Der alte Mann mit der Blume
Großvater der Naturheilkunde: Unauffällige Statue in Benalmádena erzählt eine große Geschichte
Benalmádena – mar. Wer ist dieser einsame, melancholisch dreinblickende Araber, der da nachdenklich am Strand meditiert? Eine Verzierung für das rote Pseudo-Castillo Bil-Bil nebenan, das sich ein spleeniges Pärchen in den 1930er Jahren als Badehaus hat errichten lassen? Benalmádena ist, man hört es am Namen, eine maurische Gründung, benannt nach Eisenerzmienen, die hier einst eine wichtige Rolle spielten. Doch die Spuren dieser Zeit sind und wurden fast völlig verwischt. Vor allem das geistige Erbe wurde mit der Christianisierung zunächst unsichtbar gemacht.
Die Bronzestatue verweist auf diese Zeit und den größten Sohn der Stadt: Ibn Al-Baytar. Das Werk ist in die Jahre gekommen, Restauratoren bemühen sich derzeit um die Reinigung und kleinere Reparaturen, denn mitunter dient der weise alte Mann auch als Klettergerüst. Vor allem das Feldblümchen, das er in der rechten Hand hielt, soll ihm wiedergegeben werden.
Der Bildhauer, der ihn einst so schuf, der 2020 verstorbene Hamilton Reed Armstrong, hat überall an der Costa del Sol seine Spuren hinterlassen, schon 1974 goss er einen Engel für den städtischen Friedhof von Benalmádena und 1982 kam Ibn Al-Baytar hinzu. In 40 Jahren wurde die Inschrift fast unlesbar, der alte Mann immer mehr ein Rätsel, und so war er eigentlich nur noch Deko.
Dabei haben wir es mit einem echten Promi seiner Zeit zu tun. Ibn Al-Baytar wurde wahrscheinlich zwischen 1190 und 1197 in eben unserem Ibn al-ma’din, heute Benalmádena, geboren und erarbeitete sich den Beinamen „ alNabatí“, der Botaniker. In Sevilla (Isbilia) zunächst als Arzt ausgebildet, beschäftigte er sich vor allem mit dem medizinischen Nutzen von Pflanzen.
Dafür zog er durch halb Spanien, das aber damals überwiegend von den Almoraviden beherrscht war, ein grausam wütender, strengst islamistischer Berber-Stamm, der viele Gelehrte vertrieb, Juden wie selbst Moslems. Von der Toleranz, der Ko
operation der „ Drei Kulturen“zu Zeiten des Emirats und Kalifats der Umayyaden war wenig geblieben, nur in einigen kleinen Taifas, in Murcia und Aragón, hielt sich dieser Spirit, den die
Nasriden im 13. Jahrhundert nochmals aufleben ließen.
Der Naturheilkundler bekam diese Intoleranz zu spüren und wanderte, Blumen pflückend, über Nordafrika bis nach Syrien aus. In Ägypten ließ er sich nieder und wurde zum Sultan Al
Kāmil erhoben, dem Chefbotaniker des Reiches. Das machte ihn gleichzeitig zum obersten Pharmakologen, zum Professor eines Lehrstuhls und Aufseher über Drogenlabore und Apotheken aller Art, zu einem mächtigen Mann.
Er studierte die Werke der Antike, ging mit seinen Schülern auf Exkursionen, konsultierte Heiler und Forscher der gesamten arabischen Welt, zu seiner Zeit das Maß aller Dinge in der Wissenschaft. So formte sich nach vielen Traktaten schließlich sein Hauptwerk, in dem er rund 1.400 Pflanzen beschrieb und bestimmte sowie ihren Wert zur Ernährung und Heilung erläuterte.
Das Buch wurde das Standardwerk der Naturheilkunde des Mittelalters.
Sultan der Apotheken
Übersetzerschulen und Klöster brachten es in andere Sprachen und so in Umlauf, die Spanier ließen es, wie fast alles Geistige, am Ende der Reconquista verbrennen und verbieten, nahmen sich aber vorsichtshalber ein Exemplar mit in die geheime Bibliothek der Inquisition, womöglich, so dachte der pyromane Kardinal Cisneros, findet sich darin ja die Formel für ewiges Leben. Fand sich nicht.
Bis ins 19. Jahrhundert blieb das Wissen des andalusischen
Großvaters der Pflanzenheilkunde, der 1248 in Damaskus starb, für Europäer praktisch verschüttet, bis es aufgeklärte, deutsche Forscher um 1840 neu übersetzten und interpretierten, Pharmakologen die Formeln nachbauten und versuchten, die Wirkstoffe zu identifizieren.
In der arabischen Welt blieb Ibn Al-Baytar eine Berühmtheit und wird verehrt wie bei uns ein Albert Schweitzer oder Robert Koch, nur eben 700 Jahre älter. Wenn Sie also das nächste Mal in Benalmádena Urlaub machen, erweisen Sie dem alten Mann mit dem Blümchen in der Hand ruhig die Ehre, vielleicht hat er, indirekt, auch Sie einmal geheilt.
Al-Baytar schuf ein Standardwerk der Naturheilkunde