Costa Blanca Nachrichten

Erinnerung­en in der Abendkühle

Tomar la Fresca heißt in Spanien der alte Brauch, am Abend mit Nachbarn einen Plausch zu halten

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La Xara – se. Wenn die Sonne untergeht, nehmen Maruja und Pepita zwei alte Plastikstü­hle und setzen sich vor ihre Häuschen im Dörfchen La Xara bei Dénia. Die Touristen legen sich tagsüber in die Sonne, die beiden über 80-Jährigen setzen sich abends in die Kühle – Tomar la fresca nennt man diesen Brauch, der früher in ganz Spanien verbreitet war. Die Frauen schütteten bei Sonnenunte­rgang einen Eimer Wasser vors Haus, und wenn der Boden abgekühlt und wieder trocken war, setzen sich die Leute in La Xara zusammen und plauderten. Heute sind nur noch Maruja Costa und Pepita übrig.

Maruja ist eine starke Frau. Sie verlor ihren Mann an den Krebs und musste ihre vier Kinder alleine aufziehen. Und inzwischen sind auch zwei ihrer Söhne an Krebs gestorben. Die Spanierin wird langsam taub und geht an vielen Tagen am Stock. Trotzdem hat sie ihren trockenen Humor nicht verloren und zaubert jedem, den sie trifft, mit ihren Scherzen ein Lächeln ins Gesicht.

Pepita kann kaum noch aufrecht sitzen und sieht nicht mehr gut, trotzdem plaudert sie fröhlich mit jedem, der vorbeikomm­t. „ Maruja ist ein Gorilla“, verrät sie mir und meiner Tochter. „ Wisst ihr, diese Männer, die Touristen am Strand in die Parkplätze einweisen und dafür ein kleines Trinkgeld bekommen.“

Gorilla in der Autoflut

Sie mache den Autos, die vorbeikomm­en Zeichen, wo sie parken können, stimmt Maruja zu. Das sei auch dringend notwendig, sagen die beiden. Heutzutage hätten manche Familien bis zu drei Autos und der Platz vor ihren Häusern reiche nicht aus.

„ Wie geht es deinem Mann?“,

fragt mich Maruja. „ Bist Du überhaupt noch mit ihm zusammen?“Als ich sie erstaunt anblicke, sagt sie. „ Heutzutage ziehen die Leute ja zusammen, heiraten, trennen sich...“

„ In den Familien redet man ja auch nicht mehr miteinande­r“, fügt Pepita hinzu. „ Jeder tippt in sein Gerät, der eine im Wohnzimmer, der andere in der Küche, der andere im Kinderzimm­er.“Maruja gesteht, dass sie oft mit ihrem Mann gestritten hat. „ Er sagte es ist weiß, ich sagte es ist schwarz. Aber wenigstens haben wir miteinande­r geredet.“

Auch Kinder hätten Paare heute kaum mehr, höchstens eins oder zwei. „ Die Leute möchten ihre

Freiheit und Fiesta haben, bis sie weit über 30 sind“, meint Maruja. Pepita ist da anderer Meinung. „ Kinder kann man sich ja heutzutage kaum noch leisten. Die Frauen müssen arbeiten und vor 20 Jahren hat der Kindergart­en hier im Dorf 60 Euro gekostet, heute sind es fast 200.“

„ Früher hat keiner daran gedacht, ob er das Brot für seine Kinder auf den Tisch bringt“, kontert Maruja. „ Wir haben einfach geheiratet und es kamen so viele wie eben kamen.“Sie zeigt auf die zerfetzten Jeans, die meine Tochter anhat. „ Meine Enkel haben auch solche. Früher liefen viele hier so herum, aber nicht freiwillig. Die Mütter flickten ständig und manche wuschen die Hosen und Hemden der Kinder jede Nacht, weil sie nur diese hatten.“

Zerfetzte Hosen

„In den Familien redet man ja nicht mehr miteinande­r“

Pepita nickt zustimmend und meint dann: „ Die Leute mussten ja auch viele Kinder haben, denn es gab ja keine Rente. Meine Großeltern haben keine bekommen. Jedes ihrer Kinder gab ihnen eben ein bisschen Geld jeden Monat, als sie alt wurden.“

Eine leichte Brise streicht durch die Dorfstraße. In La Xara weht immer ein bisschen Wind. Früher nutzten viele Nachbarn die Kühle des Abends, tauschten Neuigkeite­n aus und schwelgten in Erinnerung­en. Heute sitzen nur noch Maruja und Pepita beisammen, die sich die Laune aber nicht verderben lassen. „ Wir werden immer weniger“, sagt Maruja lächelnd. „ Schaut, hier in diesem Nachbarhau­s wohnt keiner mehr. Die Frau wurde Witwe und ist in ein Seniorenhe­im gezogen. Wir werden alt, unsere Enkelkinde­r wachsen, wir dagegen werden jedes Jahr ein bisschen kleiner.“

Doch noch bleiben den beiden kleine Freuden, wie der Plausch in der Abendkühle. „ Wir müssen uns einfach etwas raussetzen“, sagt Pepita. „ Diese Hitze und den ganzen Tag surrt der Ventilator. Das ist ja nicht auszuhalte­n.“

Aber sie säßen nur bis 23 Uhr hier, sagt Maruja. „ Dann müssen wir reingehen, sonst werfen die Leute mit Steinen nach uns, um uns zu vertreiben“, scherzt sie. In dieser Straße wohnten viele Handwerker und Arbeiter, die sehr früh aufstehen müssen und nachts ihre Ruhe wollen.

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Foto: Laura Gil Die Seniorinne­n genießen die kleinen Freuden.

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