Grüne Lunge erstickt
Katastrophaler Waldbrand: Flammen zerstören über 11.700 Hektar im Hinterland der Costa Blanca – Aufatmen nach Regen
Im Bürgerzentrum Espai Veïnal in Pego herrscht am Dienstag ein Kommen und Gehen. Auf Tischen stapeln sich Lebensmittel und Getränke, Menschen mit müden und besorgten Gesichtern sitzen in kleinen Grüppchen zusammen, „ aber solange wir alle gesund sind, ist es gut“, sagt Maribel Verger. Die Seniorin kommt aus Benirrama im Vall de Gallinera, so wie die meisten der Personen, die in Pego vorübergehend eine Notunterkunft gefunden haben, während das Land nahe ihrer Häuser von Flammen zerfressen wird. Am Mittwoch und Donnerstag dürfen sie schließlich in ihre Häuser zurückkehren, nachdem ein lang ersehnter Regen am Mittwochabend das Ende einer der schlimmsten Albträume an der nördlichen Costa Blanca einläutete.
11.700 Hektar Land wurden hier seit Samstagabend in einem Umkreis von 80 Kilometern durch einen verheerenden Waldbrand vernichtet (Stand Donnerstagmorgen). Es handelt sich, zusammen mit dem parallel fackelnden Waldbrand in Bejís (siehe Kasten), um die schlimmste Brandkatastrophe der vergangenen zehn Jahre in der Region Valencia. An einigen Tagen waren über 30 Löschhubschrauber und -flugzeuge sowie hunderte Einsatzkräfte damit beschäftigt, dem Feuer Herr zu werden. Nach dem Regen waren am Donnerstagmorgen zwar keine Flammen mehr zu sehen, aber das Gebiet wurde weiter kontrolliert, um möglichen neuen Brandherden zuvorzukommen. Bis
Redaktionsschluss war der Brand offiziell noch nicht stabilisiert oder unter Kontrolle.
„ In unserem Dorf wurden gerade die Fiestas gefeiert. Das Feuer wirkte so weit entfernt, wir haben uns wirklich sicher gefühlt“, berichtet am Dienstag aus der Notunterkunft in Pego die Engländerin Sally Whright aus dem Vall-deGallinera-Dorf Benialí mit Tränen in den Augen. Als die Aufforderung zur Evakuierung kam, habe sie in der Eile nur Zahnbürste und -pasta eingepackt, „ aber hier bekommen wir zu essen und zu trinken“, sagt sie dankbar. Um ihr Haus fürchte sie nicht, „ das steht mitten im Dorf“. Aber wie es rundherum aussehen wird, wenn sie zurück darf, mag sie sich nicht ausmalen.
„ Ich habe aus meiner Landhütte den Blitz im Vall d’Ebo einschlagen sehen“, erzählt Maribel Verger von dem Moment, als am Samstag gegen 21.40 Uhr der Waldbrand ausgelöst wurde, der das Hinterland in den kommenden Stunden und Tagen in ein Katastrophengebiet verwandeln sollte. In rasanter Geschwindigkeit eroberten die Flammen zunächst fast das gesamte Innere der nördlichen Marina Alta, wo neben Vall d’Ebo und den Bergen von Pego auch Vall de Laguar, Vall de Gallinera, Adsúbia, Vall d’Alcalá und Castell de Castells betroffen waren, und bahnten sich dann ihren Weg weiter Richtung der benachbarten Landkreise El Comtat und La Safor.
Hab und Gut zurücklassen
In den kommenden Stunden und Tagen mussten nach und nach immer mehr Dörfer und Häuser vorsorglich evakuiert werden – zunächst in der Marina Alta (Vall de Gallinera, Vall d’Alcalá, Teile Adsúbias, Pegos und Castell de Castells), dann auch in La Safor (eine Urbanisation in Villalonga) und El Comtat (Famorca, Facheca, Tollos, Margarida und Benimassot). Die Evakuierungen betrafen insgesamt rund 1.500 Anwohner. Personen sind offenbar nicht verletzt worden, Sachschäden wurden bisher nicht beziffert.
Neben der Notunterkunft in Pego wurde am Montag eine weitere in Muro de Alcoy eingerichtet. Zwar würden in Pegos Bürgerzentrum nur die wenigsten übernachten, da viele privat unterkämen, sagt Pilar Hernández vom Roten Kreuz, die den Ankömmlingen am Dienstag beratend zur Seite steht. „ Aber das hier ist ein Treffpunkt, an dem sie versorgt werden, Informationen erhalten und sich austauschen können.“Rund 120 Personen hätten dieses Angebot bisher in Anspruch genommen.
Gerade in Pego beobachtete man das Feuer, das in den Bergen hinter dem Ort immer wieder in
die Höhe schoss, mit großer Sorge, hatten die Bewohner doch bereits im Mai 2015 einen Feuer-Albtraum erlebt. Damals eine Katastrophe, erscheinen die seinerzeit 1.700 verbrannten Hektar heute fast als „ Feuerchen“. Doch die Erinnerung daran ist fest verankert und lässt die Gefühle von damals wieder hochkommen. „ Es sind Tage voller Traurigkeit und Ohnmacht, an denen wir sehen, wie das Feuer unsere geliebten Täler, Berge, Felder, Wege und Dörfer verwandelt“, schreibt „ Pego Viu“am Montag in den Sozialen Netzwerken. Der Freiwilligenverband hatte sich nach dem Brand von 2015 gegründet und ist seitdem aktiv dabei, die Berge sauberzuhalten, sie neu zu bepflanzen und Schafe für das Abgrasen von Brandschnei
sen zu betreuen. All das, um einer Wiederholung der Katastrophe von 2015 vorzubeugen.
Doch die klimatischen Bedingungen in der Nacht zum 14. August und an den Folgetagen waren einfach zu ideal für die Ausbreitung eines Waldbrandes: Starker und unberechenbarer Wind aus immer wieder wechselnden Richtungen, Temperaturen um die 40 Grad und extreme Trockenheit. Dazu ein gefährliche Cocktail aus den im Frühjahr gefallenen Regenmassen und der Hitze im Sommer, die die zuvor gewucherten Pflanzen in perfekten Zündstoff verwandelte.
Türen und Fenster zu
Dass extreme Brandgefahr bestand, war bekannt. Naturparks wie Montgó, Marjal oder Peñón de
Ifach hatte die Landesregierung vorsorglich für das Wochenende schließen lassen. Dem Vall d’Ebo, zwar kein Naturpark, aber trotzdem ein Naturparadies, half das nicht. Der Blitz suchte sich seinen Weg – und stieß auf fruchtbaren Boden.
Trotz des unermüdlichen Einsatzes von Feuerwehrkräften sowie Soldaten der militärischen Notfalleinheit UME wurde bereits bis Sonntagabend mit 3.500 Hektar die hier 2015 abgefackelte Fläche verdoppelt. In den folgenden Tagen tauchte das Feuer einen großen Teil der Costa Blanca je nach Windrichtung unter eine Glocke aus Qualm oder in ein unheimlich anmutendes gelbes Licht. Bewohner der betroffenen Gebiete, die noch nicht ihre Häuser verlassen mussten, wurden aufgefordert, Tü
ren und Fenster geschlossen zu halten und nur mit Atemschutzmaske rauszugehen. Bis Montagabend wurden aus den 3.500 Hektar 9.500, Zugangsstraßen wurden gesperrt, die Flammen schlugen Richtung La Safor und El Comtat aus und rückten immer bedrohlicher an Castell de Castells heran.
Kampf gegen Feuerwolken
Die auch aus angrenzenden Regionen und vom Innenministerium eingesetzten Feuerwehrkräfte hatten nicht nur mit den widrigen klimatischen Bedingungen zu kämpfen, sondern auch mit sogenannten Feuerwolken, wie der Sprecher der Provinzfeuerwehr, Pepe Cerdà, erklärte – vertikale Wolken, die die Richtung des Feuers unvorhersehbar machen, neue Brandherde auslösen und eigentlich eher bei Vulkanausbrüchen zu beobachten sind.
Eine Unvorhersehbarkeit, die sich auch in Pego zeigte. „ Eigentlich hatten wir gedacht, dass der Albtraum heute endet“, schrieb das Rathaus am späten Dienstagabend, nachdem sich die Flammen gefährlich nah einigen Häusern im zuvor evakuierten Verdales-und Ambra-Gebiet genähert hatten. „ Stattdessen hat sich die Lage verkompliziert. Das Feuer ist dem Ortskern sehr nahe gekommen, aber die Feuerwehrleute konnten wieder mal ein größeres Unglück verhindern.“Am Abend noch undenkbar, standen die Häuser am nächsten Morgen heil da. „ Mir fehlen die Worte, um den Einsatzkräften zu danken“, kommentierte ein Anwohner auf Facebook, wo die „ Bomberos“als Helden gefeiert wurden.
Nach erneut ungewissen Stunden am Mittwoch, an dem sich das Feuer bedrohlich Richtung Vall de Laguar, Fontilles, Orba und Tormos ausbreitete, wurden die ersten Regentropfen, die am Mittwochnachmittag über dem Brandgebiet fielen, geradezu euphorisch bejubelt. Nachdem am Abend in Pego 40 Liter gefallen waren, sah die Welt am Donnerstagmorgen schon ganz anders aus. Die Flammen seien zwar in der Nacht noch kurz in Benimassot aufgelodert, aber auch dieser Brandherd sei wieder unter Kontrolle, twitterte der Notdienst 112 am frühen Morgen. Der Umkreis des Feuers sei nach den Regenfällen stabiler. „ In diesem Moment gibt es an keiner Front Flammen.“Zweifelsohne die beste Neuigkeit seit Samstagnacht.
Wann der katastrophale Waldbrand komplett gelöscht sein wird und wie es danach weitergeht, stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest. Man werde Maßnahmen in Gang setzen, um das Gebiet neu zu beleben, versprach Landesministerpräsident Ximo Puig. Keine leichte Aufgabe, war doch die Gegend schon vor dieser Katastrophe praktisch vom Aussterben bedroht. Jetzt verliert sie mit ihrer wertvollen Naturlandschaft, die Jahre brauchen wird, bis sie sich erholt, vorübergehend auch noch ihren wichtigsten Anziehungspunkt für den wohl einzigen Sektor, der hier noch funktionierte: den Tourismus. „ Wir sind ruiniert“, fasst es José Ramón Gascó aus dem Vall de Gallinera zusammen, als er in Pegos Notunterkunft aufs seine Rückkehr nach Hause wartet. Und spricht damit für das gesamte Hinterland.