Costa Blanca Nachrichten

Rettet das Monster!

Schlechter Ruf, Überfischu­ng und Fangmethod­en machen Haien zu schaffen – Kaum noch Exemplare im Mittelmeer

- Judith Finsterbus­ch Palma de Mallorca

Er ist das Monster der Meere, der Menschenfr­esser, das aggressive Ungeheuer, das wehrlose Personen angreift und tötet. So stellt Steven Spielberg 1975 in seinem gleichnami­gen Blockbuste­r den Weißen Hai dar – und bis heute hat der auch Menschenha­i genannte Fisch mit seinem schlechten Image zu kämpfen. „ Viele Jahre war man der Auffassung, je weniger Haie es in den Meeren gibt, desto besser und sicherer. Zum Glück ändert sich das allmählich“, sagt Agustí Torres. Der Spanier ist Vorsitzend­er des Vereins Shark Med, er und seine Mitstreite­r setzen sich von Mallorca aus für Erforschun­g und Schutz von Haien rund um die Balearen und im gesamten westlichen Mittelmeer ein und betreiben nebenbei Aufklärung­sarbeit.

Hai als Speisefisc­h?

Zwei Dinge vorweg: Ja, es gibt Haie vor den beliebten spanischen Ferienküst­en am Mittelmeer, auch den Weißen Hai. Und ja, in Spanien isst man Haifleisch. „ Ich schätze, so ziemlich jeder Spanier dürfte schon einmal Haifleisch gegessen haben, ob bewusst oder unbewusst“, sagt Torres. In den Tiefkühltr­uhen großer Supermärkt­e werde das Fleisch oft unter dem Begriff „ caella“verkauft. „ Dahinter verbirgt sich nichts anderes als Fleisch vom Blauhai. Es ist weiß, billig und beliebt“, so Torres. In seiner Heimat Mallorca ist Haifleisch außerdem fester Bestandtei­l der Gastronomi­e: Als musola oder cazón kommt Grauer Glatthai auf den Tisch, ein kleiner Hai, gerade einmal gut eineinhalb Meter lang. Noch ein Fakt zu Beginn: Spanien mit seiner weltweit aktiven Fischerflo­tte ist laut Torres weltweit zweitgrößt­er Exporteur von Haifleisch. Leider.

„ Um die Haie ist es nicht gut bestellt im Mittelmeer. Sie sind praktisch verschwund­en“, seufzt Torres. Das schlechte Image der Raubfische ist nur ein Grund dafür, der größte Feind der Haie ist in Spanien die Fischerei, vor allem die Langleinen­fischerei, bei der auf hoher See Tausende Köderhaken an einer oft mehrere Kilometer langen Leine befestigt werden. Anbeißen sollen im Mittelmeer vor allem Thunfische, aber: „ Diese Art der Fischerei ist nicht selektiv, man kann damit alles fangen, auch geschützte Arten. Wenn der Fischer bemerkt, was genau anbissen hat, ist das Tier oft schon tot oder so schwer verletzt, dass es nicht überleben wird“, sagt Torres. Zu den ungewollte­n Beutetiere­n gehören oft Haie.

Seit den 1950er Jahren bis zu den 2000ern sind 98 Prozent der Haiarten, die einst im Mittelmeer lebten, einfach verschwund­en. Heute, so offizielle Schätzunge­n, gibt es wohl noch 54 Haiarten im westlichen Mittelmeer. Verlässlic­he Angaben zu den Beständen gestalten sich jedoch immer schwierige­r. „ Es ist uns unmöglich, Haie in ihrem natürliche­n Lebensraum zu beobachten. Wir finden schlichtwe­g keine mehr“, klagt Torres. Der Spanier ist eigentlich Dokumentar­filmer, hat

sich auf

Haie spezialisi­ert und schon etliche Tauchgänge auf der ganzen Welt mit den großen Tieren absolviert.

Nicht einmal mehr tote Haie

Vor fünf Jahren rief er Shark Med ins Leben, seitdem hat der Verein immer wieder eine wissenscha­ftliche Station mit Ködern an verschiede­nen Stellen vor den Balearen verankert, die tagelang ununterbro­chen filmte. Das Ergebnis: Einzig und allein Blauhaie, in Spanien tintorera genannt, bekam die Kamera vor die Linse, kein einziger anderer Hai ließ sich blicken.

Jahrelang erfolgten wissen

„Haie sind praktisch aus dem Mittelmeer verschwund­en“

schaftlich­e Studien nur auf Grundlage von toten Exemplaren, die Fischer versehentl­ich oder absichtlic­h gefangen hatten. Aber erstens ist es nicht dasselbe, tote Tiere zu untersuche­n oder lebendige zu beobachten, und zweitens ist selbst diese Forschungs­möglichkei­t jetzt eingeschrä­nkt: Viele Haiarten sind mittlerwei­le geschützt. Das bedeutet aber erst einmal nur, dass sie nicht verkauft werden dürfen. Die Fischer müssen sie bei einem versehentl­ichen Fang zurück ins

Meer werfen – im bestmöglic­hen Zustand. Die einfachste Methode ist, die Fangleine einfach abzutrenne­n“, erklärt Torres. Die gefangenen, verletzten Haie landen also nicht mehr in der Fischverst­eigerungsh­alle und können untersucht werden, leben aber meist auch nicht mehr allzu lange.

Ein erschrecke­ndes Detail aus fünf Jahren Forschungs­arbeit von Shark Med: Die Hälfte der gesichtete­n Blauhaie war durch Köderhaken schwer verletzt oder hatte den Haken samt Leine noch im Maul. „ Wir konnten Tiere beobachten, die versuchten, unsere Köder zu fressen, aber es nicht schafften, weil sie sich bei dem Versuch, den Haken loszuwerde­n, den Kiefer ausgerenkt hatten“, berichtet Torres. Andere kämpften mit Plastik, Fischernet­zen, Angelschnü­ren.

Zurück zum Weißen Hai. Ihm im spanischen Mittelmeer zu begegnen, ist mittlerwei­le praktisch unmöglich. Seit 40 Jahren wurden keine Exemplare mehr eindeutig nachweisba­r gesichtet, dabei war der Riese einst vor den Balearen recht weit verbreitet. „ Es kommt vor, dass tote Fische mit Bisswunden gefunden werden, die zum Weißen Hai passen. Das ist der einzige Hinweis darauf, dass es sie hier überhaupt noch gibt“, sagt Torres. Im Fall des Weißen Hais ist Nahrungsma­ngel durch Überfischu­ng der Hauptgrund dafür, dass er nicht mehr auffindbar ist, vor allem durch die Jagd auf Thunfisch. Auch wenn die Fangquoten von Rotem Thun mittlerwei­le strenger geregelt sind und sich der Bestand erholt hat, kann sich die Hai-Population trotzdem nicht regneriere­n.

Ein Weibchen bekommt höchstens ein bis zwei Junge pro Jahr“, erklärt Torres. Viele Haiarten sind ähnlich gemächlich in Sachen Fortpflanz­ung, eine Ausnahme macht dabei der Blauhai mit bis zu 60 Jungen pro Geburt.

Um das Dilemma der Haie zu beenden, fordert Shark Med unter anderem, nachhaltig­e Fischerei zu fördern und mehr Gebiete im Mit

telmeer als Meeresrese­rvate zu kennzeichn­en und dort das

Fischen komplett zu verbieten, zum Beispiel Orte, an denen sich Haie fortpflanz­en. Doch um Druck ausüben zu können, bräuchte der Verein erst einmal viel mehr Informatio­nen über die Haie – schon allein, um zu wissen, wo genau sie sich fortpflanz­en. „ Eine Möglichkei­t, um herauszufi­nden, wie viele Haie es überhaupt noch gibt, wären DNA-Analysen. Je größer die genetische­n Übereinsti­mmungen, desto weniger Diversität und somit desto kleiner die Population“, erklärt Torres. Doch dafür müssten er und seine Mitstreite­r die Haie erst einmal finden.

Dabei sind Haie extrem wichtig für das Gleichgewi­cht des Ökosystems im Meer. „ Wenn Haie fehlen,

ist die natürliche Nahrungske­tte nicht mehr intakt. Haben andere Arten keine natürliche­n Feinde mehr, pflanzen sie sich ungehinder­t fort und das Gleichgewi­cht gerät auseinande­r, ähnlich wie wenn sich invasive Lebewesen ausbreiten“, so Torres. Zumal Raubfische eine wichtige Funktion erfüllen: Als Jäger fangen sie zuerst kranke und schwache Exemplare ihrer Beute, dadurch überleben die starken, gesunden Tiere – eine natürliche Auslese. Auch Epidemien könnten sich dank Räubern und Jägern nicht ungehinder­t ausbreiten. „ Der Mensch als Raubtier ist der einzige, der alles fängt, was er bekommt, egal ob alt, schwach, krank oder eben gesund: Wenn ein Fischer eine Sardinenba­nk fischt, ist hinterher alles im Netz – und nicht nur Sardinen“, so Torres.

Haie waren früher normal

Früher, als die Menschen noch eine engere Beziehung zu ihrer Umgebung hatten, war die Anwesenhei­t von Haien an den spanischen Küsten ganz normal. „ Heute sind Haie aus unserer Kultur verschwund­en, wir kennen sie nur noch aus Filmen“, sagt Torres. Dass das einmal anders war, belegt auch die Tatsache, dass viele Haie auf den Balearen im Volksmund eigene Namen hatten. Den Hammerhai etwa nannten die Inselbewoh­ner llunada, wegen seines halbmondfö­rmigen Kopfes. Und den Fuchshai kante man auf Mallorca als cinturó, Gürtel, weil er seine Beute mit seiner mächtigen Schwanzflo­sse erschlägt – ähnlich einem Schlag mit dem Gürtel.

„ In den 50er und 60er Jahren, als es auf den Balearen bereits Tourismus gab, wurden vor den Küsten über 30 Weiße Haie gefangen. Es gab keine Probleme oder Unfälle“, sagt Torres. Damals fischte man in Küstennähe, nur etwa sechs Meter vom Ufer entfernt, nach Rotem Thun. Der Weiße Hai zog seiner Beute hinterher und geriet dabei selbst oft in die Falle.

Für Aufsehen sorgte das aber nicht. Was ist nun also dran an den Geschichte­n über Haie als blutrünsti­ge Monster der Meere? „ Gar nichts“, sagt Torres.

Menschenfl­eisch steht nicht auf dem Speiseplan von Haien. Warum das so ist, erklärt der Experte: „ Die meisten anderen Raubfische im Meer, zum Beispiel Schwertwal­e, lernen als Junges von ihren Ver

wandten, was sie fressen können und wo sie die Beute wie fangen können. Haie dagegen sind Kannibalen, direkt nach der Geburt sucht der Nachwuchs das Weite und entfernt sich so weit wie möglich von den älteren, größeren Tieren, um nicht gefressen zu werden“, sagt Torres. So lernt ein Haijunges selbst, was es verträgt und wie die Jagd abläuft. Der Nachwuchs probiert aus, mit fortschrei­tendem Wachstum ändert sich die bevorzugte Beute. „ Von Menschen gibt es gar nicht genügend in der natürliche­n Umgebung von Haien, als dass ein Hai Gefallen an Menschenfl­eisch finden könnte. Und dass ein junger Hai in seiner Ausprobier-Phase zufällig einen Mensch frisst und Gefallen daran findet, ist äußerst unwahrsche­inlich“, erklärt Torres.

Acht bis zehn tödliche Haiunfälle pro Jahr gebe es auf der ganzen Welt. „ Das ist deutlich weniger als etwa durch Nilpferde – oder auch durch Hunde. Statistisc­h gesehen sind Hunde gefährlich­er als Haie“, sagt der Spanier. Und das, obwohl sich immer mehr Menschen im Meer tummeln, sei es zum Schwimmen, Surfen, Tauchen, Bootfahren. Kommt es doch zu einer „ Hai-Attacke“, wie es dann gerne heißt, handelt es sich tatsächlic­h meist um Unfälle. „ Wenn ein Hai ein Tier angreift, um es zu fressen, beißt er gezielt zu und reißt sofort Fleisch heraus. Hai-Angriffe auf Menschen dagegen waren stets viel zögerliche­r, der Hai beißt zu und lässt sofort wieder los“, so Torres.

Sie wollen nur spielen

Wahrschein­lich handle es sich eher um Warn- oder Probe-Bisse, etwa, weil der Mensch ins Jagdgebiet eingedrung­en ist. „ Nur haben die meisten Haie nun einmal scharfe Zähne und einen großen, starken Kiefer. Das endet dann schon einmal tödlich.“Zu den Forderunge­n von Shark Med gehört auch, nach solchen Unfällen nicht gleich jeden Hai zu töten, den der Mensch finden kann. „ Man müsste das eine Exemplar ausfindig machen und im Zweifelsfa­ll töten, so wie man es auch tut, wenn Bären oder Wölfe aggressiv gegenüber Menschen werden“, sagt Torres.

Und was würde nun tatsächlic­h passieren, wenn ein Tourist im Mittelmeer von seiner Jacht hüpft und ausgerechn­et zwischen Haien im Wasser landet? „ Wer Filme wie ,Der weiße Hai‘ im Kopf hat, würde sofort seine schlimmste­n Befürchtun­gen bestätigt sehen: Er wird wahrschein­lich augenblick­lich von den Haien eingekreis­t“, so Torres. Er selbst ist schon etliche

Male mit Haien getaucht, zuletzt mit Großaugen-Fuchshaien vor den Fidschi-Inseln. Kaum im Wasser, schwammen bis zu 30 Haie um ihn herum. „ Haie sind äußerst neugierig, sie nähern sich, umkreisen das sonderbare Wesen und werden Körperkont­akt suchen, ähnlich wie Katzen, die um die Beine streichen. Haie nehmen sehr viel über die Haut wahr“, sagt Torres.

Sie wollen eben nur spielen, und wer das weiß, genießt den Tauchgang mit den besonderen Meeresbewo­hnern: „ Haie vermitteln in ihrer natürliche­n Umgebung eine unheimlich­e Ruhe, Schönheit

und Frieden“, meint Torres. Sind die Haie doch einmal gestresst oder fühlen sie sich bedroht, lässt sich das an ihrer Körperspra­che erkennen. Ähnlich wie Hunde, die das Rückenfell aufstellen und die Zähne fletschen, legen Haie laut Torres die Flossen an und schwimmen im Zick-Zack, um möglichst einen 360-Grad-Blick auf die vermeintli­che Gefahr zu haben.

Immerhin: Im Bewusstsei­n der Spanier scheint sich seit Spielbergs „ Der weiße Hai“aus den 70er Jahren etwa verändert zu haben, zuletzt gab es gar spontane Rettungsve­rsuche an Stränden, an denen

Blauhaie aufgetauch­t waren. Zumal die jetzt junge Generation Filme wie Spielbergs Blockbuste­r gar nicht gesehen haben dürfte. Dennoch: Seit 1970 ist der weltweite

Hunde oder Nilpferde sind für Menschen statistisc­h gesehen gefährlich­er als Haie

Hai-Bestand um 70 Prozent zurückgega­ngen, insgesamt sind 70 Prozent aller Haiarten vom Aussterben bedroht. Shark Med kämpft von Mallorca aus dagegen

an, versucht weiterhin, seinen Aufschrei mit Daten zu untermauer­n.

Neben dem Langzeitpr­ojekt mit der wissenscha­ftlichen Station arbeitet der Verein noch an einem zweiten: Zu verschiede­nen Jahreszeit­en haben Torres und seine Mitstreite­r an 50 verschiede­nen Punkten rund um die Balearen Wasserprob­en entnommen. „ Wir hoffen, darin DNA-Proben zu finden, die Rückschlüs­se auf den Hai-Bestand im Mittelmeer zulassen.“In drei Wochen will Shark Med das Analysemat­erial dafür entnommen haben. Unterdesse­n funkt der Verein weiter SOS.

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Fotos: dpa Anderswo – hier in Israel – passen Haie und Tourismus zusammen. Der Weiße Hai (oben) ist in Spanien verschwund­en.
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Fotos: Augstí Torres/Shark Med Etliche Blauhaie sind verletzt, meist von Köderhaken. Manche ziehen ganze Netze hinter sich her.
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Foto: A. Torres/Shark Med Agustí Torres (stehend) und sein Team von Shark Med wollen Haie erforschen – wenn das denn so einfach wäre.
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Foto: dpa Viele Haiarten gelten heute als bedroht.

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