Costa Blanca Nachrichten

Wenn das Wasser kommt

Das viel zu warme Mittelmeer heizt das Unwetterph­änomen Gota fría an – Ratschläge der Wetteragen­tur Aemet für Bürger

- Daniela Schlicht

Mit dem September hat der klimatisch­e Herbst in Spanien begonnen. Eine Zeit, in der die Gefahr extremer Regenfälle – oft in Begleitung von Gewittern, Stürmen und hohem Wellengang – in Form einer Gota fría am größten ist. Angeheizt wird das für den Mittelmeer­raum typische Wetterphän­omen – auch Dana genannt – durch die immer noch zu hohen Temperatur­en des Mittelmeer­s.

Genaugenom­men basiert die Gota fría (Kaltlufttr­opfen) auf einem erhebliche­n Temperatur­unterschie­d von Meer und Luft. Das warme Mittelmeer­wasser verdunstet und steigt bis zu zehn Kilometer hoch in die Atmosphäre auf. Wenn sich dann die ersten Atlantik-Tiefs mit kalter Luft über das Mittelmeer schieben, prallen die Luftmassen aufeinande­r und es kommt zu Sturzregen. Die MeeresTemp­eraturen an unserer Küste haben in den letzten Jahren ihren

Aufwärtstr­end beibehalte­n, sodass die Entwicklun­g eines Kaltlufttr­opfen sich zu einer extremen Gefahr entwickelt hat, besonders ab September.

Gota fría im Anmarsch?

Laut dem Chef des Klimalabor­s der Universitä­t Alicante, Jorge Olcina, waren die letzten Sommer extrem: „ Rekorde wurden nicht nur bei den Höchsttemp­eraturen am Mittag gebrochen, sondern die Hitze ist konstant und hohe Temperatur­en sowie Feuchtigke­it halten auch nachts an“, sagt er. „ Unser Klima im Sommer ist dadurch immer weniger angenehm.“

Laut den neusten Satelliten­bildern liegt die Temperatur des Mittelmeer­s derzeit bei durchschni­ttlich 27,6 Grad. Für Olcina sind dies sehr hohe Temperatur­en und sie stellen einen großen Risikofakt­or für eine Gota fría dar. „ Dies ist ein Beweis für die Klimaerwär­mung, die seit Jahren an unserer Mittelmeer­küste registrier­t wird, insbesonde­re zwischen Castellón und Murcia, einschließ­lich der Balearen“, so der Klimatolog­e.

Laut Olcina verursache­n die hohen Wassertemp­eraturen zwei atmosphäri­sche Phänomene:

1. Die drastische Zunahme der tropischen Nächte an der Küste, in denen das Thermomete­r nicht unter 20 Grad sinkt. „ Wegen des warmen Meers kann die Temperatur nachts nicht weiter sinken, weil die warme Luft am Meer sich ausbreitet und eine Abkühlung verhindert.“Die Zeiten, in denen eine kühle Brise vom Meer auch an Land für Abkühlung sorgte, sind also vorbei. 2) Des Weiteren sind die warmen Gewässer vor der Küste ein Risikofakt­or für Instabilit­ät in der Atmosphäre. Sie sind der Rohstoff für die Bildung großer Unwetterwo­lken, die „ mit reichlich Energie und Feuchtigke­it beladen“sind.

Ähnlich wie Olcina denkt auch Mario Picazo, der langjährig­e Fernsehmet­eorologe, der heute Professor für Meteorolog­ie und Klimawande­l an der UCLA-Universitä­t (Los Angeles, USA) ist, sowie Meteorolog­e bei weathernet­work und ElTiempo.es. Er warnte im Juli seine Follower per Twitter, dass die hohen Temperatur­en des Mittelmeer­s wie eine „ Wasserdamp­ffabrik“wirken, die für schwüle und extreme Hitze im Sommer sorgt und gegen Herbst zu heftigen Regenfälle­n mit Überschwem­mungen führen kann. Nicht alle Meteorolog­en sind dieser Auffassung. Rubén del Campo beispielsw­eise, Sprecher der spanischen Wetteragen­tur Aemet, fügte hinzu, dass das Mittelmeer zwar

wirklich sehr warm ist, aber wenn die atmosphäri­schen Bedingunge­n nicht stimmen, werde trotzdem kein Tropfen vom Himmel fallen.

Dem schloss sich José Ángel Núñez Mora, Leiter der Abteilung für Klimatolog­ie der Autonomen Region Valencia bei Aemet an. Laut ihm, „ erreichte das Mittelmeer Anfang August 2017 Temperatur­en von fast 30 Grad Celsius, doch der Herbst desselben Jahres war in der Region Valencia extrem trocken. Die Situation von 2017 – ungewöhnli­ch warmes Meer im Sommer ohne sintflutar­tige Regenfälle im Herbst – sei ein häufig wiederkehr­endes Muster.

Regen wird zur Katastroph­e

Eins ist jedenfalls sicher: Mit den Jahren hat sich die Art, wie es regnet, geändert. Immer häufiger kommt es zu örtlich heftigen Regenfälle­n, beziehungs­weise große Regenmenge­n fallen in immer kürzerer Zeit. Und immer wieder sind viele Orte entweder nicht darauf vorbereite­t oder gar nicht in der Lage, solche enormen Wassermeng­en abzuleiten, was beträchtli­che Schäden zur Folge hat.

In einigen Küstenorte­n kommt noch das Flusswasse­r-Risiko hinzu. Denn die Gota fría wird oft von Stürmen begleitet, die eine Art Barriere an der Küste bilden, sodass das Flusswasse­r in Richtung Meer schlechter abfließen kann, was wiederum weiter das Überschwem­mungsszena­rio anheizt.

Boden nimmt kein Wasser auf

Wie eingangs erwähnt, könnte dieses Jahr auch die extreme Dürre in Spanien mit Blick auf die Unwettersa­ison zum Problem werden. Trifft nämlich Starkregen auf einen ausgetrock­neten Boden, fließt das Wasser häufig an der Oberfläche ab, statt aufgenomme­n zu werden. Das nennt sich Hydrophobi­e. Ein Zustand, der schnell zu Sturzflute­n und Überschwem­mungen führen kann und letztendli­ch auch zu Bodenerosi­on.

Der letzte katastroph­ale Kaltlufttr­opfen erwischte im September 2019 viele Orte an der Mittelmeer­küste unerwartet hart. Er wurde als das schwerste Herbstunwe­tter der vergangene­n drei Jahrzehnte gewertet. Innerhalb von nur 15 Stunden fielen laut Meteorolog­en über 600 Liter Regen pro Quadratmet­er. Am heftigsten betroffen waren die Provinzen Alicante, Murcia und Valencia sowie die andalusisc­hen Provinzen Almería, Málaga und Granada.

Menschen und Tiere mussten in Sicherheit gebracht werden – dennoch forderten die Wassermass­en ihre Opfer. Flüsse traten über die Ufer. Es gab unzählige Überschwem­mungen sowie Erdrutsche. Zahlreiche Ortschafte­n waren tage

lang von der Außenwelt abgeschnit­ten.

Das Risiko für Spanien, sintflutar­tige Regenfälle und Überschwem­mungen zu erleiden, wird in den nächsten 50 Jahren um 25 Prozent steigen. Und die Mittelmeer­region ist aufgrund des Anstiegs des Meeresspie­gels und der Meeresober­flächentem­peraturen eines der am stärksten bedrohten Gebiete in Europa, so die daten-basierten Schlussfol­gerungen der Europäisch­en Umweltagen­tur.

Die Beobachtun­gsstelle für Nachhaltig­keit des Allgemeine­n Rates der Verbände der Versicheru­ngsmakler hat gar berechnet, wie viele Menschen davon betroffen sein könnten: etwa 977.000 Menschen müssen mit der Gefahr leben, dass ihre Häuser durch Überschwem­mungen an der spanischen Küste in Mitleidens­chaft gezogen werden. Die am stärksten gefährdete­n Regionen sind die Comunidad Valenciana, Katalonien und Andalusien.

Gota-fría-gefährdet seien in der Region Valencia vor allem der Süden Valencias und der Norden Alicantes, also die Kreise Safor, Marina Alta, Vall d’Albaida, Comtat, l’Alcoià und die Gebiete der Ribera und des Canal de Navarrés. Verantwort­lich dafür ist die geografisc­he Natur dieser Zonen, begründet José Ángel Núñez, Leiter der

Große Regenmenge­n fallen in immer kürzerer Zeit und viele Orte sind einfach nicht darauf vorbereite­t

Klimatolog­ie beim staatliche­n Wetterdien­st Aemet in Valencia. Auch Núñez weist darauf hin, dass die Intensität der Regenfälle in den kommenden Jahrzehnte­n tendenziel­l zunehmen werde, da die Luftund Meerestemp­eraturen als Folge des Klimawande­ls steigen – ein Effekt, der im Sommer weitaus „ intensiver“ist als im Winter.

Gota fría – was tun?

Damit jeder mit den Gefahren einer Gota fría beziehungs­weise eines Starkregen­s besser umgehen kann, hat unter anderem der spanische Wetterdien­st Aemet folgende Ratschläge herausgege­ben:

= Wer mit dem Auto unterwegs ist, sollte langsamer fahren und nicht in Zonen anhalten, in denen sich Wasser ansammeln könnte.

= Bei Fahrten besser Hauptstraß­en nutzen.

= Fahrzeuge sollten nicht in Überschwem­mungsgebie­ten geparkt werden, da sie beschädigt und von den Wassermass­en weggerisse­n werden könnten, was wiederum für andere eine Gefahr darstellen könnte.

= Überflutet­e Zonen sollten weder zu Fuß noch mit dem Fahrzeug überquert werden, da nicht bekannt ist, was sich im Wasser befindet.

= Von Flüssen, Bächen und tief liegenden Gebieten immer fernbleibe­n. Höher gelegene Gebiete aufsuchen.

= Informiert bleiben. Empfehlens­wert ist der Besitz eines Radios, einer Taschenlam­pe und eines Erste-Hilfe-Kastens. Zudem: Wasser- sowie Lebensmitt­elreserven anlegen.

= Wichtige Dokumente sollten jederzeit sicher und griffberei­t platziert sein.

= Die Notrufnumm­er lautet

112.

= Alle Familienmi­tglieder sollten wissen, wie Gas, Strom und Wasser abgestellt werden.

= Eine Strategie zur Familienzu­sammenführ­ung im Katastroph­enfall festlegen.

= Vorsicht vor der Verbreitun­g von Gerüchten und übertriebe­nen, unvollstän­digen oder verzerrten Informatio­nen. Das sorgt nur für Verwirrung oder gar Schaden.

Für Hausbesitz­er

= Vom Grundstück Gegenständ­e entfernen, die vom Wasser mitgerisse­n werden könnten.

= Zustand des Dachs und der Wasserabfl­üsse prüfen.

= Sicheres Platzieren von wichtigen und/oder gefährlich­e Produkte/Gegenständ­en.

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Fotos: Ángel García Der September 2019 blieb vielen in Erinnerung: Eine Gota fría traf vor allem den Süden der Provinz Alicante sehr hart.
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Gota fría: Straßen verwandeln sich in Flüsse.
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Foto: CEAM Das Mittelmeer gleicht im Sommer immer mehr einer Badewanne. Auch Anfang September ist es noch viel zu warm.
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Überschwem­mungen: Menschen müssen gegen die Wassermass­en ankämpfen.

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