Höchstens in der Hosentasche
Russische Gemeinschaft in Torrevieja seit Ukraine-Invasion fast unsichtbar
Torrevieja – sw. Bis zum 24. Februar waren sie noch eine schillernde Gruppe der Stadt. Doch seit der Krieg in der Ukraine tobt, sind sie irgendwie vom Erdboden verschluckt, die russischen Bewohner von Torrevieja. Und doch trügt der Schein. Immer noch stellen sie die drittgrößte Gruppe ausländischer Bürger, sind aber mittlerweile von den Ukrainern überholt. Zahlenmäßig, aber auch, was das Stadtbild angeht. Längst ist das ukrainische Blau-Gelb das unverkennbare Zeichen der allgemeinen Solidarität mit dem angegriffenen Land.
Fast gänzlich zurückgezogen haben sich dagegen die russischen Kennzeichen, so farbenfroh, glänzend bis zu kitschig, und doch so typisch für Torreviejas Schaufenster, Theken oder auch Scheiben von (luxuriösen) Autos. Selbst der Name des Landes verschwimmt. Aus dem im Juli gefeierten Filmfestival Sol verschwand „ Russland“fast gänzlich, zugunsten des eher neutralen Wortes „ international“. Im stetigen Diskurs zum Krieg in der Ukraine fällt auf, wie unsichtbar die russische Perspektive ausgerechnet im kleinen Russland an der Costa Blanca dasteht.
Heimlich erleichtert
Kurz nach der Invasion war das noch etwas anders. Einzelne russische Bürger meldeten sich mit solidarischen Äußerungen und auch Taten, indem sie Verwandte, die vor dem Krieg flüchteten, bei sich aufnahmen. Auch das vermeintlich weiter harmonische Miteinander der Russen und Ukrainer in Torrevieja betonten spanische Medien.
Doch dann folgte die lange russische Funkstille, unterbrochen höchstens durch Schlagzeilen eher negativer Art. Etwa als ein Ukrainer in einer Bar in Torrevieja von drei Russen verprügelt wurde. Oder als die ukrainische Community das Stattfinden des Sol-Festivals – auch ohne Russland im Namen – mit einer Demo geißelte.
Nun jedoch sammelte die „ Información“einige Stimmen, aller
dings nur anonymer Art. Für große Unruhe bis nach Torrevieja sorgte Vladmir Putins neuester Vorstoß mit der Teilmobilmachung, die die Front durch 300.000 Reservisten stärken soll. Mehrere Angestellte russischer Läden teilten der Zeitung mit, dass sie erleichtert seien, dass ihre Söhne in Spanien weilen und so trotz wehrfähigem Alter nicht eingezogen werden können.
Zudem sorge das unmöglich gewordene Reisen nach Russland unter Torreviejas russischen Bürgern für Tristesse. Allerdings, so die „ Información“, scheint an der Costa Blanca durchaus die Meinung vorzuherrschen, dass es notwendig sei, Opfer zu bringen, um Territorien der Ukraine wiederzuerlangen. Sprich: Der Krieg sei im Wesentlichen gerechtfertigt.
„Wir sind weit weg“
Das dürfte nicht verwundern. Schließlich war selbst nach 2014, also der Annexion der Krim, etwa das Portrait des Vladimir Putin in Torrevieja eines der verbreiteten Kennzeichen in russischen Ecken der Stadt. Auf der Linie des Präsidenten dürften durchaus viele Menschen selbst 3.500 Kilometer von Moskau entfernt sein.
„ Wir sind in Torrevieja seit 20 Jahren, wir sind weit weg“, ist eines der anonymen Zitate, die die „ Información“bei Globus einfing, einem der bekannteren russischen Vereine. Eine Bar, ein Sozialclub, eine kyrillische Bibliothek finden sich hier, zudem direkt anbei ein Immobilienbüro. Dessen Angestellte hätten die Weisung, sich nicht zum Krieg zu äußern. „ Am Anfang haben wir etwas gesagt, aber das war letztendlich immer zu unserem Nachteil“, hieß es.
Nur zu vermuten ist, wie sich die russische Community auf die nächste mögliche Flüchtlingswelle einstellt. Nun nicht mehr von Menschen mit wehenden blaugelben Flaggen, sondern von unscheinbar wirkenden Menschen mit den Farben Weiß, Blau und Rot höchstens verborgen in der Hosentasche.