakzine“nennen
die Forscher das. „ Wie es aussieht, können einige der Projekte noch dieses Jahr in die Produktionsphase“, zeigt sich das CSIC optimistisch und sogar das spanische Gesundheitsministerium publizierte bereits erste Aussichten auf einen nationalen, spanischen Impfstoff. Der erste Ansatz der Forscher ist
„ die Schaffung einer unbewaffneten Coronavirus-Kopie“, die das Immunsystem anregt, dem tatsächlichen Virus die Zähne zu ziehen, mit denen er die Zellen befallen
und sich vervielfachen kann. „ Der Virus kommt in den Körper, kommt aber nicht mehr raus“, ist also nicht mehr ansteckend. Und der Körper sorgt zudem dafür, dass er keinen Schaden anrichtet. Dazu wird unter anderem ein ImpfSpray getestet, weil die Forscher jene Antikörper zuerst aktivieren
wollen, die „ direkt in den Atem
wegen gebildet werden“– die erste Verteidigungslinie sozusagen. Außerdem können die Forscher aufgrund der Entwicklung bei ihren Präparaten bereits auf die bekannten Varianten des Virus reagieren.
Ein zweites Projekt, am Centro Nacional de Biotecnología (CNB), das auch dem CSIC untersteht, arbeitet an der Adaption des Vaccinia-Virus, das der Schlüssel für die Ausrottung der Pocken in den 1970-er Jahren war. Mariano Esteban und Juan García Arriaza vom CNB erläutern, dass sie einen geschwächtem Stamm des Virus mit der DNA des S-Proteins des Coronavirus manipuliert haben, was zwei Vorteile bringen soll: „ leichterer Zugang in die Zellen und dadurch eine höhere Stabilität“als die ARN-Impfstoffe (wie Pfizer), die der Zelle praktisch nur Montageanleitungen für die Abwehr liefern, nicht aber das Baumaterial selbst oder zumindest ein maßstabsgerechtes Modell. Das CNB konnte eine 100-prozentige Wirksamkeit ihrer Formel bei Mäusen nachweisen und „ noch im Frühjahr wollen wir mit den ersten Studien an Menschen beginnen“. Dabei geht man davon aus, dass eine einmalige Impfdosis genügt.
Synthetische DNA als Bauplan
Auch das dritte Projekt arbeitet mit manipulierten Zellen, einem „ synthetischen DNA-Strang als Einfallsgen für die Protein-Informationen des Sars-CoV-2“. Die Idee ist auch hier, die Proteine des Virus im Körper entstehen zu lassen, ohne dass sie Schaden anrichten können, sondern nur dafür, dass die Immunabwehr sie als Fremdkörper registriert und bekämpft.
Kommt dann das richtige, gefährliche Virus, ist der Körper vorbereitet und wird nicht überrascht. Bei den Impfstoffen aus synthetischer DNA kämen als große Vorteile neben der maximalen Effizienz noch hinzu, dass sie nicht ultratiefgefroren gelagert werden müssen – und dass man, laut den drei führenden Forscherinnen Mercedes Jiménez, Nuria Campillo und Matilde Cañelles, „ die Formel leicht auf Varianten anpassen kann“, das ginge
„ sogar innerhalb eines Monats“.
Die Covid-19-Impfstoffe von BioNTech Pifzer, Moderna und das medial geprügelte Oxford/AstraZeneca sind derzeit die gängigen in Europa und so auch in Spanien. Auch die Auslieferung des Single-ShotVakzins von Janssen (Johnson & Johnson) verzögert sich, nachdem die USA der EU wegen einiger Thrombose-Verdachtsfälle davon abrieten. Und schon stockt die spanische Impfkampagne wieder, obwohl die Vorfälle weit unter dem liegen, was bei alltäglichen Medikamenten als normal hingenommen wird.
In der internationalen „ Pipeline“warten derzeit das deutsche Curevac und das US-Vakzin Novavax. Ungarn impft bereits auch mit dem russischen „ Sputnik V“-Impfstoff, obwohl die EMA, die EU-Medikamentenagentur, das noch gar nicht zugelassen hat. Dahinter steht propagandistisches Kalkül. Auch in Söders Bayern und in Spanien gab es, von der Madrider Landeschefin und „ Querdenkerin“Isabel Díaz Ayuso, Überlegungen, Sputnik zu beschaffen, vor allem, weil ein PPnaher Geschäftsmann damit einen exklusiven Reibach machen wollte. Das chinesische Präparat Sinovac beäugt man aus globalstrategischen Überlegungen in Europa noch skeptischer, zumal dessen Wirksamkeit als relativ niedrig eingestuft wird.
Die bisher verfügbaren Impfstoffe haben die Schwäche, dass sie darauf ausgelegt sind, in erster Linie schwere Verläufe und Todesfälle zu Covid-19 signifikant zu reduzieren. Sie schaffen das, nach bisherigem Kenntnisstand bei zwischen 74 und 96 Prozent der Geimpften. Die Virulenz, also Übertragungsfähigkeit des Coronavirus von Geimpften auf andere zu verhindern, ist ein gewünschter, aber bis dato nur zweitrangiger Effekt, der noch zu wenig erforscht, aber wegen der Wandlungsfähigkeit des Virus von enormer Brisanz ist.
Das zweite Problem ist das Gebahren der Global Player, also die Beschaffungssicherheit. Wie erlebt, hat sich die EU von den Multis über den Tisch ziehen lassen, so dass ein großer Teil der ersten Produktionschargen nach Großbritannien, in die USA, nach Israel und an andere gute Zahler im Nahen Osten abwanderten und zu einer Verzögerung der Impfkampagne führten. Das ist auch deshalb skandalös, weil die EU den Impfherstellern etliche Milliarden Euro für die Beschleunigung der Forschungs- und Produktionsprozesse überwies, aber dann weder Zugriff auf die Patente, noch auf die Produktion durchsetzte.
Impfung den Multis entziehen
Einen strategisch so wichtigen Bereich wie die Pharmazie und speziell den Bereich der Immunologie in nationale Hände zu nehmen, scheint in der neoliberal dominierten Denkweise der europäischen Regierungen nicht vorgesehen, unabhängig davon, ob sie sich als konservativ oder sozialdemokratisch definieren.
Da eine Pandemie vom Schlage des Coronavirus, die in der Lage ist, unsere gesamten Gesellschaftsstrukturen zu erschüttern, aber aller Voraussicht nach kein singuläres Ereignis bleibt, sind solche Überlegungen weder „ kommunistisch“, noch
„ marktfeindlich“, sondern schlicht vernünftig. Spaniens Entwicklung eigener Impfstoffe in staatlichen Laboren könnte sich, wenn sie erfolgreich ist, in der Zukunft also auch für ganz Europa noch als weiser Schritt herausstellen.
Spaniens Ambitionen könnten sich für die gesamte EU einmal als Segen erweisen