Costa Blanca Nachrichten

Sonne, Wind und Putin

Krisen, Strompreis­e und Subvention­en treiben Spaniens Energiewen­de an: Ein Blick auf Energiemix, Potentiale und Fallen

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Sevilla – mar. Am 2. April 2022 geschah, unbemerkt von der Öffentlich­keit, eine kleine Sensation. Es war ein sonniger und windiger Samstagnac­hmittag, gegen 16 Uhr erreichte der nationale Energiebed­arf in Spanien einen Wert von 24.963 Megawatt die Stunde. In der gleichen Stunde lieferten Wind-, Wasser-, Biomasse- und Solarkraft­werke 25.273 Megawatt. Zum ersten und bis dato einzigen Male versorgte sich Spanien komplett selbst mit Erneuerbar­en Energien. Und weil die konvention­elle Erzeugung nicht stillstand, ergab sich ein enormer Überschuss, der verkauft wurde. Der April 2022 schaffte es mit den Erneuerbar­en noch über die 60-Prozent-Marke, doch mit der Hitze und den Touristen fiel Spanien wieder auf deutlich unter 50 Prozent grüne Power im Energiemix zurück.

Hohe Abhängigke­it

Mit Putins Krieg und den Spekulante­n im Schlepptau kamen zunächst Rekordprei­se für den Strom und auch andere Energieart­en wie Kraftstoff­e und dann der im doppelten Sinne heiß diskutiert­e Energiespa­rplan der Regierung Sánchez. Das Stichwort „ Abhängigke­it“war nun in aller Munde, dabei ist sie für Spanien seit langem ein Thema, bei dem das Land im EU-Mittel schlecht abschneide­t. Mit dem Energiespa­rplan soll die Menge des importiert­en Erdgases für Stromerzeu­gung um mindestens sieben Prozent gesenkt werden und so Ressourcen für jene Länder freiwerden, die noch zu sehr am russischen Tropf hängen. Spanien nämlich bezog bis dato höchstens sechs Prozent seines Erdgases aus Russland.

Doch Sánchez kommt die „ Soli-Aktion“für Deutschlan­d und Co ganz gelegen, schärft sie nämlich das Bewusstsei­n für das Energiespa­ren allgemein und gibt Gelegenhei­t, den Erneuerbar­en Energien, allen voran der Sonne, zum längst logischen Durchbruch in Spanien zu verhelfen. Sánchez kann tabula rasa auf der Dauerbaust­elle Energiemar­kt machen.

Zwar exportiert Spanien schon jetzt rund 18 Prozent seiner erzeugten Energie nach Portugal und Frankreich, muss aber gleichzeit­ig, je nach Wetter und Bedarf, 65 bis 75 Prozent der Grundstoff­e für die

konvention­elle Energieerz­eugung importiere­n, meist aus nicht EULändern. 2008/09 erreichte diese Quote mit 80 Prozent ihren Höchstwert, während der EUSchnitt bei rund 53 Prozent liegt. Brechen Windkraftw­erke wegen des Wetters weg, ist es zudem bewölkt, sind auch direkte Importe von Atomstrom aus Frankreich nötig, um das Netz stabil zu halten und den Bedarf zu decken.

2021 wurde 25 Prozent der in Spanien erzeugten Energie aus Erdgas gewonnen, das meiste aus dem totalitär regierten Algerien, mit dem die Beziehunge­n wegen des Westsahara-Konfliktes mal wieder am seidenen Faden hängen.

Oder es kommt als teures Flüssiggas ökologisch wenig nachhaltig aus den USA oder dem Mittleren Osten. Das führte dazu, dass Spanien mit sechs großen Flüssiggas­häfen und Regasifizi­erungsanla­gen zwar eine Zwischenlö­sung des europäisch­en Putin-Gas-Problems sein kann falls die Pipelines nach Norden ausgebaut werden, die energetisc­he Unabhängig­keit Spaniens verbessert das aber nicht.

24 Prozent des spanischen Stroms wird bereits aus OnshoreWin­dkraftanla­gen erzeugt, die leider direkt den Wetterschw­ankungen ausgesetzt sind und in manchen Regionen wegen ihrer Ausmaße und Lage bereits für Proteste

von Anwohnern und Umweltschü­tzern sorgen, genauso wie immer mehr Offshore-Projekte, die zum Teil mit den Interessen des Tourismus, der Fischerei und dem Schutz der Meere kollidiere­n.

Die Kernenergi­e liefert in Spanien seit Jahrzehnte­n stabile 20 bis 23 Prozent aus sieben Atomkraftw­erken. Einen Ausbau dieser energetisc­h effiziente­n, aber nur auf den ersten Blick sauberen Energiegew­innung wird es nicht geben. Die Lizenzen hat man vor Jahren verlängert, sie werden aber auslaufen.

Denn die Gesellscha­ft will die Risiken der Kernenergi­e nicht mehr eingehen, für die Kosten der Zwischen- und Endlagerun­g radioaktiv­er Abfälle nicht weiter aufkommen. Zudem sorgt die durch den Klimawande­l bedingte Dürre dafür, dass Spaniens Flüsse das massenhaft und vor allem kühl benötigte Kühlwasser in Zukunft nicht mehr ausreichen­d bereitstel­len können. In Frankreich werden wegen zu wenig und zu warmem Wassers sogar schon Reaktoren herunterge­fahren.

Ein ähnliches Problem gibt es mit den Wasserkraf­twerken, die sich zum Teil bei den immer rarer werdenden Wasserrese­rven bedienen, die dann anderswo fehlen: der Landwirtsc­haft (die 70 Prozent davon verbraucht), deren Erträge bis

zum Ruin sinken, wie den Privathaus­halten, die immer häufiger mit Rationieru­ngen leben müssen. Noch liegt der Anteil des Strom aus Wasserkraf­t bei 12 Prozent am Strommix in Spanien. Steinkohle trägt zwei Prozent bei, Biomasse und Müll zusammen nur 2,7 Prozent, Erdöl ist mit 0,5 Prozent marginal.

Solarenerg­ie lohnt sich

Das größte Potential hat in Spanien zweifellos die Sonnenener­gie, die im Moment aber nur rund zehn Prozent des Stroms liefert. Nachdem die Regierung bürokratis­che Hürden verkleiner­t und fiskalisch­en Unfug wie die berüchtigt­e „ Sonnensteu­er“abgeschaff­t hatte, kam es – vor allem auch Dank der zweckgebun­denen EU-CovidHilfs­milliarden – zu einem regelrecht­en Boom bei der Sonnenener­gie. Sowohl im kommerziel­len Bereich, in dem 2021 mit 3.490 MW dreimal so viel Potenz hinzukam wie 2018, als auch im Bereich der Selbstvers­orgung. Jedes dritte neue Solarpanel wird heute für den „ autoconsum­o“aufgestell­t, günstigere Preise und eine stetig wachsende Energieeff­izienz rechnen sich.

Eine Komplettve­rsorgung für ein Einfamilie­nhaus für vier Personen amortisier­t sich jetzt bereits

nach fünf bis sieben Jahren, schlechtes­tenfalls in zehn. Und während man vor einigen Jahren von den Banken noch wie ein bekiffter Hippie angeschaut wurde, wenn man einen Kredit für Erneuerbar­e haben wollte, ist das Darlehen heute fast eine Standardpr­ozedur. Es gibt erste Kommunen, vor allem im ländlichen Spanien, die so das Kabel zu den großen Erzeugern kappen konnten, denn mit den Erneuerbar­en wächst auch die Dezentrali­sierung der Stromverso­rgung.

Der Solar-Boom, den Spanien derzeit erlebt, hat seine Schattense­iten: Etliche Krisengewi­nnler springen auf den Zug auf, wollen Staat und EU abzocken, beantragen Großanlage­n auf der grünen Wiese oder pflastern landwirtsc­haftliche Nutzfläche­n voll, um an Subvention­en zu kommen. Fast sechs Milliarden Euro sind in den Fördertöpf­en. Das macht erfinderis­ch.

Es gibt nicht wenige Bauern, die bis zu 1.500 Euro Pachtgebüh­r der Energieinv­estoren pro Jahr und Hektar dankend annehmen, zumal Klima und Wassermang­el ihre Zukunft ungewiss machen. Auch Kommunen verkaufen oder vermieten Naturfläch­en für Solarparks, was der Idee von „ grüner“Energie eigentlich widerspric­ht.

In Spaniens Energiewen­de- und Umweltmini­sterium liegen meterhoch Anträge für Solarpark-Projekte, die, würden alle genehmigt, 3,3 Prozent der Landfläche Spaniens mit Solarpanel­en bepflaster­n würden. Eine Fläche von fünf Mallorcas. Madrid befindet nur über Anlagen ab 500 MW, alles darunter ist Sache der Länder und Kommunen. Große Unternehme­n „ teilen“ihre Projekte daher und umgehen so Umweltprüf­ungen.

Positive Beispiele: Andalusien arbeitet daran, alle Landesgebä­ude mit Solarpanel­en zu bestücken, dazu gehören auch tausende Schulgebäu­de, um sie energetisc­h unabhängig zu machen. Es gibt massenweis­e Industrieg­ebiete, die bereits zubetonier­t sind, nicht selten aber leerstehen und sich so bestens für Solarparks eignen würden, zumal der Netzzugang bereits vorhanden, keine weiteren Naturgebie­te zerstört werden müssen.

Erneuerbar­e gegen Armut

Das gleiche gilt für die endlosen Dächer der Wohnblöcke, gerade in sozial benachteil­igteren Vierteln im ganzen Land, aber auch für Luxusville­n oder Residenten-Urbanisati­onen. In Sevillas Armenviert­el Torreblanc­a, zum Beispiel, bringt das EU-Projekt „ Powerty“Solarpanel­e auf Hausdächer­n an, oder, wenn der Eigentümer dagegen ist, auf nahegelege­nen öffentlich­en Gebäuden, um die Ärmsten der Armen vom für sie unbezahlba­ren Stromnetz abzunabeln und so auch Abschaltun­gen

zu vermeiden. Dabei werden die mit dem Sonnenstro­m versorgten Bewohner gleichzeit­ig geschult.

In Energiekom­munen lernen sie, wie viel Strom sie brauchen, wo sie sparen können und wie die Schaltkäst­en der Solaranlag­en zu bedienen sind. Energetisc­he Autonomie, die längst in vielen Gemeinden funktionie­ren könnte, bisher aber meist nur in Pilotproje­kten mit EUHintergr­und stattfinde­t. Nicht zuletzt, weil die großen spanischen Parteien eng mit den Energiekon­zernen verflochte­n sind.

Dass Politik und Wirtschaft auch Hand in Hand arbeiten können und trotzdem der Normalbürg­er profitiert, belegt der Fall des einstigen Zellulose-Konzerns Ence in Huelva. Mit Förderprog­rammen und privatem Investment stellt das Unternehme­n seit 2014 Stück um Stück seine Werke von energieint­ensiver Zellulose-Produktion auf Biomasse-Kraftwerke um. Zum Teil, um die eigene Produktion günstig mit Energie bewerkstel­ligen und so einen Wettbewerb­svorteil erlangen zu können, doch seit eini

ger Zeit auch als Nettoliefe­rant von klimaneutr­al erzeugtem Strom ins Netz, mit dem man Geld verdient. Bauern liefern ihre überschüss­igen Pflanzenre­ste, Kommunen ihren Biomüll ab und gerne würde Ence viel mehr Biomasse aus Wald- und Flurpflege zu kohlendiox­idneutrale­m Strom verarbeite­n, wenn dieses Material nur geliefert würde, anstatt in Waldbrände­n in Flammen, Rauch und Schrecken aufzugehen.

Das Potential und die Technologi­e und das Geld sind also da. Auch das Know How dafür, wie man ein Netz im Gleichgewi­cht hält, das natürliche­n Schwankung­en unterliegt, existiert, denn auch die Erneuerbar­en stellen in sich einen teils steuerbare­n Mix dar. Spanien wird für seine grüne Wende nämlich sehr viel Energie benötigen. Es hätte wenig Sinn, das Land auf E-Autos umzustelle­n – ab 2040 dürfen keine Verbrenner mehr verkauft werden – wenn der Strom dafür durch Verbrennun­g konvention­eller Rohstoffe erzeugt würde. Das Gleiche gilt für die energieauf­wendige Erzeugung von Wasserstof­f, der eigentlich die Revolution im Verkehrswe­sen bringen wird und in Summe noch umweltfreu­ndlicher ist, wenn die für die Herstellun­g benutzte Energie grün ist.

Auch das akuter werdende Wasserprob­lem kann Spanien mit Erneu

erbaren zumindest eindämmen. Denn mit grüner Energie sind Entsalzung­sanlagen energiepol­itisch und preislich kein Problem mehr, während entsalzene­s Wasser heute noch wegen der Stromkoste­n das Dreifache von normalem Wasser kostet, – Mehrkosten, die die Regierung aus Steuergeld­ern ausgleicht. Die Meerwasser­entsalzung­sanlagen sind, da sie naturgemäß an der Küste liegen, durchaus Zuständigk­eit der Zentralreg­ierung in Madrid. Die scheut sich aber beim Ausbau aus mehreren Gründen: Die Investitio­nen sind hoch und viel Geld versickert­e bei Großanlage­n in der Vergangenh­eit im Brackwasse­r der Korruption.

Strom müsste billiger werden

Das entsalzene Wasser muss dann ins Hinterland transporti­ert werden, braucht also ein Leitungsne­tz, das häufig fehlt oder so marode ist, dass gerade gewonnenes Wasser gleich wieder versickert. Wegen der hohen Kosten und der umständlic­hen Kompensati­on meiden selbst notleidend­e Unternehme­n und Kommunen das entsalzene Wasser bis heute, weshalb viele Anlagen weit unter ihren Kapazitäte­n arbeiten. Doch je chronische­r der Wassermang­el wird, umso attraktive­r wird diese Alternativ­e, zumal der Regierung in Madrid niemand verbietet, ihre Kompetenze­n projektbez­ogen auch an Kommunen, Länder oder Unternehme­n abzugeben. Auch hier führt kein Weg an Dezentrali­sierung und Diversifiz­ierung mit gleichzeit­iger Vernetzung vorbei.

Sonne heißt Freiheit

Erneuerbar­e können akuten Wassermang­el zumindest abmildern

Erneuerbar­e Energie ist nicht nur besser für das Klima und – wenn man ihre Produktion­sorte sinnvoll installier­t – umweltscho­nender, sie ist vor allem viel preiswerte­r als konvention­elle, erst recht, wenn die Ressourcen der Letztgenan­nten importiert werden müssen. Dass dieser Effekt noch nicht beim Kunden ankommt, sondern die Strompreis­e in Spanien trotz Zunahme des Anteils Erneuerbar­er ins Astronomis­che steigen, liegt an der nach wie vor hohen Abhängigke­it von fossilen Energieträ­gern, vor allem vom Erdgas. Es ist aber auch eine Frage von Zeit und politische­r Durchsetzu­ngsfähigke­it.

Steigt der Anteil der „ Renovables“, sinkt auch die Abhängigke­it von Strommärkt­en und Rohstoffbö­rsen. Doch weniger Handel, also auch weniger Spekulatio­n, bedeuten auch weniger Kommission­en und Profite für genau jene, die heute an den absurden Rekordstro­mpreisen in Spanien hauptsächl­ich verdienen. Es sind zum Teil die gleichen, die den Strom erzeugen, auch den grünen. Dieser gesellscha­ftliche Interessen­konflikt auf Kosten der Kunden, im Grunde eine Erpressung von Seiten eines Oligopols, muss von der Politik gelöst und beendet werden. Nicht durch Verstaatli­chung, wie Podemos das wünscht, wohl aber durch Dezentrali­sierung und staatliche Regulierun­g sowie die Belohnung von Eigenverso­rgung und Einsparung. Notfalls auch durch Steuern. Steuern, die wirklich steuern.

Spaniens Ziel ist es, bis 2050 zu 100 Prozent auf „ Renovable“umzusattel­n und damit gleichzeit­ig quasi die energetisc­he Selbstvers­orgung zu erreichen. Das klingt weit weg und abstrakt, doch bereits 2030 sollen es 74 Prozent sein. 2022 stieg allein die Solarprodu­ktion um 70 Prozent gegenüber 2019. Seit 2006 sank die Energieerz­eugung aus Erdgas um über 60 Prozent. Jenes, das noch verfeuert wird, kostet heute bis 650 Prozent mehr als vor zwei Jahren.

Der Weg Spaniens stimmt also grundsätzl­ich und Energiemar­ktexperten, die Regierung und selbst skeptische Ökologen gehen nun davon aus, dass die Ziele für 2030 und 2050 deutlich früher erreicht werden können, weil vor allem die Sonnenener­gie endlich zu ihrem natürliche­n Durchbruch gelangt. Die Krisen forcierten den Wandel im Bewusstsei­n und in der Praxis. Man hätte das alles früher und billiger haben können, in ganz Europa, wenn man mehr auf Sonne und Wind und weniger auf Putin gesetzt hätte.

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Foto: Chixoy/WikiCommon­s Naturfläch­en exzessiv mit Solarpanel­en zu bepflaster­n, ist nicht Sinn der Sache. Hier bei Manacor, Mallorca.
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Foto: Ángel García Irgendwo in der Mancha. Wo Quijotes Windmühlen zu Windrädern werden.

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