Wenn das Wasser kommt
Das viel zu warme Mittelmeer heizt das Unwetterphänomen Gota fría an – Ratschläge der Wetteragentur Aemet für Bürger
Mit dem September hat der klimatische Herbst in Spanien begonnen. Eine Zeit, in der die Gefahr extremer Regenfälle – oft in Begleitung von Gewittern, Stürmen und hohem Wellengang – in Form einer Gota fría am größten ist. Angeheizt wird das für den Mittelmeerraum typische Wetterphänomen – auch Dana genannt – durch die immer noch zu hohen Temperaturen des Mittelmeers.
Genaugenommen basiert die Gota fría (Kaltlufttropfen) auf einem erheblichen Temperaturunterschied von Meer und Luft. Das warme Mittelmeerwasser verdunstet und steigt bis zu zehn Kilometer hoch in die Atmosphäre auf. Wenn sich dann die ersten Atlantik-Tiefs mit kalter Luft über das Mittelmeer schieben, prallen die Luftmassen aufeinander und es kommt zu Sturzregen. Die MeeresTemperaturen an unserer Küste haben in den letzten Jahren ihren
Aufwärtstrend beibehalten, sodass die Entwicklung eines Kaltlufttropfen sich zu einer extremen Gefahr entwickelt hat, besonders ab September.
Gota fría im Anmarsch?
Laut dem Chef des Klimalabors der Universität Alicante, Jorge Olcina, waren die letzten Sommer extrem: „ Rekorde wurden nicht nur bei den Höchsttemperaturen am Mittag gebrochen, sondern die Hitze ist konstant und hohe Temperaturen sowie Feuchtigkeit halten auch nachts an“, sagt er. „ Unser Klima im Sommer ist dadurch immer weniger angenehm.“
Laut den neusten Satellitenbildern liegt die Temperatur des Mittelmeers derzeit bei durchschnittlich 27,6 Grad. Für Olcina sind dies sehr hohe Temperaturen und sie stellen einen großen Risikofaktor für eine Gota fría dar. „ Dies ist ein Beweis für die Klimaerwärmung, die seit Jahren an unserer Mittelmeerküste registriert wird, insbesondere zwischen Castellón und Murcia, einschließlich der Balearen“, so der Klimatologe.
Laut Olcina verursachen die hohen Wassertemperaturen zwei atmosphärische Phänomene:
1. Die drastische Zunahme der tropischen Nächte an der Küste, in denen das Thermometer nicht unter 20 Grad sinkt. „ Wegen des warmen Meers kann die Temperatur nachts nicht weiter sinken, weil die warme Luft am Meer sich ausbreitet und eine Abkühlung verhindert.“Die Zeiten, in denen eine kühle Brise vom Meer auch an Land für Abkühlung sorgte, sind also vorbei. 2) Des Weiteren sind die warmen Gewässer vor der Küste ein Risikofaktor für Instabilität in der Atmosphäre. Sie sind der Rohstoff für die Bildung großer Unwetterwolken, die „ mit reichlich Energie und Feuchtigkeit beladen“sind.
Ähnlich wie Olcina denkt auch Mario Picazo, der langjährige Fernsehmeteorologe, der heute Professor für Meteorologie und Klimawandel an der UCLA-Universität (Los Angeles, USA) ist, sowie Meteorologe bei weathernetwork und ElTiempo.es. Er warnte im Juli seine Follower per Twitter, dass die hohen Temperaturen des Mittelmeers wie eine „ Wasserdampffabrik“wirken, die für schwüle und extreme Hitze im Sommer sorgt und gegen Herbst zu heftigen Regenfällen mit Überschwemmungen führen kann. Nicht alle Meteorologen sind dieser Auffassung. Rubén del Campo beispielsweise, Sprecher der spanischen Wetteragentur Aemet, fügte hinzu, dass das Mittelmeer zwar
wirklich sehr warm ist, aber wenn die atmosphärischen Bedingungen nicht stimmen, werde trotzdem kein Tropfen vom Himmel fallen.
Dem schloss sich José Ángel Núñez Mora, Leiter der Abteilung für Klimatologie der Autonomen Region Valencia bei Aemet an. Laut ihm, „ erreichte das Mittelmeer Anfang August 2017 Temperaturen von fast 30 Grad Celsius, doch der Herbst desselben Jahres war in der Region Valencia extrem trocken. Die Situation von 2017 – ungewöhnlich warmes Meer im Sommer ohne sintflutartige Regenfälle im Herbst – sei ein häufig wiederkehrendes Muster.
Regen wird zur Katastrophe
Eins ist jedenfalls sicher: Mit den Jahren hat sich die Art, wie es regnet, geändert. Immer häufiger kommt es zu örtlich heftigen Regenfällen, beziehungsweise große Regenmengen fallen in immer kürzerer Zeit. Und immer wieder sind viele Orte entweder nicht darauf vorbereitet oder gar nicht in der Lage, solche enormen Wassermengen abzuleiten, was beträchtliche Schäden zur Folge hat.
In einigen Küstenorten kommt noch das Flusswasser-Risiko hinzu. Denn die Gota fría wird oft von Stürmen begleitet, die eine Art Barriere an der Küste bilden, sodass das Flusswasser in Richtung Meer schlechter abfließen kann, was wiederum weiter das Überschwemmungsszenario anheizt.
Boden nimmt kein Wasser auf
Wie eingangs erwähnt, könnte dieses Jahr auch die extreme Dürre in Spanien mit Blick auf die Unwettersaison zum Problem werden. Trifft nämlich Starkregen auf einen ausgetrockneten Boden, fließt das Wasser häufig an der Oberfläche ab, statt aufgenommen zu werden. Das nennt sich Hydrophobie. Ein Zustand, der schnell zu Sturzfluten und Überschwemmungen führen kann und letztendlich auch zu Bodenerosion.
Der letzte katastrophale Kaltlufttropfen erwischte im September 2019 viele Orte an der Mittelmeerküste unerwartet hart. Er wurde als das schwerste Herbstunwetter der vergangenen drei Jahrzehnte gewertet. Innerhalb von nur 15 Stunden fielen laut Meteorologen über 600 Liter Regen pro Quadratmeter. Am heftigsten betroffen waren die Provinzen Alicante, Murcia und Valencia sowie die andalusischen Provinzen Almería, Málaga und Granada.
Menschen und Tiere mussten in Sicherheit gebracht werden – dennoch forderten die Wassermassen ihre Opfer. Flüsse traten über die Ufer. Es gab unzählige Überschwemmungen sowie Erdrutsche. Zahlreiche Ortschaften waren tage
lang von der Außenwelt abgeschnitten.
Das Risiko für Spanien, sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen zu erleiden, wird in den nächsten 50 Jahren um 25 Prozent steigen. Und die Mittelmeerregion ist aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels und der Meeresoberflächentemperaturen eines der am stärksten bedrohten Gebiete in Europa, so die daten-basierten Schlussfolgerungen der Europäischen Umweltagentur.
Die Beobachtungsstelle für Nachhaltigkeit des Allgemeinen Rates der Verbände der Versicherungsmakler hat gar berechnet, wie viele Menschen davon betroffen sein könnten: etwa 977.000 Menschen müssen mit der Gefahr leben, dass ihre Häuser durch Überschwemmungen an der spanischen Küste in Mitleidenschaft gezogen werden. Die am stärksten gefährdeten Regionen sind die Comunidad Valenciana, Katalonien und Andalusien.
Gota-fría-gefährdet seien in der Region Valencia vor allem der Süden Valencias und der Norden Alicantes, also die Kreise Safor, Marina Alta, Vall d’Albaida, Comtat, l’Alcoià und die Gebiete der Ribera und des Canal de Navarrés. Verantwortlich dafür ist die geografische Natur dieser Zonen, begründet José Ángel Núñez, Leiter der
Große Regenmengen fallen in immer kürzerer Zeit und viele Orte sind einfach nicht darauf vorbereitet
Klimatologie beim staatlichen Wetterdienst Aemet in Valencia. Auch Núñez weist darauf hin, dass die Intensität der Regenfälle in den kommenden Jahrzehnten tendenziell zunehmen werde, da die Luftund Meerestemperaturen als Folge des Klimawandels steigen – ein Effekt, der im Sommer weitaus „ intensiver“ist als im Winter.
Gota fría – was tun?
Damit jeder mit den Gefahren einer Gota fría beziehungsweise eines Starkregens besser umgehen kann, hat unter anderem der spanische Wetterdienst Aemet folgende Ratschläge herausgegeben:
= Wer mit dem Auto unterwegs ist, sollte langsamer fahren und nicht in Zonen anhalten, in denen sich Wasser ansammeln könnte.
= Bei Fahrten besser Hauptstraßen nutzen.
= Fahrzeuge sollten nicht in Überschwemmungsgebieten geparkt werden, da sie beschädigt und von den Wassermassen weggerissen werden könnten, was wiederum für andere eine Gefahr darstellen könnte.
= Überflutete Zonen sollten weder zu Fuß noch mit dem Fahrzeug überquert werden, da nicht bekannt ist, was sich im Wasser befindet.
= Von Flüssen, Bächen und tief liegenden Gebieten immer fernbleiben. Höher gelegene Gebiete aufsuchen.
= Informiert bleiben. Empfehlenswert ist der Besitz eines Radios, einer Taschenlampe und eines Erste-Hilfe-Kastens. Zudem: Wasser- sowie Lebensmittelreserven anlegen.
= Wichtige Dokumente sollten jederzeit sicher und griffbereit platziert sein.
= Die Notrufnummer lautet
112.
= Alle Familienmitglieder sollten wissen, wie Gas, Strom und Wasser abgestellt werden.
= Eine Strategie zur Familienzusammenführung im Katastrophenfall festlegen.
= Vorsicht vor der Verbreitung von Gerüchten und übertriebenen, unvollständigen oder verzerrten Informationen. Das sorgt nur für Verwirrung oder gar Schaden.
Für Hausbesitzer
= Vom Grundstück Gegenstände entfernen, die vom Wasser mitgerissen werden könnten.
= Zustand des Dachs und der Wasserabflüsse prüfen.
= Sicheres Platzieren von wichtigen und/oder gefährliche Produkte/Gegenständen.