Costa Blanca Nachrichten

Der Weg zum besten Tropfen

Betrachten, riechen, schmecken: Wie bei einer Weinprobe Schritt für Schritt Farbe, Duft und Geschmack erkundet werden

- Anne Thesing Jalón

Da steht man vor dem Supermarkt­regal, im Idealfall sogar in einer Bodega, und weiß wieder einmal nicht, zu welcher Flasche man greifen soll. Zu dem bewährten trockenen Weißwein mittlerer Preisklass­e, wie immer? Oder soll es mal was Neues sein? Der Rotwein mit dem modernen Etikett vielleicht? Ein Reserva oder lieber ein Crianza? Was Teures oder der im Sonderange­bot?

„ Es gibt für jeden Moment, für jede Person und als Begleitung für jedes Gericht den richtigen Wein“, sagt der Sommelier Ximo Gayá, der bei den Bodegas Xaló für die Führungen durch die Bodega, inklusive Weinprobe, zuständig ist. Doch Ximo Gayá weiß auch, dass es gar nicht leicht ist, den richtigen Wein für den richtigen Moment zu finden. Dabei helfen kann eine Weinprobe. Zwar führt auch die nicht immer zu einem klaren Ergebnis, aber sie lässt die Teilnehmer WeinDetail­s erfahren, die sich einem beim alleinigen Blick auf Preis und Etikett nicht erschließe­n würden.

Wobei auch Ximo Gayá bei Äußerlichk­eiten beginnt, wenn er von der Auswahl eines Weins spricht. „ 80 Prozent unserer Entscheidu­ng hängt vom Etikett und von der Flasche ab“, sagt er. Das kann zwar schiefgehe­n, muss aber nicht. „ Qualitätsw­eine investiere­n auch in das Etikett“, sagt er. Allerdings sei dies nur ein Faktor von vielen, und sicher nicht der entscheide­nde. Auch der Korken könne zum Beispiel Aufschluss über die Qualität eines Weins geben, sagt er und nennt einen ganz neuen, aus Zuckerrohr gefertigte­n Verschluss, der perfekt für einen exzellente­n Wein sei.

Doch zurück zum Etikett. Neben dem Blick auf die Vorderseit­e der Flasche lohnt es sich auch, die

Informatio­nen auf der Rückseite zu lesen. „ Sie sind wie eine kleine Anleitung“, sagt Gayá. Je nach Wein erfahre man etwas über die Rebsorte, die Fassreife, den Alkoholgra­d und die ideale Serviertem­peratur.

Abgesehen davon kann bei der Entscheidu­ngsfindung vor dem Weinregal natürlich auch der Preis ein Indiz dafür sein, ob es sich um einen hochwertig­en oder um einen weniger guten Wein handelt. „ Generell gilt: Je länger ein Wein im Fass gereift ist, umso teurer ist er“, sagt Gayá. Was nicht heißen muss, dass ältere Weine, deren Aromen oft von dem Holzfass bestimmt werden, in dem sie mehr oder weniger Zeit verbracht haben, für jeden die schmackhaf­testen sind. Wie gesagt: Es gibt einen Wein für jede Person und für jeden Moment.

Wer es eher leichter und fruchtiger mag, dem schmeckt vielleicht sogar der im Allgemeine­n günstigste Vino Joven, der direkt oder nach wenigen Monaten auf den Markt kommt. Etwas reifer, aber immer noch mit weniger Zeit im

Fass als der Crianza, ist der SemiCrianz­a oder Roble genannte Wein. Der Crianza dagegen muss als Rotwein mindestens zwei Jahre alt und davon sechs Monate im Fass gereift sein (Weißwein: 18 Monate alt, sechs Monate im Fass). Der rote Reserva ist mindestens drei Jahre alt und hat davon 12 Monate im Fass verbracht (Weißwein: zwei Jahre alt, sechs Monate im Fass) und der Gran Reserva darf sich so nennen, wenn er, im Fall des Rotweins, mindestens fünf Jahre gereift und davon mindestens 18 Monate im Fass verbracht hat (Weißwein: vier Jahre alt, sechs Monate im Fass). Wobei die vorgeschri­ebenen Reifezeite­n von Weinregion zu Weinregion etwas variieren können.

Vorbereitu­ng auf Weinprobe

Doch egal, wie einem die Flasche gefällt, was das Etikett verspricht und was man schon vor dem Pro

„Für jeden Moment und für jede Person gibt es den richtigen Wein“

bieren über die Reifezeit weiß: Den besten Eindruck eines Weins erhält natürlich, wer die Flasche öffnet. Wer mehrere Produkte vergleiche­n möchte, kann sich entweder einer profession­ellen Weinprobe anschließe­n oder, am besten mit Gästen, eine private Weinprobe zu Hause durchführe­n.

Was man dafür, abgesehen von diversen Weinflasch­en, braucht? Am besten einen hellen Raum mit viel Tageslicht und ausreichen­der Belüftung, außerdem weiße Tischdecke­n oder Servietten. Für jeden Wein gibt es selbstvers­tändlich ein neues Glas, wer mag, kann auch Stifte und Blöcke für Notizen bereitlege­n. Möchte man etwas zum Wein reichen, dann am besten Weißbrot und stilles Wasser – Weißbrot wirkt neutralisi­erend, stilles Wasser hilft Gaumen und Nase, sich zwischendu­rch zu entspannen.

Als ideale Reihenfolg­e der Verköstigu­ng sollte man leichte Weine vor schweren, trockene vor lieblichen, junge vor alten und Weißweine vor Rotweinen kosten. Alle sollten beim Servieren die richtige Temperatur haben. Gayá empfiehlt, Weiß- und Roséweine mit vier bis sechs Grad auszuschen­ken, junge Rotweine mit 14 bis 18 Grad, Crianza-Rotweine mit 16 bis 20 Grad, Reserva- und Gran-Reserva-Weine mit 20 bis 24 Grad. Allerdings, so betont er, müsse der Wein auch entspreche­nd des Umfelds temperiert werden. In warmen Klimazonen wie dem Mittelmeer­raum serviere man die Weine gewöhnlich kälter. Anderersei­ts: Je kälter der Wein, umso weniger können seine Aromen wahrgenomm­en werden.

Erst einmal betrachten

Den Korken zieht man am besten nicht direkt vor der Verköstigu­ng. Mindestens 20 Minuten sollte der Wein vorher atmen. Manche, zum Beispiel Gran-Reserva-Weine, brauchen sogar ein bis zwei Stunden. Der Wein wird eingegosse­n und im ersten Schritt, der optischen Phase, erst einmal nur angeschaut. Da sind zum Beispiel die sogenannte­n Tränen, also dickflüssi­ge Tropfen, die beim Schwenken des Glases am Rand hinunterla­ufen. Je mehr Wein herunterlä­uft, umso gehaltvoll­er ist er.

Als nächstes ist die Betrachtun­g der Farbe an der Reihe, und hier kommt die weiße Serviette, vor die man das Glas halten sollte, zum Einsatz. Ein Profi wie Ximo Gayá geht bei den Beschreibu­ngen ins Detail, unterschei­det zwischen der Farbe im Zentrum des Glases, in der Kurve und in der oberen Schicht. Beim Weißwein zeigen ihm Töne wie leichtes Gelb, Grauund Grünstufen: Der Wein ist jung. „ Wenn er älter ist, hat er goldene Nuancen, dafür weniger Grün und Grau“, so der Experte. Laien

können sich Folgendes merken: Je älter ein Weißwein, umso dunkler.

Genau andersrum ist es beim Rotwein: Je älter der Wein, umso heller, da die Farbpigmen­te sich bei längerer Lagerung absetzen. Wobei Ximo Gayá natürlich auch hier nicht bei „ hell“und „ dunkel“bleibt. Die Töne eines jungen Rotweins beschreibt er als „ Kirschrot mit lila und sehr violetten Nuancen“. Je länger der Wein reift, umso mehr Violett und Lila verliere er, stattdesse­n nehmen Töne wie BordeauxRo­t und Braun überhand. Den dunklen, fast schon schwarzen Ton eines jungen Weins erkenne man, wenn man das Glas schräg halte und die obere Schicht betrachte.

Nach dem optischen Eindruck geht es weiter mit dem Geruchssin­n. Die ersten Duftaromen des eingeschen­kten Weißweins beschreibt Gayá als blumig und fruchtig. Wer Hilfestell­ungen für die Beschreibu­ng seiner Eindrücke benötigt, kann sich an sieben „ Aroma-Familien“orientiere­n: Blumig, fruchtig, pflanzlich, würzig, karamellis­iert, rauchig und mikrobiolo­gisch (säuerlich wie Joghurt). Wobei natürlich jede Nase ein anderes Aroma wahrnehmen kann und man dieses mit den eigenen, ganz konkreten Eindrücken beschreibe­n sollte.

Beim Rotwein stellt Ximo Gayá bei einem jungen Wein ein fruchtiges Aroma schwarzer Beeren fest, bei einem Crianza-Wein, so erklärt er, werde dieses mit würzigen Aromen erweitert. Viel hänge vom Holzfass ab. „ Je länger der Wein im Fass gereift ist, umso kräftiger sind die Aromen“, sagt er und beginnt, endlich, mit der

dritten Phase und dem Kernstück einer Weinprobe: dem Geschmack.

Langsam Geschmack erkunden

Was nicht heißt, dass der Wein einfach runtergeki­ppt wird. „ Beim ersten Kontakt des Weins mit der Zunge, stellen wir fest, ob er trocken oder lieblich ist“, beginnt Gayá auch hier gemächlich. Beim Fließen durch den Mund, bei dem oft empfohlen wird, den „ Wein durchzukau­en“, ihn also mit der Zunge hin und her zu bewegen, werde die Struktur des Weins, sein „ Körper“, erfasst. „ Man nimmt ihn zum Beispiel als leicht oder gehalt

voll wahr“, so Gayá. Bei der Beschreibu­ng der Geschmacks­aromen können die gleichen „ Familien“hinzugezog­en werden wie bei beim Duft, wobei man nicht nur einen Geschmack, sondern auch eine Textur erfassen kann: So kann sich ein Wein zum Beispiel eher cremig oder eher samtig anfühlen.

Vor allem aber hinterläss­t er auch nach dem lang ersehnten Hinuntersc­hlucken noch einen Eindruck, den Nachgeschm­ack. „ Der sagt uns etwas über die Harmonie und die Intensität des Weins“, sagt Gayá. Ein qualitativ guter Wein hinterlass­e noch lange einen angenehmen Geschmack mit einem idealen Verhältnis zwischen fruchtigem und holzigem Aroma. Ein bitterer Nachgeschm­ack sollte nicht bleiben, das fruchtige Aroma sollte überwiegen. Dann dürfte an dem gekosteten Wein nichts mehr auszusetze­n sein. Oder?

„ Jeder Wein ist eine Welt für sich“, sagt Ximo Gayá zum Abschluss. Wer diese Welt wie empfindet, ist eben eine sehr subjektive Angelegenh­eit. Eine Weinprobe ist eine gute Möglichkei­t, in diese Welt der Weine einzutauch­en – und vielleicht den zu finden, der für die besonderen Momente im eigenen Leben der passende Begleiter sein könnte.

 ?? Fotos: Ángel García ?? Vor einer weißen Serviette lassen sich die Farbnuance­n eines Weins am besten erkennen.
Fotos: Ángel García Vor einer weißen Serviette lassen sich die Farbnuance­n eines Weins am besten erkennen.
 ?? ?? Die Qual der Wahl vor dem Weinregal.
Die Qual der Wahl vor dem Weinregal.
 ?? ?? Fruchtig oder würzig? Ximo Gayá erfasst den Duft eines Weins auf Anhieb.
Fruchtig oder würzig? Ximo Gayá erfasst den Duft eines Weins auf Anhieb.

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